EDITORIAL
Christa Gebhardt & Dr. Jürgen Hansel
Chefredaktion
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STEINE
EDITORIAL
SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE
Liebe Leserinnen und Leser,
Edelsteine ziehen seit Jahrtausenden die Menschen mit ihrer
magischen Schönheit in den Bann. Die glitzernden und fun-
kelnden Kostbarkeiten sind ein Symbol für Unvergänglichkeit,
Reichtum und Macht. Selbst an ungeschliffenen Kristallen zeigt
sich, welch perfekte Symmetrien und Farben die Natur hervor-
zubringen vermag. Vulkanische Aktivität bringt seit Millionen
Jahren bis heute all diese Kostbarkeiten an die Erdoberfläche.
Saphire, Smaragde und Rubine stammen wie viele andere weni-
ger edle Gesteinsarten auch aus den Tiefen unserer Erde. Unter-
schiede bestehen in Art und Reinheit ihrer Zusammensetzung,
ihrer Struktur, ihrer Härte und verschiedenen Einschlüssen, die
transparenten Edelsteinen zusätzlich farbigen Glanz verleihen.
Der Erdkern enthält die Bausteine der edlen Steine, heiße, flüs-
sige Magma ist die gewaltige Ursuppe der Mineralien. Durch
enormen Druck und immens hohe Temperaturen im Erdinne-
ren beginnen sich Atome zu vereinigen. Sie bilden Kristalle mit
symmetrischer innerer Struktur und großer Reinheit. Während
zum Beispiel der Diamant ausschließlich aus Kohlenstoff-Ato-
men in einer quadratischen Gitternetzstruktur besteht, setzen
sich andere Edelsteine wie Turmalin oder Topas aus diversen
Mineralkomplexen zusammen und bilden eigene Strukturen.
Kristalle können auch aus Metamorphosen entstehen, wenn
Temperatur und Druckbedingungen bereits existente Gesteins-
schichten verändern.
Viele Edel- bzw. Schmucksteine wurden von der Antike bis in
die frühe Neuzeit auch in der Heilkunde beschrieben, pharma-
zeutisch aufbereitet und medizinisch gebraucht. Peter Tummi-
nello hat sie für die homöopathische Praxis ins Rampenlicht
geholt und KollegInnen in aller Welt zu weiteren Forschung
angeregt. In seinem neuen Buch und in einem Überblick ex-
klusiv für SPEKTRUM hat er die sieben Kristallstrukturen kli-
nisch anwendbar gemacht. Sein Zugang zum Verstehen dieser
noch wenig bekannten Arzneien ist ein rational-mineralischer.
Die Wege zum Mittelverständnis und zur Arzneifindung sind
in dieser Materia-medica-Ausgabe von SPEKTRUM besonders
breit gefächert: von klassisch homöopathisch über Sankarans
Empfindungsmethode oder das Periodensystem nach Scholten
bis zur Psychoanalyse, Archetypischem im Volksmärchen, der
Naturheilkunde und der Esoterik.
Anne Schadde hat bereits 2006 den Weg der Prüfung gewählt,
seither intensiv die Arzneifamilie der Turmaline erforscht und mit
klinischen Fällen belegt. Ihre neuesten Kasuistiken zeigen ebenso
wie die von Marion Zachmann und Wyka Feige, auf welchen
Wegen man zu fundierten Verschreibungen und Heilerfolgen
mit Turmalinarzneien wie Dravit, Indigolith oder Chromturmalin
kommen kann. Die Zusammensetzung aus unterschiedlichen
Elementen des Periodensystems hilft bei der homöopathischen
Differenzierung. Jürgen Weiland arbeitet mit Repertorium
und Empfindungsmethode, in seiner Kinderpraxis hat sich der
Amethyst als wertvolles Mittel bei Entwicklungsverzögerung
erwiesen. Weitere Fallbeispiele von Deborah Collins und Enna
Stallinga belegen die Bedeutung gerade dieses beliebten Edel-
steins für die Homöopathie. Ihm ähnlich ist der Rosenquarz in
seiner Silicium-Struktur, der homöopathische Schwerpunkt liegt
aus Sicht von Vatsala Sperling ganz woanders.
Jane Tara Cicchetti verbindet die Erkenntnisse aus ihren klassi-
schen Arzneimittelprüfungen des Peridot mit seiner Historie und
der psychologischen Traumanalyse, um zu einem Charakterbild
dieses Steins zu gelangen. Ähnlich wie der Peridot hilft auch
der Rhodonit bei der Verarbeitung von Gewalterfahrungen, wie
Walter und Sina von Holst in ihrem Beitrag zur Anwendung der
Steinheilkunde nach Michael Gienger zeigen. Generell können
Steinarzneien Blockaden entfernen, Entwicklungsprozesse vor-
anbringen und den Menschen – wie in Claire Stanfords Beitrag
zum Smaragd – aus seinen Isolationsfallen herausholen. Julie
Geraghty macht uns mit der dunklen Seite der Macht bekannt
und führt ihre beiden schwer belasteten Patientinnen mit dem
Obsidian und dem schwarzen Opal ins Licht eines gesunden Le-
bens. Mit scharfer Beobachtungsgabe und großem Erzähltalent
beschreibt Wiet van Helmond die kompromisslose Striktheit von
Patienten, denen das Katzengold Pyrit half, verkrustete Struktu-
ren und festgefahrene Konflikte zu lösen. Die sulfurische Energie
ist in diesem Stein ebenso erkennbar wie in der Lava-Kasuistik
von Misha Norland und in Marguerite Pelts Beitrag zu Alabaster,
einer kristallinen Form von Calciumsulfat.
Für Edith Dörre erschließen sich die Geheimnisse der Steine am
besten in der Symbolik von Märchen. So erklärt sie uns den
Saphir am Beispiel von Aschenputtel, die den Weg zum indivi-
duellen Heilsein zu sich selbst über das blockierende Hindernis
der inneren Stiefschwestern findet. Wer nun einen Blick ins
Schmuckkästchen wirft, wird feststellen, sehen oder empfinden,
welcher Edelstein ihn oder sie magisch anzieht. Und welchen
er oder sie nie haben wollte. Auch wenn sie unsere urältesten
Vorfahren sind.