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Angelika Bolte und Jörg Wichmann

 ¦ Natrium nitricum

SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE

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3. REIHE DES PERIODENSYSTEMS ¦ 

SILIZIUMSERIE

che der Freundin alles nach, alle Rhythmen des Tages, das gibt

Sicherheit / ich bin in einer Rolle / ich habe keine eigene Idee /

ich mag nicht allein sein.

Hierin begegnet uns eine ganz andere Erlebenswelt, die nicht

in die 2. Periode passt. Es muss also eine weitere Komponente

in dem Mittel geben, womit wir es nicht nur mit einem ein-

zelnen Element zu tun haben, sondern mit einem Salz. Die

angeführten Formulierungen drehen sich um die Frage: Wer

bin ich eigentlich? Bin ich anders als andere? Bin ich wie meine

Freundin? – Das ist die Sprache der 3. Periode, in der es um

die Identitätsbildung im Verhältnis zu einem Gegenüber geht.

Der Weg der 3. Reihe führt von der Identifizierung mit dem Du

(Natrium) über das bewusste Zurückstellen eigener Ansprüche

um der Harmonie willen (Magnesium) bis hin zur Anti-Haltung

allen anderen gegenüber (Chlor). Ganz eindeutig und in diesem

Falle leicht zu erkennen ist die Haltung des „Ich will sein wie

Du!“, das Kennzeichen des Natrium in der 3. Periode.

Es handelt sich bei dem gesuchten Arzneimittel also um ein Salz,

das eine Natrium- und eine Stickstoffkomponente haben muss.

Mit dieser Analyse auf der Basis der Empfindungsmethode kom-

men wir zu dem Mittel Natriumnitrat, Natrium nitricum, dem

Natronsalpeter oder Chilesalpeter. Dieser ist das Natriumsalz der

Salpetersäure, NaNO

3

. Wir kennen es als Lebensmittelzusatzstoff

E 251 (Pökelsalz) und vor allem als Düngemittel. Seine wichtigste

natürliche Quelle ist der sogenannte Guano, die Ausscheidungen

der Meeresvögel auf südamerikanischen Küsteninseln. Guano ent-

hält 7–8 %, selten bis zu 60 % Nitrate als Kaliumnitrat (Kalisal-

peter) oder vor allem Natriumnitrat (Chilesalpeter).

SALPETER

Salpeter (von lat. sal petrae, „Felsensalz“) ist der Trivialname

einiger häufig vorkommender Nitrate.

Salpeterarten:

Ammonsalpeter brennbarer Salpeter (Ammoniumnitrat)

Barytsalpeter

(Bariumnitrat)

Chilesalpeter

Natronsalpeter (Natriumnitrat)

Bengalsalpeter

Kalisalpeter (Kaliumnitrat)

Kalksalpeter

Mauersalpeter (Calciumnitrat)

Homöopathisch wichtige Nitrate: NO

3

-Verbindungen:

Silbernitrat

– Argentum nitricum

– Arg-n

Glyceroltrinitrat – Glonoinum

– Glon

Kaliumnitrat

– Kalium nitricum

– Kali-n

Mercurius solubilis – NH

2

Hg

2

NO

3

+ Hg

2

O – Merc

Kalium- und Natriumnitrat kommen beide im Guano vor und

wurden beide als explosive Basis des Schwarzpulvers verwendet,

des wichtigsten vormodernen Sprengstoffs.

Weitere weniger wichtige Nitrate sind:

Bismuthum subnitricum – Bism

Cobaltum nitricum – Cob-n

Plutonium nitricum – Plut-n

Materia medica:

Durch Repertorisieren wäre man sicherlich nicht

auf dieses kleine Mittel gestoßen, und ein Blick in die gängige

Materia medica trägt auch nichts Erhellendes bei. Um aber eine

solche ungewöhnliche Arzneiwahl zu untermauern, werfen wir

einen Blick auf die Prüfungssymptome von Nat-n im Verdauungs-

bereich. Da finden wir in Allen‘s Encyclopedia (Bd. VI, S. 599):

„Auftreibung und Gefühl von Schwere im Unterbauch mit starkem

Ausstoß von Blähungen (…). Schmerzloses Rumoren im Darm.

Blähungsbeschwerden, … Etwas Schmerzen im Darm (…), gefolgt

von drei sukzessiven Attacken von Durchfall mit Erleichterung des

Schmerzes. (…) Der Stuhl bestand immer aus isolierten Stuhlmas-

sen, die mit großer Mühe entleert wurden; und in den letzten

Tagen der Prüfung hatte er einen andauernden Stuhldrang.”

Eine gut passende Beschreibung der Symptomatik. Und bei Lee-

ser heißt es: „Die Stuttgarter Prüfer haben auch eine Reihe von

Verdauungsstörungen beobachtet, wie Blähungsbeschwerden,

saures Aufstoßen mit Neigung zu Durchfall oder doch weichen

Stuhl, wobei aber die Stuhlentleerung selbst erschwert war oder

Gefühl des Nichtfertigseins bestand. Dies bei der 30., 6. und 3.

Potenz, (…) bei der 3. breiige und durchfällige Stühle.“ (Leesers

Lehrbuch der Homöopathie, Bd. 2, Mineralische Arzneistoffe,

Heidelberg 1988, S. 343).

Verschreibung und Verlauf:

Die Patientin erhielt eine ein-

malige Gabe Nat-n C 200 und erlebte ein schnelles Ende des

Schubes, der zum Zeitpunkt der Anamnese schon einige Zeit

andauerte und sich nicht beeinflussen ließ. In der Folge stabi-

lisierte sich Ihre Gesundheit bei normaler Verdauung, sie hatte

mehr Muße und war weniger hektisch. Wenige Monate später

nahm sie erstmals seit vielen Jahren wieder an Gewicht zu. Seit

einem Jahr ist sie frei von erneuten Schüben geblieben und mit

dem Verlauf sehr zufrieden.

Kommentar:

Das Miasma würden wir nach unseren Beobach-

tungen in diesem Fall als typhoid einstufen, denn die Patientin

ist trotz langjähriger Rückschläge weiter optimistisch und glaubt

daran, schnell gesund werden zu können – der psorische Aspekt

der Reaktionsdynamik („Miasma“). Außerdem erleben wir an

ihr eine hohe Dringlichkeit (nicht der Beschwerden, denn diese

gehört zur Empfindung des Nitrogeniums) in den Behandlungs-

versuchen, die sie immer wieder wechselt und dabei viel Druck

macht – der akute Aspekt der Dynamik. Beide Aspekte zusam-

men kennzeichnen eine Reaktionsdynamik, die im Sinne der

Empfindungsmethode als typhoid bezeichnet wird.

Für ein weitergehendes Verständnis der Substanz Salpeter, aus

der wir unser Mittel Natrium nitricum gewinnen, können wir

die auf Arte gelaufene Dokumentation „360° – GEO Reportage:

Guano, Schatzinseln und Vogeldreck“ sehr empfehlen (Trailer

auf YouTube, der Film selbst scheint zurzeit schwer zu finden).

Dieser Film zeigt das unvorstellbar harte Leben der Männer,

die diesen Guano abbauen, ein Alltag, der reduziert ist auf ein

bisschen Kontakt zur Familie und das Graben im Kot. Genau

diese beiden Aspekte bestimmen auch unsere Fallgeschichte:

ein wenig Familienleben und die Gebundenheit an den Ort der

Ausscheidungen.