Table of Contents Table of Contents
Previous Page  8 / 14 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 8 / 14 Next Page
Page Background

SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE

Jürgen Hansel

 ¦ Ruta graveolens

6

RHEUMA

Die häufigste mit Autoimmunreaktionen verbundene Multisys-

temerkrankung ist die primär-chronische Polyarthritis oder rheu-

matoide Arthritis. Die Prävalenz beträgt etwa 1 % der Bevölke-

rung. Auch wenn in erster Linie die Synovia peripherer Gelenke

von der chronischen Entzündung betroffen ist, finden wir häufig

extraartikuläre Manifestationen. Typisch sind Rheumaknoten an

Sehnen, Schleimbeuteln oder anderen Bindegewebsstrukturen.

Vom Autoimmunprozess können in selteneren Fällen aber auch

Gefäße, das Auge oder der Herzbeutel betroffen sein.

Schwierige Prognosen:

Von besonderem Interesse für die

homöopathische Behandlung ist der Spontanverlauf und die

Prognose der Erkrankung. Allgemein kann man sagen: Der Verlauf

einer rheumatoiden Arthritis ist recht variabel und lässt sich für

den einzelnen Patienten nur schwer voraussagen. Die meisten

Patienten erleben eine persistierende, jedoch fluktuierende

Krankheitsaktivität, die auch schubweise verlaufen kann und

mit einem unterschiedlichen Ausmaß an Gelenkdeformation

einhergeht. Es gibt allerdings bestimmte Parameter, die die

Prognose beeinflussen, wie die Zahl der betroffenen Gelenke, der

radiologische Nachweis von Knochenerosionen, die Höhe von

BSG und Rheumafaktor und das Auftreten von Rheumaknoten

oder schweren Begleiterkrankungen.

EIN FENSTER FÜR DIE HOMÖOPATHIE

Etwa 15 % der Patienten mit rheumatoider Arthritis haben nur

einen kurzen Krankheitsverlauf mit geringer Entzündung und

ohne spätere Funktionseinschränkungen, und vor allem diese

Patienten weisen die gerade genannten Marker für schwere Ver-

läufe nicht auf. Es versteht sich von selbst, dass homöopathische

Behandlungserfolge nicht nur bei der rheumatoiden Arthritis,

sondern auch bei anderen Autoimmunkrankheiten gerne der

kleinen Gruppe günstiger Spontanverläufe zugerechnet werden.

Das könnte auch für folgendes Fallbeispiel gelten. Es handelt

sich hier nach der Diagnose des Rheumatologen um das Ini-

tialstadium einer chronischen Polyarthritis mit aktuell gering-

gradiger klinischer und humoraler Prozessaktivität. In so einem

frühen Stadium wissen wir nicht, wohin der Weg geht. Das

Symptom-Muster zu Beginn der Krankheit lässt nach Erkenntnis

der Rheumatologen keine Schlüsse auf die Entwicklung von

Funktionseinschränkungen zu. Für den Homöopathen bedeutet

das aber auch, dass hier noch viel eher eine homöopathische

Weichenstellung möglich ist als in den Fällen, die bereits mit

Cortison und anderen Immunsuppressiva behandelt werden.

In den letzten zehn Jahren hat sich ja die internistische Behand-

lungsstrategie der rheumatoiden Arthritis dramatisch geändert

hin zu einer frühen und aggressiven Therapie. Die damalige

Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, Prof.

Dr. Elisabeth Märker-Hermann, stellte bereits 2005 auf dem

deutschen Rheumatologen-Kongress fest: „Die neuen Thera-

piekonzepte wurden erleichtert durch die Verfügbarkeit neuer

immunsuppressiver Pharmaka wie Methotrexat, Leflunomid und

Cyclosporin sowie der TNF-alpha-Antagonisten. Es hat sich ge-

zeigt, dass der konsequente Einsatz dieser DMARDs (Disease

Modifying Antirheumatic Drugs) so früh wie möglich in einem

‚Window of Opportunity‘ erfolgen muss, um Entzündungen,

Gelenkdestruktionen und schwere Funktionseinschränkungen

zu verhindern oder zumindest wirksam zu verzögern. Schon ein

nur um 3 Monate verspäteter Einsatz einer DMARD-Therapie

hatte in neueren Studien ein schlechteres Outcome nach 5 Jah-

ren zur Folge.“

Durch die neue Strategie der Rheumatologen, frühe Arthriti-

den aggressiv anzugehen, ist das homöopathische „Window

of Opportunity“, die Gelegenheit, den Immunsupressiva sowie

denTNF-Alpha-Blockern und anderen „Biologika“ zuvorzukom-

men, noch kleiner geworden und wir müssen sie schnell und

effektiv nutzen.

FALLBEISPIEL: männlicher Patient, 60 Jahre, beginnende

rheumatoide Arthritis

Der Patient kommt vom Rheumatologen mit der Verdachtsdi-

agnose einer seropositiven chronischen Polyarthritis. Im Labor

zeigen sich deutliche Entzündungszeichen mit einer BSG von

41/60 mm/h und einem CRP von 23,0 mg/l (Normwert <3,0).

Der Rheumafaktor liegt bei 13,0 IU/l (Normwert <8,9). Beim

Röntgen von Händen und Füßen können noch keine erosiven

Veränderungen nachgewiesen werden.

Fallaufnahme:

Die Beschwerden haben vor 3 Monaten schlei-

chend begonnen mit Schmerzen und Schwellung erst im li. Hand-

gelenk, dann auch im rechten. Später kamen das Mittelgelenk des

re. Ringfingers, der linke Mittelfuß und das linke Sprunggelenk

dazu. Am Mittelfuß unten ist es ein Druckschmerz an der Stelle,

wo der Patient vor 30 Jahren den Mittelfuß gebrochen hatte.

Die mit Steifigkeit verbundenen Schmerzen sind morgens am

schlimmsten und werden im Laufe des Tages besser. Der Pati-

ent sagt: „Mittags muss ich nicht mehr hinken“. Am meisten

quälen ihn die Schmerzen in den Handgelenken. Sie gehen von

außen nach innen und es ist ein Gefühl, als ob jemand mit mit

einem Eisenrohr oder einem Stück Holz draufgeschlagen hätte.

Der Schmerz geht von außen nach innen und ist vor allem bei

der Drehbewegung zu spüren – Fenster Öffnen oder das Drehen

einer Türklinke ist mit heftigem Schmerz verbunden.

Er leidet sehr darunter, dass er durch die rheumatischen Be-

schwerden in seiner Handlungsfähigkeit so eingeschränkt ist.

Nachdem er immer viel in Haus und Garten beschäftigt war,

gerne Holz gehackt und lange Spaziergänge gemacht hat, fühlt

er sich jetzt zur Untätigkeit verdammt. Er war immer ein aktiver

Mensch, engagiert sich in verschiedenen Ehrenämtern in Kirche

und Gemeinde und ist in einem sozialen Beruf tätig. Während er

sich beruflich mit den Gefühlen anderer Menschen beschäftigt,

spricht er über seine eigenen Gefühle nur sehr karg und sachlich.

Er neigt nach eigener Aussage überhaupt nicht zu Ärger und

Aggressionen und bezeichnet sich selbst als nachgiebig. Als

Lebensziel gibt er an, „ein gottgefälliges Leben zu leben und

nicht auf andere Weiden zu schauen“. Klagen und Jammern

ist nicht seine Art und Schwierigkeiten steckt er gut weg – so