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Spektrum der HomöopathiE
Annette Sneevliet ¦ 
Psilocybe caerulescens
Pilze ¦ 
Haluzinogene
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fällt auseinander, die Prozesse sind nicht mehr miteinander ver-
bunden. Es ist dunkel. In meinem Körper herrscht eine unorga-
nisierte Anarchie.
Kommentar:
Wovon redet sie? Wir hören von diversen Be-
schwerden und achten auf den Tonfall ihrer Erzählung. Manch-
mal kann dieser Tonfall Hinweise liefern, die auf das Tier-, Mi-
neral- oder Pflanzenreich verweisen. In diesem Fall ist das nicht
so klar. Was wir sehen, sind viele Handbewegungen, was nor-
malerweise zeigt, dass wir es eher mit einer Pflanze oder einem
Tier als mit einem Mineral zu tun haben. Die Worte, die von
Handbewegungen begleitet werden, sprechen die Sprache des
Mittels am deutlichsten. Dies waren folgende Worte:
Die Wortwahl der Patientin:
feine Linien
verwirrt durch die Zerstörung von Hirngewebe
Menschen sind eine unendliche Kraftquelle.
Transformation
Orientierungslosigkeit
anderen eine Transformation ermöglichen
Energieaustausch
der Körper wird aufgefressen
Chaos und Zersetzung
alles fällt auseinander
eine unorganisierte Anarchie im Körper
Diese Worte weisen uns die Richtung, in der wir den Fall weiter
untersuchen müssen.
A:
Erzählen Sie mir mehr über Orientierungslosigkeit, Transfor-
mation, dass der Körper aufgefressen wird, Chaos, dass alles
auseinander fällt.
P:
All meine Muskeln verschwinden, sie lösen sich auf, als wür-
den sie aufgefressen. Als würden Millionen Käfer daran knab-
bern (HG). Es ist eine Art Selbstzerstörung (HG). Die Verbin-
dung wird aufgefressen (HG). Zersetzung, alles fällt auseinander
(HG). Ich assoziiere das mit dem Sterben. Alles verliert die Ver-
bindung. Es bleiben Chaos und Zerstörung: verdaut werden
(HG). Bakterien und Hormone, die alles abbauen (HG). Schleim-
bildend, wie Salzsäure, die das Gewebe auflöst.
Analyse
Betrachten wir die von ihr verwendeten Bilder näher:
„Als würden Millionen Käfer an mir knabbern.“
„Wie Salzsäure, die das Gewebe auflöst.“
Das ist die Ebene der Vorstellungen, der Bildsprache. Die Emp-
findung, die Sprache des Mittels selbst, liegt unter diesen Bil-
dern verborgen. Sie liegt im Erleben der Millionen Käfer und im
Erleben der Salzsäure.
A:
Wie erleben Sie die knabbernden Käfer, die Salzsäure?
P:
Die Nervenverbindungen werden gekappt (HG). Die Verbin-
dungen werden aufgelöst (HG). Ich werde auf einen Sack voller
Knochen reduziert (HG). Ein Haufen Materie, die abgebaut
wird. Ich bin sterblich. Da sind Schleimspuren, die alles auflösen
Teonanacatl – Fleisch der Götter
Historische Quellen belegen, dass Rauschpilze aus
der Gattung Psilocybe lange vor Ankunft der Spa-
nier in Mexico rituell verspeist und in religiösen
Zeremonien benutzt wurden. Die ältesten Pilzstei-
ne – mittelamerikanische Steinplastiken in Form
eines Hutpilzes – werden von Archäologen bis ins
10. Jahrhundert von Christus datiert.
Christliche Missionare verdammten den zeremo-
niellen Gebrauch der Pilze und drängten ihn in
den Untergrund. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts
wurden Ethnologen auf das Fortbestehen des Pilz-
kultes aufmerksam. Mit Hilfe der mexikanischen
Schamanin Maria Sabrina konnte der amerikani-
sche Privatgelehrte R. Gordon Wasson nicht nur
an einem Pilz-Ritual teilnehmen, sondern schließ-
lich auch einige Exemplare der Rauschpilze bota-
nisch bestimmen und chemisch untersuchen las-
sen. Albert Hoffman, der Entdecker des LSD,
isolierte zwei Substanzen, die er Psilocin und Psilo-
cybin nannte, als halluzinogene Wirkstoffe der
Psilocybe-Arten. In einem Test dieser später von
ihm synthetisierten Stoffe konnte die Heilerin Ma-
rina Sabrina keinen Unterschied in der Wirkung
zu den von ihr benutzen Zauberpilzen erkennen.
Die Preisgabe Jahrhunderte alter Geheimnisse
durch Maria Sabrina wurde von vielen ihrer Scha-
manen-Kollegen als Verrat am heiligen Brauch-
tum empfunden. Und tatsächlich trug der dadurch
ausgelöste Pilztourismus in den siebziger Jahren
in Mexiko zum Niedergang des schamanistischen
Gebrauchs von Teonanacatl bei. Ein ähnliches
Schicksal traf auch Peyotl, den Kaktus Anhaloni-
um lewini mit vergleichbarer halluzinogener Wir-
kung. Die Magic Mushrooms sind heute in der
Drogenszene weit verbreitet. Dabei werden in Eu-
ropa auch heimische Pilze wie der Spitzkegelige
Kahlkopf, Psilocybe semilanceata, verwendet. Es
gibt Hinweise, dass er früher von Alpennomaden
rituell verspeist wurde.
Literatur: Christian Rätsch, Roger Liggensdorfer
(Hg.): „Pilze der Götter“, AT Verlag, Aarau 1998
Copyright: Foto Psilocybe semilanceata / Shutter-
stock / Eddie R Rodriquez
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