Sucht in der Familie den Streit: ein Fall von Kalium carbonicum

Von Rajan Sankaran, Sneha Thakkar, Rishi Vyas

 

Die 18-jährige Patientin kam zu uns mit der Diagnose idiopathische Thrombozytopenie (ITP), ihre Blutwerte waren nicht gut.

 

Die Beschwerden der jungen Frau waren im Juni 2007 zum ersten Mal aufgetreten. In diesem Monat hatte sie eine ungewöhnlich starke Regelblutung gehabt, sie blutete über 15 Tage lang, war sehr erschöpft und schwach. Die schulmedizinische Behandlung verschaffte ihr nur eine vorübergehende Erleichterung. Die nächste Mens war deutlich schlimmer als die erste, diesmal hielt die Blutung vier Wochen lang an. Auch der begleitende Erschöpfungszustand war heftiger als vorher. Am zwanzigsten Tag der Mens kamen Fieber und Schüttelfrost hinzu, die Patientin kollabierte.

 

Die Untersuchungen ergaben einen deutlich verringerten Hämoglobinwert von 3.3gm/dL, die Thrombozyten lagen bei 14 000/mikro-Liter (ein gesunder Wert liegt bei 150 000 – 440 000/mikro-Liter). Die Patientin wurde sofort in das Krankenhaus eingewiesen und bekam eine Bluttransfusion. Anschließend wurde sie hormonell behandelt um ihren Menstruationszyklus zu regulieren. Während des akuten Zustandes bestand der Verdacht einer sekundären Myelodysplasie, der sich aber nicht bestätigte. Die abschließende Diagnose lautete idiopathische Thrombozytopenie mit Blutvergiftung. Die Patientin bekam Kortison verschrieben und klagt seitdem über Menorrhagie und ekchymatöse Flecken am ganzen Körper. Seit 4 Jahren wird die Patientin jedes Jahr über einen Zeitraum von 4-5 Monaten hinweg mit hochdosiertem Kortison behandelt. Ihre Thrombozytenwerte unterliegen starken Schwankungen.

 

Von August 2011 bis 9. September 2011 fiel der Wert von 20000 auf 8000/mikro-Liter, ihre Ärzte verordneten sofort Omnacortil 60mg täglich. Die Patientin kam am 23. September 2011 zu uns, ihre Thrombozyten hatten sich erholt (auf 640000/mikro-Liter) und die Medikation auf Omnacortil 20mg/Tag herabgesetzt.

 

Neben ihren Hauptbeschwerden klagte die junge Frau über heftige Kopfschmerzen (seit 2007), die sich hauptsächlich am Scheitel lokalisieren und meist durch Sonneneinstrahlung ausgelöst werden. Die Patientin meidet deshalb die Sonne. Außerdem leidet sie unter Menstruationsbeschwerden mit Unterleibsschmerzen, die durch Vorbeugen oder Bücken gebessert werden und sich im ausgetreckten Liegen verschlimmern. Sie hat Obstipation und muss sich sehr anstrengen um jeden Tag Stuhlgang zu haben. Die Patientin fühlt sich weiterhin sehr schwach.

 

Als wir die Patientin bitten, sich selbst zu beschreiben, erzählt sie uns, dass sie von Natur aus eher ruhig sei, ein richtiger Familienmensch. Sie kann aber auch sehr schnell wütend werden, wenn sie das Gefühl hat, man hört ihr nicht richtig zu. Sie berichtet, dass diese Wutanfälle eher plötzlich auftreten und genauso schnell wieder verschwinden. In ihrem Zorn hegt sie eine deutliche Abneigung gegen den betreffenden Menschen und fühlt sie sich nicht in der Lage, mit ihm/ihr zu reden. Meistens richtet sich ihr Ärger gegen ihren Bruder, ihre Schwester oder ihre Mutter.

 

Sie reagiert empfindlich auf Lärm, es macht sie ungehalten; plötzliche Geräusche lassen sie aufschrecken. Sie berichtet: „Ich kann es nicht ertragen, wenn mich jemand anschreit – es gibt mir das Gefühl, als würde mein Trommelfell platzen.“

 

Sie erzählt weiter: „Manchmal habe ich Angst, dass jemand mich am Handgelenk packen könnte, oder mich festhält, sodass ich mich nicht mehr bewegen kann; ich kann dann nicht sprechen; es macht mir Angst. Es ist, als ob alle Organe in meinem Körper festgehalten werden und ich mich überhaupt nicht mehr bewegen kann. Es fühlt sich eng an, als würde mich jemand fest anpacken.“

 

Ihre Mutter berichtet, dass ihre Tochter im Schlaf spricht und sie zu Hilfe ruft.

 

Die junge Frau fürchtet sich vor Einbrechern und Gespenstern. Sie kann nicht alleine sein. Sie sagt: „Ich langweile mich. Ich hätte gerne immer jemanden bei mir.“ Alleine zu sein verunsichert sie. Wenn sie einen gruseligen Film ansieht, oder etwas Schreckliches passiert, kann sie nicht mehr schlafen und jemand aus der Familie muss bei ihr bleiben.

 

Manchmal hat die Patientin Albträume. Sie träumt davon, dass jemand aus ihrer Familie ertrinkt: „Ich würde am liebsten losschreien; ich will, dass jemand kommt und sie rettet. Es macht mir Angst.“

 

Sie erzählt uns von einem Vorfall, bei dem sie mitansehen musste, wie eine Freundin fast ertrunken wäre. Sie war die einzige Augenzeugin und konnte noch rechtzeitig um Hilfe rufen. Die Freundin überlebte. Seitdem fürchtet sich die Patientin vor dem Ertrinken.

 

Die junge Frau deckt sich gerne zu und schwitzt meistens am Kopf.

 

Fallanalyse

Viele von Ihnen werden sich wundern, dass wir an dieser Stelle schon von Fallanalyse sprechen – soll das heißen, die Fallaufnahme ist bereits vollständig, oder analysieren wir erst einmal, was bisher geschehen ist? Sind ausreichend Informationen vorhanden, um eine schlüssige Fallbearbeitung zuzulassen?

 

Ich würde sagen: ja! Definitiv ja. Der Fall ist vollständig genug, um ihn verstehen und das passende Mittel ausarbeiten zu können.

 

Der Schlüssel zu diesem Fall liegt im sorgfältigen Zuhören. Was sich wie eine bloße Auflistung der Symptome und eine Beschreibung der Persönlichkeit dieser jungen Frau anhören mag, ist tatsächlich der Schlüssel zum Fallverständnis. Die einfache, unkomplizierte Art des Menschen, der hier vor uns sitzt und über sich und ihre Symptome erzählt, liefert uns die Hauptsymptome, nach denen wir verschreiben müssen. Wir müssen nur genau und sorgfältig zuhören. Mir hatte die Patientin alles über sich erzählt, auch wenn die eigentlichen Informationen noch sehr spärlich ausfallen.

 

Die junge Frau beschreibt sich selbst als eher ruhig, reagiert aber jähzornig und aufbrausend, vor allem bei Lärm. Interessant ist auch, dass sie sich als Familienmensch beschreibt, obwohl sie sehr wütend und ungehalten mit ihrer Familie sein kann.

 

Wenn wir diese Symptome in die Sprache des Repertoriums übersetzen, ergibt sich Folgendes (1):

 

- Reizbarkeit durch Geräusche

- Streitsüchtig mit ihrer Familie

- Verlangen nach Gesellschaft; allein, agg. wenn

 

Ein weiteres, sehr charakteristisches Symptom, welches uns zum Mittel führt, ist die Tendenz der Patientin, sich mit den Menschen zu streiten, von denen sie abhängig ist und mit denen sie am engsten verbunden ist. Folgende Rubrik fasst dieses Symptom sehr schön in Worte:

 

- Gesellschaft, Verlangen nach: behandelt diejenigen, die sich ihm nähern, schrecklich

 

Als nächstes haben wir die auffällige Lärmempfindlichkeit, die unsere Patientin sogar bei dem geringsten Geräusch auffahren lässt:

 

- Auffahren, Zusammenfahren; Geräusche; durch

- Auffahren, Zusammenfahren; leicht, bei geringem Anlass

 

Weiter lassen die Träume der jungen Frau starke Ängste erkennen, sie schreit und ruft um Hilfe. Wir haben folgende entsprechende Rubriken:

 

- Schreien; Hilfe, um

- Schreien; Hilfe, um; Schlaf, im

 

Auffällig ist auch die ausgeprägte Angst vor dem Ertrinken, die durch den Vorfall mit ihrer Freundin ausgelöst wurde. Wenn ich keine Rubrik finden kann, die der vorliegenden Situation komplett entspricht, kombiniere ich die passenden Rubriken (Furcht, Traum, Wahnidee), die alle der Ebene der Wahnideen entsprechen. In diesem Fall ist passend:

 

- Träume; Ertrinken, vom

 

Außerdem werden im vorliegenden Fall viele Ängste auf mehreren Ebenen deutlich:

 

- Furcht vor Räubern und Gespenstern

- Furcht alleine zu sein

- Furcht um die eigenen Familienmitglieder, die in den Träumen der Patientin ertrinken.

 

Die Repertorisation mit MacRepertory gibt uns folgendes Resultat:

 

 

 

Im Ergebnis haben wir das Arzneimittel Kalium carbonicum.

 

An dieser Stelle möchte ich Sie auf die Beschreibung des Mittels in Phataks „Homöopathische Arzneimittellehre“ aufmerksam machen:

 

Allgemeines

 

- Die Schwäche, die von allen Kaliumsalzen erzeugt wird, ist bei diesem typischen Salz der Kali-Gruppe besonders ausgeprägt.

- SCHWÄCHE; der Muskeln; des Herzens; des Rückens; der Gliedmaßen; Verstandesschwäche.

- Neigung zum schreckhaften Auffahren, mit einem lauten Schrei; bei Berührung, selbst leichter, besonders der Fußsohlen, welche eine Schockwelle durch den ganzen Körper gehen lässt.

-Schwächezustände nach Fehlgeburt oder Entbindung.

 

Geist und Gemüt

 

- Ärgerlichkeit.

- Schreckhaft; fährt hoch bei Berührung, besonders der Füße; auch beim Einschlafen.

- Ängstliche Befürchtungen, Furcht allein zu sein.

- Sehr reizbar.

- Überempfindlich gegen Schmerz, Geräusche, Berührung.

- Furcht: vor der Zukunft; vor Gespenstern; vor dem Tod.

- Befürchtend und ängstlich über ihre Krankheit.

- Hadert mit seinem Los; streitet mit seiner Familie.

 

Weibliche Genitalien

 

- Heftiger Krampfschmerz vor der Regelblutung, welche die Geschlechtsteile reizt und scharf riecht.

- Blutungen, die nach Ausschabung oder anderen Therapieversuchen nicht aufhören.

- Starke Uteruskrämpfe, wenn die Regel eintreten sollte, es aber nicht tut, mit Hitze- und Unruhegefühl.

 

Auch die Beschreibung des Arzneimittels in meinem Buch ‚Die Seele der Heilmittel‘ passt sehr gut zu den Symptomen der Patientin:

 

Rubrik: Gesellschaft, Verlangen nach: behandelt diejenigen, die sich ihm nähern, schrecklich.

 

In diesem Symptom sind die drei Hauptaspekte von Kalium carbonicum vereint. Der erste Aspekt ist das Verlangen nach Gesellschaft: Sie sehnt sich nach Gesellschaft und ist auf diese angewiesen; ihr geht es schlechter, wenn sie alleine ist, braucht Unterstützung und ist gerne mit Menschen zusammen, die ihr diese Unterstützung geben. Der zweite Aspekt ist in der Unzufriedenheit der Patientin zu finden. Sie ist unzufrieden mit ihrer eigenen Abhängigkeit und behandelt deswegen ihre Familie schlecht. Als Drittes kommt die Streitsüchtigkeit hinzu: Sie ist unzufrieden, kann dies aber nicht für sich behalten, sondern sucht Streit.

 

In Phataks ‚Homöopathische Arzneimittellehre‘ finden wir Folgendes:

 

Hadert mit seinem Los; streitet mit seiner Familie.

 

Es ist das Eigentümliche an Kalium carbonicum, dass sie ihre Unzufriedenheit und Streitlust an Ehemann/Ehefrau und Familie auslassen und nicht so sehr an Außenstehenden (die Ausnahme ist hier leider der Arzt).

 

Wenn sich mehrere charakteristische Symptome zu einem stimmigen Ganzen formen und sich in dieser Gesamtheit ein bestimmtes Arzneimittel herauskristallisiert, dann würde ich dieses Mittel immer in Betracht ziehen und in der Materia Medica nachlesen. Wenn das Arzneimittelbild nun auch noch exakt mit den Symptomen des Patienten übereinstimmt, würde ich mich für dieses Mittel entscheiden.

 

Dosierung

In diesem Fall verschrieb ich eine LM Potenz. LM Potenzen sind immer dann indiziert, wenn die vorliegende Pathologie progredient, anhaltend und fortlaufend, also nicht intermittierend, ist. Der Krankheitsverlauf unserer Patientin ist in jedem Fall als progredient zu bezeichnen – sie brauchte immer öfter Kortison und nach jeder Medikation fiel der Thrombozytenwert deutlich ab. Die entsprechende Potenz ist die LM8, weil es sich bei der Erkrankung der Patientin um eine Immunschwäche handelt und die Symptome auf der Ebene der Wahnideen und Träume zum Ausdruck kamen. Sie benötigt also Kalium carbonicum LM8.

 

Follow-up am 20. Juni 2012

Die Patientin hat deutlich mehr Energie, sie schläft gut. Außer einem leichten Kopfdrücken in der Sonne hat sie keine Kopfschmerzen mehr gehabt. Sie fühlt sich immer noch schwach, aber lange nicht mehr so extrem wie vorher.

 

Ihre emotionale Verfassung und ihre Stimmung sind sehr gut. Sie reagiert kaum noch gereizt oder verärgert.

 

Sie klagt weiterhin über Obstipation, hat nur alle zwei Tage Stuhlgang und muss dann pressen.

 

Die letzte Mens der Patientin war am 18. Mai 2012, die Blutung dauerte 3 Tage und war eher spärlich. Am zweiten Tag der Regelblutung hatte die junge Frau leichte Unterleibsschmerzen, allerdings weniger heftig als zuvor. Die Menstruationsbeschwerden und die extrem starke Regelblutung haben sich also gebessert.

 

Sie berichtet, dass sie von ihrer Familie geträumt hat, vom Alltag und vom Verreisen, die Träume haben ein gutes Gefühl bei ihr hinterlassen. Sie hatte keine Albträume mehr.

 

Im Großen und Ganzen sind ihre Beschwerden deutlich besser geworden. Übrig geblieben sind eine leichte Schwäche, die darauf zurückzuführen ist, dass die Patientin jetzt auch wieder mehr laufen kann und sie nicht daran gewöhnt ist, und Obstipation.

 

Verschreibung: Kalium carbonicum LM8

 

Follow-up am 20. Oktober 2012

Der Patientin geht es viel besser. Vor zwei Tagen lagen ihre Thrombozyten bei 378000/mikro-Liter. Sie ist glücklich, dass sich ihre Werte zunehmend erholen, obwohl sie kein Kortison mehr bekommt.

 

Sie hat immer noch Kopfschmerzen, wenn sie sich in der Sonne aufhält, diese sind aber nicht mehr so stark und treten auch nicht mehr so häufig auf.

 

Sie hat keine Obstipation mehr; sie hat täglich Stuhlgang, der Stuhl geht unproblematisch ab.

 

Ihre letzte Mens dauerte 4 Tage, die Blutung war mäßig. Am zweiten Tag hatte sie leichte Unterleibsschmerzen, die die Patientin aber als erträglich empfand.

Die Patientin berichtet uns, dass sie schon seit längerer Zeit keine Flecken mehr auf der Haut hat.

 

Auch allgemein geht es ihr gut, in der Schule hat sie keine Probleme. Sie erzählt, dass sie kaum noch gereizt oder wütend ist und sich mit ihrer Familie jetzt blendend versteht. Sie sagt, es gehe ihr zu 60% besser.

 

Verschreibung: Kalium carbonicum LM8

 

Die Mutter der Patientin leidet unter der gleichen Krankheit wie ihre Tochter und wird nun auch in unserer Klinik ‚The Other Song‘ behandelt.

 

Zusammenfassung der Blutbilder der Patientin

 

Datum

Thrombozytenzahl

(pro mikro-Liter)

Normwert

(pro mikro-Liter)

Kortison

Homöopathische Behandlung

20.08.2011

20 000

150000-450000

Keine

--

09.09.2011

8000

150000-450000

Omnacortil

60mg

--

23.09.2011

604000

150000-450000

Omnacortil

20mg

Kali carb 0/8 ab 24.09.2011

21.10.2011

455100

150000-450000

Omnacortil 10mg, jeden zweiten Tag

Kali carb 0/8

23.11.2011

209000

150000-450000

Omnacortil 5mg, jeden zweiten Tag

Kali carb 0/8

10.12.2011

287000

150000-450000

Kortison abgesetzt

Kali carb 0/8

26.12.2011

129200

150000-450000

Nahm 15 Tage lang jeden zweiten Tag 10mg Kortison; setzte das Medikament am 26.01.12 ab

Kali carb 0/8

26.01.2012

320000

150000-450000

Kein Kortison

Kali carb 0/8

25.02.2012

329000

150000-450000

Kein Kortison

Kali carb 0/8

15.05.2012

102000

150000-450000

Kein Kortison

Kali carb 0/8

01.06.2012

148400

150000-450000

Kein Kortison

Kali carb 0/8

20.08.2012

200000

150000-450000

Kein Kortison

Kali carb 0/8

12.09.2012

200000

150000-450000

Kein Kortison

Kali carb 0/8

18.10.2012

378000

150000-450000

Kein Kortison

Kali carb 0/8

 

Diskussion und Schlussfolgerung

 

In der Schulmedizin ist der Handlungsspielraum für die Therapie von ITP begrenzt: hauptsächlich kommen hier Glukokortikoide und IVIG-Therapie (intravenös verabreichtes Immunoglobulin) zum Einsatz. Weitere Optionen sind Steroide, Medikamente zur Immunsuppression und Splenektomie, Therapien, die aufgrund ihrer möglichen Nebenwirkungen kontraindiziert sein können. Die unerwünschten Nebenwirkungen einer Kortisonbehandlung sind bekannt: Osteoporose, Glaukom, Katarakte, Muskelschwund und erhöhtes Infektionsrisiko. Bei der immunsuppressiven Behandlung und der Splenektomie kommen Immunschwäche, erhöhtes Infektionsrisiko und Sepsis hinzu. (http://emedicine.medscape.com/article/779545-medication)

 

Unsere Patientin nimmt bereits seit 4 Jahren Glukokortikoide. Wäre es denn ethisch vertretbar gewesen, eine junge Frau ihres Alters einer Behandlung zu unterziehen, die teils schwere und irreversible Nebenwirkungen haben kann und die Belastung für die Patientin zusätzlich zu ihrer schweren Erkrankung noch erhöht? Gibt es Alternativen? In diesem Fall stellte sich die Homöopathie als richtige Therapieform heraus. Eine einfache, sanfte Heilmethode, die keine unerwünschten Nebenwirkungen hat und der Patientin auf ganzheitlicher Ebene – körperlich und seelisch – zur Genesung verhalf. Erstaunliche Ergebnisse wie dieses stärken das Vertrauen unserer Patienten in die Homöopathie und lassen auch uns Homöopathen selbstbewusster werden. Es bestärkt uns, immer wieder die wunderbare Wirkung der Homöopathie erleben zu dürfen.

 

An dieser Stelle stellt sich die Frage, wie man solche Ergebnisse durchgehend erzielen kann. Eine gewisse Scharfsinnigkeit in der Fallaufnahme ist unerlässlich. Als Homöopath sollte man nicht nur in der Lage sein zu verstehen, was der Patient uns wirklich sagen will, während er seine Geschichte oder das Drama seines Lebens erzählt, sondern diese Information auch richtig einordnen können.

 

Im vorliegenden Fall kommen die Rubriken sehr schön zum Ausdruck, zum Beispiel diese: ‚ Gesellschaft, Verlangen nach: behandelt diejenigen, die sich ihm nähern, schrecklich‘. Man kann dies nur verstehen, wenn man lernt, zwischen den Zeilen zu lesen und das Gesagte richtig einordnet. Bei dieser Patientin waren die Symptome sehr auffallend und zeigten sich schon nach relativ kurzer Zeit sehr deutlich.

 

Wir müssen flexibel bleiben in unseren Ansätzen und so agieren, wie der Fall es verlangt. Hahnemann schreibt in §83 seines Organon der Heilkunst: „Diese individualisierende Untersuchung eines Krankheits-Falles, wozu ich hier nur eine allgemeine Anleitung gebe und wovon der Krankheits-Untersucher nur das, für den jedesmaligen Fall Anwendbare beibehält, verlangt von dem Heilkünstler nichts als Unbefangenheit und gesunde Sinne, Aufmerksamkeit im Beobachten und treue im Aufzeichnen des Bildes der Krankheit“. Hahnemann schreibt hier ausdrücklich, dass es für das Verständnis eines Falles keinen rigiden, festgelegten Ansatz geben kann. Jeder Fall ist einzigartig und bedarf einer individuellen Betrachtung. Analyse und Auswertung anhand der in der Anamnese erhobenen Daten werden von Fall zu Fall unterschiedlich ausfallen.

 

Hier liegt der Schlüssel zum Erfolg – die verschiedenen Ansätze zu beherrschen und das anwenden, was für den jeweils vorliegenden Fall richtig und angemessen ist. Nach ein paar Jahren wird man feststellen, dass sich die unterschiedlichen Ansätze zu einem wunderbaren Ganzen vereinen und auch in ihren unterschiedlichen Anwendungen zu dem gleichen Ergebnis führen – zu dem Arzneimittel, das zum Patienten passt wie der Schlüssel ins Schloss.

 

Es ist diese Flexibilität, die uns erfolgreich werden lässt und uns durchgehend gute Ergebnisse bringt. Uns Homöopathen wird es neues Selbstvertrauen bringen und uns dazu motivieren, unsere Heilkunst auch weiterhin zum Wohl der ganzen Menschheit auszuüben.

 

  1. Rubriken aus The Complete Repertory, 2012, von Roger van Zandvoort, MacRepertory 8.2.0.1

 

Dieses Fallbeispiel wurde ursprünglich unter http://theothersong.wordpress.com/ im Newsletter ‚Voice‘ veröffentlicht.

 

Kategorie: Fälle

Schlüsselwörter: Idiopathische Thrombozytopenie, reizbar durch Geräusche, streitsüchtig mit der Familie, Verlangen Gesellschaft; Träume von Ertrinken

Mittel: Kalium carbonicum

 

 

Sucht in der Familie den Streit: ein Fall von Kalium carbonicum

Von Rajan Sankaran, Sneha Thakkar, Rishi Vyas

 

Die 18-jährige Patientin kam zu uns mit der Diagnose idiopathische Thrombozytopenie (ITP), ihre Blutwerte waren nicht gut.

 

Die Beschwerden der jungen Frau waren im Juni 2007 zum ersten Mal aufgetreten. In diesem Monat hatte sie eine ungewöhnlich starke Regelblutung gehabt, sie blutete über 15 Tage lang, war sehr erschöpft und schwach. Die schulmedizinische Behandlung verschaffte ihr nur eine vorübergehende Erleichterung. Die nächste Mens war deutlich schlimmer als die erste, diesmal hielt die Blutung vier Wochen lang an. Auch der begleitende Erschöpfungszustand war heftiger als vorher. Am zwanzigsten Tag der Mens kamen Fieber und Schüttelfrost hinzu, die Patientin kollabierte.

 

Die Untersuchungen ergaben einen deutlich verringerten Hämoglobinwert von 3.3gm/dL, die Thrombozyten lagen bei 14 000/mikro-Liter (ein gesunder Wert liegt bei 150 000 – 440 000/mikro-Liter). Die Patientin wurde sofort in das Krankenhaus eingewiesen und bekam eine Bluttransfusion. Anschließend wurde sie hormonell behandelt um ihren Menstruationszyklus zu regulieren. Während des akuten Zustandes bestand der Verdacht einer sekundären Myelodysplasie, der sich aber nicht bestätigte. Die abschließende Diagnose lautete idiopathische Thrombozytopenie mit Blutvergiftung. Die Patientin bekam Kortison verschrieben und klagt seitdem über Menorrhagie und ekchymatöse Flecken am ganzen Körper. Seit 4 Jahren wird die Patientin jedes Jahr über einen Zeitraum von 4-5 Monaten hinweg mit hochdosiertem Kortison behandelt. Ihre Thrombozytenwerte unterliegen starken Schwankungen.

 

Von August 2011 bis 9. September 2011 fiel der Wert von 20000 auf 8000/mikro-Liter, ihre Ärzte verordneten sofort Omnacortil 60mg täglich. Die Patientin kam am 23. September 2011 zu uns, ihre Thrombozyten hatten sich erholt (auf 640000/mikro-Liter) und die Medikation auf Omnacortil 20mg/Tag herabgesetzt.

 

Neben ihren Hauptbeschwerden klagte die junge Frau über heftige Kopfschmerzen (seit 2007), die sich hauptsächlich am Scheitel lokalisieren und meist durch Sonneneinstrahlung ausgelöst werden. Die Patientin meidet deshalb die Sonne. Außerdem leidet sie unter Menstruationsbeschwerden mit Unterleibsschmerzen, die durch Vorbeugen oder Bücken gebessert werden und sich im ausgetreckten Liegen verschlimmern. Sie hat Obstipation und muss sich sehr anstrengen um jeden Tag Stuhlgang zu haben. Die Patientin fühlt sich weiterhin sehr schwach.

 

Als wir die Patientin bitten, sich selbst zu beschreiben, erzählt sie uns, dass sie von Natur aus eher ruhig sei, ein richtiger Familienmensch. Sie kann aber auch sehr schnell wütend werden, wenn sie das Gefühl hat, man hört ihr nicht richtig zu. Sie berichtet, dass diese Wutanfälle eher plötzlich auftreten und genauso schnell wieder verschwinden. In ihrem Zorn hegt sie eine deutliche Abneigung gegen den betreffenden Menschen und fühlt sie sich nicht in der Lage, mit ihm/ihr zu reden. Meistens richtet sich ihr Ärger gegen ihren Bruder, ihre Schwester oder ihre Mutter.

 

Sie reagiert empfindlich auf Lärm, es macht sie ungehalten; plötzliche Geräusche lassen sie aufschrecken. Sie berichtet: „Ich kann es nicht ertragen, wenn mich jemand anschreit – es gibt mir das Gefühl, als würde mein Trommelfell platzen.“

 

Sie erzählt weiter: „Manchmal habe ich Angst, dass jemand mich am Handgelenk packen könnte, oder mich festhält, sodass ich mich nicht mehr bewegen kann; ich kann dann nicht sprechen; es macht mir Angst. Es ist, als ob alle Organe in meinem Körper festgehalten werden und ich mich überhaupt nicht mehr bewegen kann. Es fühlt sich eng an, als würde mich jemand fest anpacken.“

 

Ihre Mutter berichtet, dass ihre Tochter im Schlaf spricht und sie zu Hilfe ruft.

 

Die junge Frau fürchtet sich vor Einbrechern und Gespenstern. Sie kann nicht alleine sein. Sie sagt: „Ich langweile mich. Ich hätte gerne immer jemanden bei mir.“ Alleine zu sein verunsichert sie. Wenn sie einen gruseligen Film ansieht, oder etwas Schreckliches passiert, kann sie nicht mehr schlafen und jemand aus der Familie muss bei ihr bleiben.

 

Manchmal hat die Patientin Albträume. Sie träumt davon, dass jemand aus ihrer Familie ertrinkt: „Ich würde am liebsten losschreien; ich will, dass jemand kommt und sie rettet. Es macht mir Angst.“

 

Sie erzählt uns von einem Vorfall, bei dem sie mitansehen musste, wie eine Freundin fast ertrunken wäre. Sie war die einzige Augenzeugin und konnte noch rechtzeitig um Hilfe rufen. Die Freundin überlebte. Seitdem fürchtet sich die Patientin vor dem Ertrinken.

 

Die junge Frau deckt sich gerne zu und schwitzt meistens am Kopf.

 

Fallanalyse

Viele von Ihnen werden sich wundern, dass wir an dieser Stelle schon von Fallanalyse sprechen – soll das heißen, die Fallaufnahme ist bereits vollständig, oder analysieren wir erst einmal, was bisher geschehen ist? Sind ausreichend Informationen vorhanden, um eine schlüssige Fallbearbeitung zuzulassen?

 

Ich würde sagen: ja! Definitiv ja. Der Fall ist vollständig genug, um ihn verstehen und das passende Mittel ausarbeiten zu können.

 

Der Schlüssel zu diesem Fall liegt im sorgfältigen Zuhören. Was sich wie eine bloße Auflistung der Symptome und eine Beschreibung der Persönlichkeit dieser jungen Frau anhören mag, ist tatsächlich der Schlüssel zum Fallverständnis. Die einfache, unkomplizierte Art des Menschen, der hier vor uns sitzt und über sich und ihre Symptome erzählt, liefert uns die Hauptsymptome, nach denen wir verschreiben müssen. Wir müssen nur genau und sorgfältig zuhören. Mir hatte die Patientin alles über sich erzählt, auch wenn die eigentlichen Informationen noch sehr spärlich ausfallen.

 

Die junge Frau beschreibt sich selbst als eher ruhig, reagiert aber jähzornig und aufbrausend, vor allem bei Lärm. Interessant ist auch, dass sie sich als Familienmensch beschreibt, obwohl sie sehr wütend und ungehalten mit ihrer Familie sein kann.

 

Wenn wir diese Symptome in die Sprache des Repertoriums übersetzen, ergibt sich Folgendes (1):

 

- Reizbarkeit durch Geräusche

- Streitsüchtig mit ihrer Familie

- Verlangen nach Gesellschaft; allein, agg. wenn

 

Ein weiteres, sehr charakteristisches Symptom, welches uns zum Mittel führt, ist die Tendenz der Patientin, sich mit den Menschen zu streiten, von denen sie abhängig ist und mit denen sie am engsten verbunden ist. Folgende Rubrik fasst dieses Symptom sehr schön in Worte:

 

- Gesellschaft, Verlangen nach: behandelt diejenigen, die sich ihm nähern, schrecklich

 

Als nächstes haben wir die auffällige Lärmempfindlichkeit, die unsere Patientin sogar bei dem geringsten Geräusch auffahren lässt:

 

- Auffahren, Zusammenfahren; Geräusche; durch

- Auffahren, Zusammenfahren; leicht, bei geringem Anlass

 

Weiter lassen die Träume der jungen Frau starke Ängste erkennen, sie schreit und ruft um Hilfe. Wir haben folgende entsprechende Rubriken:

 

- Schreien; Hilfe, um

- Schreien; Hilfe, um; Schlaf, im

 

Auffällig ist auch die ausgeprägte Angst vor dem Ertrinken, die durch den Vorfall mit ihrer Freundin ausgelöst wurde. Wenn ich keine Rubrik finden kann, die der vorliegenden Situation komplett entspricht, kombiniere ich die passenden Rubriken (Furcht, Traum, Wahnidee), die alle der Ebene der Wahnideen entsprechen. In diesem Fall ist passend:

 

- Träume; Ertrinken, vom

 

Außerdem werden im vorliegenden Fall viele Ängste auf mehreren Ebenen deutlich:

 

- Furcht vor Räubern und Gespenstern

- Furcht alleine zu sein

- Furcht um die eigenen Familienmitglieder, die in den Träumen der Patientin ertrinken.

 

Die Repertorisation mit MacRepertory gibt uns folgendes Resultat:

 

 

 

Im Ergebnis haben wir das Arzneimittel Kalium carbonicum.

 

An dieser Stelle möchte ich Sie auf die Beschreibung des Mittels in Phataks „Homöopathische Arzneimittellehre“ aufmerksam machen:

 

Allgemeines

 

- Die Schwäche, die von allen Kaliumsalzen erzeugt wird, ist bei diesem typischen Salz der Kali-Gruppe besonders ausgeprägt.

- SCHWÄCHE; der Muskeln; des Herzens; des Rückens; der Gliedmaßen; Verstandesschwäche.

- Neigung zum schreckhaften Auffahren, mit einem lauten Schrei; bei Berührung, selbst leichter, besonders der Fußsohlen, welche eine Schockwelle durch den ganzen Körper gehen lässt.

-Schwächezustände nach Fehlgeburt oder Entbindung.

 

Geist und Gemüt

 

- Ärgerlichkeit.

- Schreckhaft; fährt hoch bei Berührung, besonders der Füße; auch beim Einschlafen.

- Ängstliche Befürchtungen, Furcht allein zu sein.

- Sehr reizbar.

- Überempfindlich gegen Schmerz, Geräusche, Berührung.

- Furcht: vor der Zukunft; vor Gespenstern; vor dem Tod.

- Befürchtend und ängstlich über ihre Krankheit.

- Hadert mit seinem Los; streitet mit seiner Familie.

 

Weibliche Genitalien

 

- Heftiger Krampfschmerz vor der Regelblutung, welche die Geschlechtsteile reizt und scharf riecht.

- Blutungen, die nach Ausschabung oder anderen Therapieversuchen nicht aufhören.

- Starke Uteruskrämpfe, wenn die Regel eintreten sollte, es aber nicht tut, mit Hitze- und Unruhegefühl.

 

Auch die Beschreibung des Arzneimittels in meinem Buch ‚Die Seele der Heilmittel‘ passt sehr gut zu den Symptomen der Patientin:

 

Rubrik: Gesellschaft, Verlangen nach: behandelt diejenigen, die sich ihm nähern, schrecklich.

 

In diesem Symptom sind die drei Hauptaspekte von Kalium carbonicum vereint. Der erste Aspekt ist das Verlangen nach Gesellschaft: Sie sehnt sich nach Gesellschaft und ist auf diese angewiesen; ihr geht es schlechter, wenn sie alleine ist, braucht Unterstützung und ist gerne mit Menschen zusammen, die ihr diese Unterstützung geben. Der zweite Aspekt ist in der Unzufriedenheit der Patientin zu finden. Sie ist unzufrieden mit ihrer eigenen Abhängigkeit und behandelt deswegen ihre Familie schlecht. Als Drittes kommt die Streitsüchtigkeit hinzu: Sie ist unzufrieden, kann dies aber nicht für sich behalten, sondern sucht Streit.

 

In Phataks ‚Homöopathische Arzneimittellehre‘ finden wir Folgendes:

 

Hadert mit seinem Los; streitet mit seiner Familie.

 

Es ist das Eigentümliche an Kalium carbonicum, dass sie ihre Unzufriedenheit und Streitlust an Ehemann/Ehefrau und Familie auslassen und nicht so sehr an Außenstehenden (die Ausnahme ist hier leider der Arzt).

 

Wenn sich mehrere charakteristische Symptome zu einem stimmigen Ganzen formen und sich in dieser Gesamtheit ein bestimmtes Arzneimittel herauskristallisiert, dann würde ich dieses Mittel immer in Betracht ziehen und in der Materia Medica nachlesen. Wenn das Arzneimittelbild nun auch noch exakt mit den Symptomen des Patienten übereinstimmt, würde ich mich für dieses Mittel entscheiden.

 

Dosierung

In diesem Fall verschrieb ich eine LM Potenz. LM Potenzen sind immer dann indiziert, wenn die vorliegende Pathologie progredient, anhaltend und fortlaufend, also nicht intermittierend, ist. Der Krankheitsverlauf unserer Patientin ist in jedem Fall als progredient zu bezeichnen – sie brauchte immer öfter Kortison und nach jeder Medikation fiel der Thrombozytenwert deutlich ab. Die entsprechende Potenz ist die LM8, weil es sich bei der Erkrankung der Patientin um eine Immunschwäche handelt und die Symptome auf der Ebene der Wahnideen und Träume zum Ausdruck kamen. Sie benötigt also Kalium carbonicum LM8.

 

Follow-up am 20. Juni 2012

Die Patientin hat deutlich mehr Energie, sie schläft gut. Außer einem leichten Kopfdrücken in der Sonne hat sie keine Kopfschmerzen mehr gehabt. Sie fühlt sich immer noch schwach, aber lange nicht mehr so extrem wie vorher.

 

Ihre emotionale Verfassung und ihre Stimmung sind sehr gut. Sie reagiert kaum noch gereizt oder verärgert.

 

Sie klagt weiterhin über Obstipation, hat nur alle zwei Tage Stuhlgang und muss dann pressen.

 

Die letzte Mens der Patientin war am 18. Mai 2012, die Blutung dauerte 3 Tage und war eher spärlich. Am zweiten Tag der Regelblutung hatte die junge Frau leichte Unterleibsschmerzen, allerdings weniger heftig als zuvor. Die Menstruationsbeschwerden und die extrem starke Regelblutung haben sich also gebessert.

 

Sie berichtet, dass sie von ihrer Familie geträumt hat, vom Alltag und vom Verreisen, die Träume haben ein gutes Gefühl bei ihr hinterlassen. Sie hatte keine Albträume mehr.

 

Im Großen und Ganzen sind ihre Beschwerden deutlich besser geworden. Übrig geblieben sind eine leichte Schwäche, die darauf zurückzuführen ist, dass die Patientin jetzt auch wieder mehr laufen kann und sie nicht daran gewöhnt ist, und Obstipation.

 

Verschreibung: Kalium carbonicum LM8

 

Follow-up am 20. Oktober 2012

Der Patientin geht es viel besser. Vor zwei Tagen lagen ihre Thrombozyten bei 378000/mikro-Liter. Sie ist glücklich, dass sich ihre Werte zunehmend erholen, obwohl sie kein Kortison mehr bekommt.

 

Sie hat immer noch Kopfschmerzen, wenn sie sich in der Sonne aufhält, diese sind aber nicht mehr so stark und treten auch nicht mehr so häufig auf.

 

Sie hat keine Obstipation mehr; sie hat täglich Stuhlgang, der Stuhl geht unproblematisch ab.

 

Ihre letzte Mens dauerte 4 Tage, die Blutung war mäßig. Am zweiten Tag hatte sie leichte Unterleibsschmerzen, die die Patientin aber als erträglich empfand.

Die Patientin berichtet uns, dass sie schon seit längerer Zeit keine Flecken mehr auf der Haut hat.

 

Auch allgemein geht es ihr gut, in der Schule hat sie keine Probleme. Sie erzählt, dass sie kaum noch gereizt oder wütend ist und sich mit ihrer Familie jetzt blendend versteht. Sie sagt, es gehe ihr zu 60% besser.

 

Verschreibung: Kalium carbonicum LM8

 

Die Mutter der Patientin leidet unter der gleichen Krankheit wie ihre Tochter und wird nun auch in unserer Klinik ‚The Other Song‘ behandelt.

 

Zusammenfassung der Blutbilder der Patientin

 

Datum

Thrombozytenzahl

(pro mikro-Liter)

Normwert

(pro mikro-Liter)

Kortison

Homöopathische Behandlung

20.08.2011

20 000

150000-450000

Keine

--

09.09.2011

8000

150000-450000

Omnacortil

60mg

--

23.09.2011

604000

150000-450000

Omnacortil

20mg

Kali carb 0/8 ab 24.09.2011

21.10.2011

455100

150000-450000

Omnacortil 10mg, jeden zweiten Tag

Kali carb 0/8

23.11.2011

209000

150000-450000

Omnacortil 5mg, jeden zweiten Tag

Kali carb 0/8

10.12.2011

287000

150000-450000

Kortison abgesetzt

Kali carb 0/8

26.12.2011

129200

150000-450000

Nahm 15 Tage lang jeden zweiten Tag 10mg Kortison; setzte das Medikament am 26.01.12 ab

Kali carb 0/8

26.01.2012

320000

150000-450000

Kein Kortison

Kali carb 0/8

25.02.2012

329000

150000-450000

Kein Kortison

Kali carb 0/8

15.05.2012

102000

150000-450000

Kein Kortison

Kali carb 0/8

01.06.2012

148400

150000-450000

Kein Kortison

Kali carb 0/8

20.08.2012

200000

150000-450000

Kein Kortison

Kali carb 0/8

12.09.2012

200000

150000-450000

Kein Kortison

Kali carb 0/8

18.10.2012

378000

150000-450000

Kein Kortison

Kali carb 0/8

 

Diskussion und Schlussfolgerung

 

In der Schulmedizin ist der Handlungsspielraum für die Therapie von ITP begrenzt: hauptsächlich kommen hier Glukokortikoide und IVIG-Therapie (intravenös verabreichtes Immunoglobulin) zum Einsatz. Weitere Optionen sind Steroide, Medikamente zur Immunsuppression und Splenektomie, Therapien, die aufgrund ihrer möglichen Nebenwirkungen kontraindiziert sein können. Die unerwünschten Nebenwirkungen einer Kortisonbehandlung sind bekannt: Osteoporose, Glaukom, Katarakte, Muskelschwund und erhöhtes Infektionsrisiko. Bei der immunsuppressiven Behandlung und der Splenektomie kommen Immunschwäche, erhöhtes Infektionsrisiko und Sepsis hinzu. (http://emedicine.medscape.com/article/779545-medication)

 

Unsere Patientin nimmt bereits seit 4 Jahren Glukokortikoide. Wäre es denn ethisch vertretbar gewesen, eine junge Frau ihres Alters einer Behandlung zu unterziehen, die teils schwere und irreversible Nebenwirkungen haben kann und die Belastung für die Patientin zusätzlich zu ihrer schweren Erkrankung noch erhöht? Gibt es Alternativen? In diesem Fall stellte sich die Homöopathie als richtige Therapieform heraus. Eine einfache, sanfte Heilmethode, die keine unerwünschten Nebenwirkungen hat und der Patientin auf ganzheitlicher Ebene – körperlich und seelisch – zur Genesung verhalf. Erstaunliche Ergebnisse wie dieses stärken das Vertrauen unserer Patienten in die Homöopathie und lassen auch uns Homöopathen selbstbewusster werden. Es bestärkt uns, immer wieder die wunderbare Wirkung der Homöopathie erleben zu dürfen.

 

An dieser Stelle stellt sich die Frage, wie man solche Ergebnisse durchgehend erzielen kann. Eine gewisse Scharfsinnigkeit in der Fallaufnahme ist unerlässlich. Als Homöopath sollte man nicht nur in der Lage sein zu verstehen, was der Patient uns wirklich sagen will, während er seine Geschichte oder das Drama seines Lebens erzählt, sondern diese Information auch richtig einordnen können.

 

Im vorliegenden Fall kommen die Rubriken sehr schön zum Ausdruck, zum Beispiel diese: ‚ Gesellschaft, Verlangen nach: behandelt diejenigen, die sich ihm nähern, schrecklich‘. Man kann dies nur verstehen, wenn man lernt, zwischen den Zeilen zu lesen und das Gesagte richtig einordnet. Bei dieser Patientin waren die Symptome sehr auffallend und zeigten sich schon nach relativ kurzer Zeit sehr deutlich.

 

Wir müssen flexibel bleiben in unseren Ansätzen und so agieren, wie der Fall es verlangt. Hahnemann schreibt in §83 seines Organon der Heilkunst: „Diese individualisierende Untersuchung eines Krankheits-Falles, wozu ich hier nur eine allgemeine Anleitung gebe und wovon der Krankheits-Untersucher nur das, für den jedesmaligen Fall Anwendbare beibehält, verlangt von dem Heilkünstler nichts als Unbefangenheit und gesunde Sinne, Aufmerksamkeit im Beobachten und treue im Aufzeichnen des Bildes der Krankheit“. Hahnemann schreibt hier ausdrücklich, dass es für das Verständnis eines Falles keinen rigiden, festgelegten Ansatz geben kann. Jeder Fall ist einzigartig und bedarf einer individuellen Betrachtung. Analyse und Auswertung anhand der in der Anamnese erhobenen Daten werden von Fall zu Fall unterschiedlich ausfallen.

 

Hier liegt der Schlüssel zum Erfolg – die verschiedenen Ansätze zu beherrschen und das anwenden, was für den jeweils vorliegenden Fall richtig und angemessen ist. Nach ein paar Jahren wird man feststellen, dass sich die unterschiedlichen Ansätze zu einem wunderbaren Ganzen vereinen und auch in ihren unterschiedlichen Anwendungen zu dem gleichen Ergebnis führen – zu dem Arzneimittel, das zum Patienten passt wie der Schlüssel ins Schloss.

 

Es ist diese Flexibilität, die uns erfolgreich werden lässt und uns durchgehend gute Ergebnisse bringt. Uns Homöopathen wird es neues Selbstvertrauen bringen und uns dazu motivieren, unsere Heilkunst auch weiterhin zum Wohl der ganzen Menschheit auszuüben.

 

  1. Rubriken aus The Complete Repertory, 2012, von Roger van Zandvoort, MacRepertory 8.2.0.1

 

Dieses Fallbeispiel wurde ursprünglich unter http://theothersong.wordpress.com/ im Newsletter ‚Voice‘ veröffentlicht.

 

Kategorie: Fälle

Schlüsselwörter: Idiopathische Thrombozytopenie, reizbar durch Geräusche, streitsüchtig mit der Familie, Verlangen Gesellschaft; Träume von Ertrinken

Mittel: Kalium carbonicum

 

 





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