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SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE

Deborah Collins

 ¦ Crocus sativus

84

LILIALES

FALLBEISPIEL: Patientin, 48 Jahre alt, Bipolare Störung

Fallaufnahme:

Frau R. ist sehr farbig und ausdrucksstark ge-

kleidet. Sie zeigt ein rasches breites Lächeln und blickt ein wenig

ängstlich drein. Sie spricht lebhaft und lehnt sich häufig über

den Schreibtisch, um meine Hand zu berühren. In ihren späten

Jugendjahren hatte sie unter einer schweren Depression gelitten,

die schließlich als Bipolare Störung diagnostiziert worden war,

und zwar als BS mit „Rapid Cycling“. Diese Sonderform zeichnet

sich aus durch sehr rasche Stimmungswechsel, gegen die sie im

Laufe der Jahre einen ganzen Medikamentencocktail erhalten hat.

BERICHT DER PATIENTIN,

NACH THEMEN GEORDNET

Grenzenlos:

„Sie haben alles an mir ausprobiert! Aber ich will

vom Lithium weg. Es ruiniert meine Nieren, ich bin die ganze

Zeit ängstlich und kann deswegen nicht Auto fahren. Ich habe

immer sehr wenig geschlafen, nur anderthalb Stunden pro

Nacht. Ich war hypervigilant, ich hörte alles, was Sie sich nur

vorstellen können. Lithium half mir zu schlafen, aber jetzt kann

ich meinen Körper kaum noch spüren. Ich bin empfindlich gegen

alles: Gerüche, Konsistenzen, Wärme, Farben, als würde alles

in mich eindringen. Ich kann fühlen, was andere fühlen, ich

habe keine Grenzen. Wenn ich eine Blume betrachte, werde

ich zu dieser Blume, wenn ich einen Vogel betrachte, ist mir, als

würde ich fliegen. Das gibt mir ein Gefühl der Verbundenheit.

Ich brauche die Natur, die Tiere – ich liebe das Gefühl des Regens

und des Sonnenscheins. In den Bergen werde ich zum Berg,

ich fliege mit den Krähen. Ich spreche mit der Krähe und spüre

ihren Schmerz und ihre Angst. Ich bin die geborene Schamanin,

aber ich kann nichts Konstruktives damit anfangen. Es überfällt

mich nur und ergreift von mir Besitz. In einer Großstadt fühle

ich, was die Leute fühlen, das gibt mir das Gefühl, weniger

allein zu sein.“

Existenz, alles oder nichts:

„Für mich besteht alles nur aus

Superlativen, ich liebe es. Alles ist großartig, oder es ist gar

nichts. Ich habe keine Grenzen, es ist alles zu viel. Ich gebe und

gebe, aber es wird nicht angenommen; es ist offensichtlich zu

viel für andere, sie schrecken zurück, und dann bin ich wieder

allein. Ich will geben, will teilnehmen, einbezogen werden. Bei

Tieren ist das einfach, die kommunizieren mit mir. Es ist eine

Osmose. Ich habe einen starken Drang zu kommunizieren, da-

mit ich mich nicht so allein, so getrennt fühle. Wenn ich mich

getrennt fühle, ist es, als würde ich nicht existieren. Wenn mein

Partner mich aus irgendeinem Grund nicht anfassen will, ist es,

als würde ich nicht existieren. Ich existiere nur in einer Bezie-

hung. Ich habe eine sehr starke sexuelle Energie, aber das ist für

den anderen oft zu viel. Ich muss lieben, ich muss geben. Für

mich ist Liebe eine Obsession. Ohne sie existiere ich nicht, ich

fühle die ganze Trauer der Welt. Ich möchte in Utopia leben, in

einer vollkommenen Welt, wo alle einander lieben. Ich möchte

die ganze Welt umarmen, jeden glücklich machen. Ich möchte

allen helfen. Ich gebe alles, was ich habe, alles oder nichts, es

gibt keinen Mittelweg. Ich bin immer verliebt, leidenschaftlich

verliebt. Ich kann nicht ohne einen anderen leben, so könnte ich

nie glücklich sein. Wenn ich allein bin, sagt eine Stimme: ‚Das

schaffst du nie.‘ Ich fange Sachen an, die gut laufen, aber ich

brauche Unterstützung, ich kann nicht allein sein.“

Beziehung, ein- und ausgeschlossen sein:

„Allein zu sein, ist

in Ordnung, aber nur, wenn ich es will – und ich will es so gut

wie nie. Aber von der Welt ausgeschlossen zu sein, das ist wie bei

lebendigem Leib tot zu sein, das Schlimmste, was es gibt. Nicht

in einer Beziehung zu leben, das ist unvorstellbar. Ich habe einer

Freundin geholfen, als sie krank war, habe ihr meine ganze Liebe

und Hilfe gegeben, und als sie wieder gesund war, hat sie mich

einfach fallen gelassen. Da ist meine Welt zerbrochen.

Ich habe in sozialen Diensten gearbeitet, habe die ganze Zeit an-

deren geholfen, habe mich täglich mit viel mehr Leuten getroffen

als jeder andere aus dem Team, aber mir hat das eine Menge

Energie gegeben. Jetzt bin ich zu müde, um arbeiten zu können.“

Schutzlos ausgeliefert:

„Mein Schmerz kommt von meiner

Mutter – ich habe das Gefühl, nie wirklich erwünscht gewesen

zu sein. Sie liebte ihre Arbeit, aber nicht ihre Kinder. Sie verstand

sich nicht mit meinem Vater, sie haben die ganze Zeit gestritten.

Mein Bruder hat mich sexuell missbraucht, er steckte mir Gegen-

stände in die Scheide. Aus diesem Grund hatte ich viele Jahre

lang Scheidenausfluss. Meine Mutter hat mich nie beschützt.

Ich hatte eine toxische Beziehung zu ihr, deshalb habe ich sie

seit Jahren schon nicht mehr gesehen.

In meiner Jugend hatte ich es sehr schwer. Ich hatte nur eine

gute Freundin, und wenn da etwas nicht gut lief, fühlte ich

mich von mir selbst abgeschnitten. Ich fühlte sehr viel, konnte

meine Gefühle aber nicht mitteilen. Ich habe mich die ganze

Zeit einsam gefühlt.“

ANALYSE

Liliales:

Ihre große Sensibilität und die Veränderlichkeit ihrer

Stimmungen verweisen auf das Pflanzenreich. Zwar wird Li-

thium seit jeher bei der Behandlung der Bipolaren Störung ein-

gesetzt, doch die Pflanzen haben eine noch stärkere Neigung zu

Stimmungsschwankungen als die Minerale. Hier sehen wir alle

Themen der Lilienordnung: ausgeprägte Sexualität, starker Be-

ziehungswunsch, Angst vor Ausgrenzung und eine ausgeprägte

Empfindlichkeit gegen Gerüche, Konsistenzen, Geräusche und

Eindrücke.

Muttermittel:

Bei ihrem Mangel an Grenzen, ihrem fehlenden

Filter, könnte man an das Muttermittel Vernix caseosa denken,

in das alle Eindrücke aus der Außenwelt eindringen, als hätte es

keine Haut. Doch in diesem Fall ist die Sensibilität etwas, was sie

sucht und wonach sie sich sehnt; sie öffnet sich selbst vollständig

der Außenwelt und nimmt jede mögliche Empfindung in sich

auf, um sich nicht ausgeschlossen zu fühlen, nicht allein zu sein.

Sie verliert sich selbst in einem Meer aus Empfindungen, ohne

die sie das Gefühl hätte, nicht zu existieren.

Große Resonanz:

Man könnte versucht sein, ihr eine Vielzahl

von Mitteln zu geben aus allem, womit sie in Resonanz steht: