Table of Contents Table of Contents
Previous Page  9 / 14 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 9 / 14 Next Page
Page Background

Jürgen Hansel

 ¦ Ruta graveolens

SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE

7

RHEUMA

RHEUMA UND PSYCHOSOMATIK

Es gibt eine Reihe von psychologischen Untersuchungen zu

bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen von Patienten, die an

chronischer Polyarthritis leiden, und zu möglicherweise aus-

lösenden Faktoren, die dem Auftreten der Erkrankung oder

eines Schubes vorausgehen. So ist die Aggressionshemmung

bei Arthritikern ein allgemein anerkanntes und auch häufig

in der Praxis zu beobachtendes psychologisches Phänomen.

Dabei ist es wohl weniger so, dass die Aggression bewusst

unterdrückt wird, sondern eher so, dass gar keine Aggression

gefühlt wird.

Dies zeigt eine amerikanische Untersuchung an 300 Arthriti-

kern, die über 30 Monate beobachtet wurden: Die Patienten,

die angaben nur selten wütend zu sein oder die sich nicht

daran erinnern konnten, im letzten Jahr Wut empfunden zu

haben, entwickelten signifikant häufiger arthritische Schübe

als die Patienten, die sich noch kürzlich an Wut erinnern

konnten. Die höheren Testwerte in den Skalen zur Aggressi-

onshemmung scheinen also nicht eine Folge der Erkrankung,

sondern eher der Ausdruck eines disponierenden Persön-

lichkeitsmerkmals zu sein. Die Hemmung der Aggression

geht häufig mit einer generellen Blockade im Ausdruck von

Gefühlen einher.

Der Mangel an gelebter Aggressivität wird im körperlichen

Bereich kompensiert. Rheumapatienten berichten häufig von

einer starken Neigung zu physischer Aktivität in der Zeit, als

sie noch nicht krank waren. Wenn bei Menschen mit einer

solchen Persönlichkeitsstruktur und einer genetischen Dispo-

sition zu einer rheumatoiden Arthritis besondere emotionale

Belastungen auftreten, kann es zum Ausbruch der Erkran-

kung kommen. Solche Belastungen sind vor allem Ereignisse,

die eine Einbuße an persönlicher Sicherheit bedeuten – wie

der Verlust des Arbeitsplatzes, finanzielle Schwierigkeiten

oder Familienstreitigkeiten.

Offensichtlich ist das Krankheitsbild der rheumatoiden Arth-

ritis nicht nur mit bestimmten typischen körperlichen Symp-

tomen, sondern auch mit bestimmten Persönlichkeitsmerk-

malen verbunden. Für die Homöopathie bedeutet das, dass

man – auch wenn man keine klinische Homöopathie betreibt

– bei der rheumatoiden Arthritis häufig ganz bestimmten

homöopathischen Arzneimittelbildern oder Arzneifamilien

begegnet, die eben diese charakteristischen psychophysi-

schen Symptom-Muster abdecken.

zum Beispiel einen Herzinfarkt vor einigen Jahren, von dem er

nicht viel Aufhebens macht.

Seelische Verletzungen:

In der Zeit vor dem Ausbruch der

Krankheit gab es allerdings zwei Vorkommnisse, die ihn ziemlich

aus der Fassung gebracht haben. Zum einen ist die Einrichtung,

für die er seit 30 Jahren arbeitet und die er seit Längerem lei-

tet, von der Schließung bedroht, was ihn sehr beunruhigt und

verunsichert. Wenige Jahre vor der Rente fühlt er sich um seine

Lebensarbeit betrogen. Dabei kann er gar nichts tun und muss

abwarten, wie sich die Lage entwickelt.

Mindestens ebenso sehr beschäftigt ihn das Schicksal seines

Sohnes, dem ein Kind „angehängt“ wurde. Der Sohn ist tief

getroffen und verletzt, dass die Frau ihn so hereingelegt hat.

Wenn der Vater sagt: „Mein Sohn kann jetzt nicht mehr so

schalten und walten, wie er will“, leidet er selbst am meisten

darunter, dass er nichts machen kann in dieser Krise seines

Sohnes. Seine emotionale Reaktion auf die Gefährdung seines

Arbeitsplatzes und auf das Dilemma des Sohnes ist ein Gefühl

tiefer Enttäuschung. Noch nie zuvor in seinem Leben habe er

eine ähnliche Enttäuschung erlebt.

ANALYSE

In dieser Kasuistik lässt sich eine auffällige Entsprechung der

Empfindungen auf der seelischen und der körperlichen Ebene

erkennen. Der Patient erlebt zwei große Enttäuschungen. Am

meisten macht ihm das Schicksal seines Sohnes zu schaffen, mit

dem er sich stark identifiziert. Er selbst ist enttäuscht, getroffen

und tief verletzt von dem, was seinem Sohn widerfahren ist,

und diese tiefe seelische Verletzung manifestiert sich bei ihm,

der seine Emotionen schwer ausdrücken kann, körperlich: Sein

Handgelenk ist wie von einem Rohr getroffen und tief verletzt.

Wie wirken sich diese seelische Verletzung und der körperliche

Schmerz auf ihn aus? Er wird im wahrsten Sinne des Wortes

handlungsunfähig und leidet am meisten darunter, dass er nichts

machen kann. Diesen Zustand der Handlungsunfähigkeit durch

eine tiefe Verletzung, als ob jemand auf das Handgelenk ge-

schlagen hätte, kann man bei Kent repertorisieren.

Das typische Symptom:

Die Essenz des Falles verdichtet sich

dabei in einem Symptom: Extremitäten – Lahmheit – Handge-

lenke – zerschlagen; wie; calc-p.,

RUTA

.

Dieses Symptom verbindet die Lokalisation, Art und Tiefe des

Schmerzes mit der Folge, nämlich der Handlungsunfähigkeit, der

Lahmheit. Es ist eine sehr spezifische Rubrik – spezifisch nicht

nur für dieses bestimmte Beschwerdebild, sondern auch für die

Arznei Ruta graveolens. Natürlich ist es zweifelhaft, aufgrund

einer Rubrik allein ein Mittel zu verordnen. Die Rubrik ist in

diesem Fall aber Grund genug, sich mit Ruta näher zu beschäf-

tigen. Man kennt von dieser Arznei vor allem ihre organotrope

Beziehung zu den Augen und zu Sehnen, Knorpeln, Knochen-

haut und Gelenken. Da ist es besonders das Handgelenk, an

dem sich die Wirkung von Ruta zeigt. Es ist ein Hauptmittel bei

Beschwerden des Handgelenks, speziell bei rheumatischen Er-

krankungen. Dabei ist der Schmerzcharakter sehr typisch: wund,

wie zerschlagen oder zerbrochen. Das zeigen die folgenden

Symptome aus Hahnemanns Arzneimittelprüfung:

Lähmiger Druck auf der äußern Seite des rechten Vorder-

arms

Reißender Druck im rechten Handgelenke, bei starker Be-

wegung heftiger