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EDITORIAL

EDITORIAL

SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE

Christa Gebhardt & Dr. Jürgen Hansel

Chefredaktion

Liebe Leserinnen und Leser,

seit Constantin Herings spektakulärem Selbstversuch im Jahre

1828 übt die Schlange auf Homöopathen eine besondere Fas-

zination aus. James Tyler Kent konstatierte in seiner Vorlesung

zur Buschmeisterschlange: „Lachesis ist häufig angezeigt, wes-

halb man dieses Mittel besonders gut studieren sollte. Lachesis

scheint für das ganze Menschengeschlecht zu passen, denn

das Wesen der Menschen entspricht dispositionsmäßig und

charakterlich der Schlangennatur und Schlangengift ruft nur

das hervor, was schon im Menschen ist.“ Die Schlangennatur

kennen wir nicht nur aus Mythologie und Biologie, sie ist in uns

und wir können sie fühlen in den archaischen Tiefen unseres

Reptiliengehirns. Hier sind die spezifischen Reaktionsmuster ge-

speichert, die uns neben den Prüfungssymptomen zur Verord-

nung einer Arznei aus der Gruppe der Schlangen und anderer

Reptilien führen können.

Lachesis und mittlerweile einige andere Schlangengifte können

wir repertorisieren, viele andere Arzneimittel aus der Gruppe der

Reptilien finden wir nur, wenn wir diese typischen Reaktions-

muster und Gruppenmerkmale der Reptilien kennen. SPEKTRUM

möchte in dieser Ausgabe eine Brücke schlagen von bekann-

ten und bewährten Arzneien wie Lachesis, Crotalus oder Elaps

zu exotischen Mitteln, die nicht nur von Schlangen, sondern

auch von Echsen, Krokodilen oder Schildkröten stammen. Da-

bei bringt Jörg Wichmann zunächst einmal Klarheit in die Sys-

tematik dieser so unterschiedlichen Kriechtiere und Bhawisha

Joshi fasst die gemeinsamen homöopathischen Merkmale dieser

heterogenen Arzneigruppe zusammen. Auf dieser Basis lässt sich

die Zuordnung zu den Reptilien in den zahlreichen folgenden

Fallbeispielen gut nachvollziehen.

Einen großen Beitrag zu dieser Fallsammlung hat das Kollektiv

der Akademie „The Other Song“ in Mumbai geleistet. An drei

bekannten Schlangengiften verbinden Rajan Sankaran, Pratik

Desai und Rishi Vyas klassische Materia medica mit bekannten

Schlangenthemen und den Erkenntnissen der Empfindungsme-

thode. Auf diese Methode, die das innere Erleben des Patienten in

direkte Beziehung zu biologischen Eigenheiten einer Arzneiquelle

setzt, stützen sich Sankaran, Meghna Shah und Sujit Chatterjee

ebenso wie Vatsala Sperling, wenn sie ein Mittel verordnen, das

aus dem Panzer einer Schildkröte gewonnen wurde. Orientierung

bieten auch hier zunächst die allgemeinen Reptilienthemen, um

Empfindungen wie „nackt und ungeschützt“ bzw. „abgeschirmt

von einer harten Schale“ den Testudines und nicht den Mollusken

zuzuordnen. Die Gruppenanalyse hilft auch Sigrid Lindemann,

bei zwei hyperaktiven Kindern Echsen- von Spinnenarzneien zu

differenzieren. In beiden Fällen weist allerdings auch die besondere

Beziehung der jungen Patienten zu Schlangen und Echsen den

Weg zur Arznei, ähnlich wie in Tali Levis Kasuistik die Identifikation

der Patientin mit einem Alligator.

Solche Verordnungen ohne eine solide homöopathische Ba-

sis von Arzneimittelprüfungen und klinischer Erfahrung sind

zunächst einmal hypothetisch und mit dem Risiko der Speku-

lation behaftet. Anderseits können Behandlungserfolge wie in

den Kasuistiken zu Krokodil-, Echsen- und Schildkrötenarzneien

unser bislang spärliches Wissen über diese Untergruppen der

Reptilien nach und nach erweitern und überdies das methodi-

sche Vorgehen bestätigen. Das gilt auch für das Experiment mit

dem Unbewussten, das Susan Sonz zu der erfolgreichen Be-

handlung einer schweren Posttraumatischen Belastungsstörung

mit potenziertem Salamander geführt hat. Auch wenn es sich

hier nicht um ein Reptil, sondern um ein Amphibium handelt,

wollten wir Ihnen diese spannende Geschichte aus New York

nicht vorenthalten.

Wie Sonz stellen auch Andreas Richter und Jayesh Shah eigene

Ansätze vor. Richter erkennt Schlangenarzneien wie Hydrophis

und Vipera berus an den für sie typischen Bindungsstörungen.

Shah führt seine Patientin während der Fallaufnahme auf eine

homöopathische Heilreise mit dem Ziel einer unmittelbaren

Transformation. Dieser Prozess wird dann mit der gut fundier-

ten Verordnung von Cenchris contortrix weitergeführt, einem

der hochpotenten Schlangengifte, die in der Homöopathie auch

bei schwersten Pathologien eingesetzt werden. Beispiele dafür

präsentieren Greta und Jürgen Faust mit zwei Blutungskrank-

heiten und Ulrich Welte mit dem seltenen Klippel-Trénaunay-

Syndrom. Während hier wie im Mamba-Fall von Bénédicte

Echard die Toxikologie eine wichtige Rolle spielt, müssen sich

Ulrike Schuller-Schreib und Susan Sonz in ihren Fallbeispielen zu

den ungiftigen Würgeschlangen Python und Boa wieder auf die

Empfindungsmethode verlassen. Weil dieser Weg zum Simile

bei tierischen Arzneien scheinbar besonders leicht aufzuspüren

und nachzuvollziehen ist, sollte er hier allerdings auch besonders

vorsichtig beschritten werden. Deshalb gilt gerade für diese

Ausgabe von SPEKTRUM: „Macht’s nach, aber macht’s genau

und sorgfältig nach!“

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