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EDITORIAL

Christa Gebhardt & Dr. Jürgen Hansel

Chefredaktion

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HORMONE

EDITORIAL

SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE

Liebe Leserinnen und Leser,

es ist für uns gerade bei klinischen Themen immer wieder span-

nend, ob und wie sich die Puzzlesteine ganz unterschiedlicher

Autoren aus aller Welt nach und nach zu einem Bild ergänzen.

So schälte sich beispielsweise in unserem Borreliose-Heft aus

zahlreichen Fallbeispielen das Thema des Opfers heraus, das

ausgesaugt und ausgelaugt wird. Bei unserer aktuellen Aus-

gabe war bald klar, dass der unerfüllte Kinderwunsch einen

Schwerpunkt der hormonellen Probleme in den homöopathi-

schen Praxen darstellt. Besonders gerne wird dabei das Syndrom

der polyzystischen Ovarien (PCOS) diagnostiziert, bei dem der

Follikelsprung häufig ausbleibt, weil die Eizellen nicht fertig

ausgereift sind.

Dazu erreichten uns zwei Kasuistiken, die eine erstaunliche

Ähnlichkeit in der Patientengeschichte aufweisen: Beide Frauen

sind „nicht ausgereift“, weil ihr kindliches Bedürfnis nach Zu-

wendung und Fürsorge nie ausreichend erfüllt wurde. Beide

kompensieren ihren Mangel an Liebe durch übermäßiges Essen

und dadurch, dass sie sich verstärkt um andere kümmern und

ihre Unabhängigkeit betonen. Die amerikanische Patientin erhält

Lac delphinum von Sally Williams, die indische Homöopathin

Vasudha Vij gibt ihrer Patientin Gossypium aus der Familie der

Malvengewächse. Bei gleicher Pathologie und ähnlicher Psycho-

dynamik wird hier das homöopathische Prinzip der Individuali-

sierung besonders deutlich.

An dieser Stelle lieferte uns Christina Ari den Schlüssel zum

Puzzle. Die österreichische Ärztin hat über viele Jahre Erfah-

rungen mit Folliculinum bei Störungen des weiblichen Hormon-

haushalts gesammelt. Das potenzierte Östrogen bewährt sich

besonders bei Frauen, deren individuelle Persönlichkeitsstruktur

nicht ausgereift ist, die sich schlecht abgrenzen können, sich ab-

hängig fühlen und sich nach einem Leben in Selbstbestimmung

sehnen. Sie sind bemüht sich um alles und jeden zu kümmern

und verlieren sich selbst dabei in ihrer Hingabe. Ari spricht bei

diesem Reaktionsmuster vom folliculinischen oder hormonellen

Miasma, das wir in den Fällen von Vij und Williams deutlich

wiedererkennen können.

In dieses Miasma passen auch die Unsicherheit und die Selbst-

zweifel von Scandium in der Kasuistik von Shekhar Algundgi.

Liegt der Fokus mehr auf Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen,

kommen wir zu Mitteln wie Aurum muriaticum und Cyclamen,

die von den Frauenärztinnen Ute Bullemer und Andrea Stad-

ler vorgestellt werden. Stadler hat viele Jahre in einer Kinder-

wunschpraxis gearbeitet und beschreibt die Sorgen und Nöte

der Betroffenen sehr plastisch. In den Belastungen durch die

moderne Fruchtbarkeitsmedzin oder durch jahrelange Einnahme

der Pille, vor allem aber durch den ständigen Kontakt mit ubi-

quitären Xenoöstrogenen in der Umwelt, sieht nicht nur Ari

das Übel, aus dem das hormonelle Miasma entsteht. Bei der

miasmatischen Behandlung kann man dabei durchaus auch an

andere hormonelle Sarkoden denken. So geben Sujit Chatterjee,

Gaurang Gaikwad und Amruta Hede aus Mumbai neben Fol-

liculinum auch die Hypophysen-Sarkode Pituitaria anterior und

das potenzierte Gelbkörperhormon Progesteronum.

Maria Klompé setzt zusammen mit ihren Kollegen von der ho-

möopathischen Fruchtbarkeits-Poliklinik in Utrecht häufig auch

Sarkoden aus der Gruppe der Muttermittel ein. Sie folgt dem

Protokoll von Liz Lalor, das Sarkoden und andere Ergänzungsmit-

tel mit einer konstitutionellen Behandlung kombiniert, und kann

damit große Erfolge in der Kinderwunschtherapie vorweisen. Die

Simile-Arznei bleibt dabei ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg

unabhängig von der angewandten Methode. Wyka Feige fand

ein „pflanzliches Meerestier-Mineral“ durch die unbewussten

sprachlichen Hinweise ihrer Patientin, die dann mithilfe von

Spongia schwanger wurde. Unter den Meerestieren scheinen

die Fische eine besondere Beziehung zu Sexualität und Fertilität

zu haben. Viktória Bodrogi erklärt das aus der Biologie und nutzt

in ihren Fallbeispielen auch die Signatur.

Ein gut gewähltes Konstitutionsmittel braucht keinen bekann-

ten Bezug zum weiblichen Hormonhaushalt, um dessen Gleich-

gewicht wieder herzustellen. Das zeigen Ose Heins Kasuistik

von Lac lupinum bei PCOS und ein Fall von PMS, den Martin

Jakob nach der Pflanzentheorie Jan Scholtens mit Geranium

maculatum behandelte. Die Sicherheit der Verordnung steigt

jedoch, wenn das ganzheitlich angezeigte Simile einen klaren

Organbezug hat wie in den Trilliumfällen von Markus Kuntosch

und Sally Williams. Oder wenn Deborah Collins in einem Fall

von klimakterischen Schweißausbrüchen über den Pflanzencode

zur gleichen Arznei kommt wie über eine bewährte Indikation.

Beschwerden der Wechseljahre lassen sich generell sehr erfolg-

reich homöopathisch behandeln. Das zeigt eine eindrucksvolle

Studie von Nonna Reschke an 40 Frauen, denen in einer Total-

operation Gebärmutter und Eierstöcke entfernt wurden. Dank

Homöopathie konnte die miasmatische Belastung durch eine

Hormontherapie vermieden werden. Das hormonelle Miasma

wird uns dennoch zunehmend beschäftigen.