SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE
Deborah Collins
¦ Crocus sativus
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LILIALES
FALLBEISPIEL: Patientin, 48 Jahre alt, Bipolare Störung
Fallaufnahme:
Frau R. ist sehr farbig und ausdrucksstark ge-
kleidet. Sie zeigt ein rasches breites Lächeln und blickt ein wenig
ängstlich drein. Sie spricht lebhaft und lehnt sich häufig über
den Schreibtisch, um meine Hand zu berühren. In ihren späten
Jugendjahren hatte sie unter einer schweren Depression gelitten,
die schließlich als Bipolare Störung diagnostiziert worden war,
und zwar als BS mit „Rapid Cycling“. Diese Sonderform zeichnet
sich aus durch sehr rasche Stimmungswechsel, gegen die sie im
Laufe der Jahre einen ganzen Medikamentencocktail erhalten hat.
BERICHT DER PATIENTIN,
NACH THEMEN GEORDNET
Grenzenlos:
„Sie haben alles an mir ausprobiert! Aber ich will
vom Lithium weg. Es ruiniert meine Nieren, ich bin die ganze
Zeit ängstlich und kann deswegen nicht Auto fahren. Ich habe
immer sehr wenig geschlafen, nur anderthalb Stunden pro
Nacht. Ich war hypervigilant, ich hörte alles, was Sie sich nur
vorstellen können. Lithium half mir zu schlafen, aber jetzt kann
ich meinen Körper kaum noch spüren. Ich bin empfindlich gegen
alles: Gerüche, Konsistenzen, Wärme, Farben, als würde alles
in mich eindringen. Ich kann fühlen, was andere fühlen, ich
habe keine Grenzen. Wenn ich eine Blume betrachte, werde
ich zu dieser Blume, wenn ich einen Vogel betrachte, ist mir, als
würde ich fliegen. Das gibt mir ein Gefühl der Verbundenheit.
Ich brauche die Natur, die Tiere – ich liebe das Gefühl des Regens
und des Sonnenscheins. In den Bergen werde ich zum Berg,
ich fliege mit den Krähen. Ich spreche mit der Krähe und spüre
ihren Schmerz und ihre Angst. Ich bin die geborene Schamanin,
aber ich kann nichts Konstruktives damit anfangen. Es überfällt
mich nur und ergreift von mir Besitz. In einer Großstadt fühle
ich, was die Leute fühlen, das gibt mir das Gefühl, weniger
allein zu sein.“
Existenz, alles oder nichts:
„Für mich besteht alles nur aus
Superlativen, ich liebe es. Alles ist großartig, oder es ist gar
nichts. Ich habe keine Grenzen, es ist alles zu viel. Ich gebe und
gebe, aber es wird nicht angenommen; es ist offensichtlich zu
viel für andere, sie schrecken zurück, und dann bin ich wieder
allein. Ich will geben, will teilnehmen, einbezogen werden. Bei
Tieren ist das einfach, die kommunizieren mit mir. Es ist eine
Osmose. Ich habe einen starken Drang zu kommunizieren, da-
mit ich mich nicht so allein, so getrennt fühle. Wenn ich mich
getrennt fühle, ist es, als würde ich nicht existieren. Wenn mein
Partner mich aus irgendeinem Grund nicht anfassen will, ist es,
als würde ich nicht existieren. Ich existiere nur in einer Bezie-
hung. Ich habe eine sehr starke sexuelle Energie, aber das ist für
den anderen oft zu viel. Ich muss lieben, ich muss geben. Für
mich ist Liebe eine Obsession. Ohne sie existiere ich nicht, ich
fühle die ganze Trauer der Welt. Ich möchte in Utopia leben, in
einer vollkommenen Welt, wo alle einander lieben. Ich möchte
die ganze Welt umarmen, jeden glücklich machen. Ich möchte
allen helfen. Ich gebe alles, was ich habe, alles oder nichts, es
gibt keinen Mittelweg. Ich bin immer verliebt, leidenschaftlich
verliebt. Ich kann nicht ohne einen anderen leben, so könnte ich
nie glücklich sein. Wenn ich allein bin, sagt eine Stimme: ‚Das
schaffst du nie.‘ Ich fange Sachen an, die gut laufen, aber ich
brauche Unterstützung, ich kann nicht allein sein.“
Beziehung, ein- und ausgeschlossen sein:
„Allein zu sein, ist
in Ordnung, aber nur, wenn ich es will – und ich will es so gut
wie nie. Aber von der Welt ausgeschlossen zu sein, das ist wie bei
lebendigem Leib tot zu sein, das Schlimmste, was es gibt. Nicht
in einer Beziehung zu leben, das ist unvorstellbar. Ich habe einer
Freundin geholfen, als sie krank war, habe ihr meine ganze Liebe
und Hilfe gegeben, und als sie wieder gesund war, hat sie mich
einfach fallen gelassen. Da ist meine Welt zerbrochen.
Ich habe in sozialen Diensten gearbeitet, habe die ganze Zeit an-
deren geholfen, habe mich täglich mit viel mehr Leuten getroffen
als jeder andere aus dem Team, aber mir hat das eine Menge
Energie gegeben. Jetzt bin ich zu müde, um arbeiten zu können.“
Schutzlos ausgeliefert:
„Mein Schmerz kommt von meiner
Mutter – ich habe das Gefühl, nie wirklich erwünscht gewesen
zu sein. Sie liebte ihre Arbeit, aber nicht ihre Kinder. Sie verstand
sich nicht mit meinem Vater, sie haben die ganze Zeit gestritten.
Mein Bruder hat mich sexuell missbraucht, er steckte mir Gegen-
stände in die Scheide. Aus diesem Grund hatte ich viele Jahre
lang Scheidenausfluss. Meine Mutter hat mich nie beschützt.
Ich hatte eine toxische Beziehung zu ihr, deshalb habe ich sie
seit Jahren schon nicht mehr gesehen.
In meiner Jugend hatte ich es sehr schwer. Ich hatte nur eine
gute Freundin, und wenn da etwas nicht gut lief, fühlte ich
mich von mir selbst abgeschnitten. Ich fühlte sehr viel, konnte
meine Gefühle aber nicht mitteilen. Ich habe mich die ganze
Zeit einsam gefühlt.“
ANALYSE
Liliales:
Ihre große Sensibilität und die Veränderlichkeit ihrer
Stimmungen verweisen auf das Pflanzenreich. Zwar wird Li-
thium seit jeher bei der Behandlung der Bipolaren Störung ein-
gesetzt, doch die Pflanzen haben eine noch stärkere Neigung zu
Stimmungsschwankungen als die Minerale. Hier sehen wir alle
Themen der Lilienordnung: ausgeprägte Sexualität, starker Be-
ziehungswunsch, Angst vor Ausgrenzung und eine ausgeprägte
Empfindlichkeit gegen Gerüche, Konsistenzen, Geräusche und
Eindrücke.
Muttermittel:
Bei ihrem Mangel an Grenzen, ihrem fehlenden
Filter, könnte man an das Muttermittel Vernix caseosa denken,
in das alle Eindrücke aus der Außenwelt eindringen, als hätte es
keine Haut. Doch in diesem Fall ist die Sensibilität etwas, was sie
sucht und wonach sie sich sehnt; sie öffnet sich selbst vollständig
der Außenwelt und nimmt jede mögliche Empfindung in sich
auf, um sich nicht ausgeschlossen zu fühlen, nicht allein zu sein.
Sie verliert sich selbst in einem Meer aus Empfindungen, ohne
die sie das Gefühl hätte, nicht zu existieren.
Große Resonanz:
Man könnte versucht sein, ihr eine Vielzahl
von Mitteln zu geben aus allem, womit sie in Resonanz steht: