Flipbook Leseprobe - page 3

EDITORIAL
Christa Gebhardt & Dr. Jürgen Hansel
Chefredaktion
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WÜRZE DES LEBENS ¦ 
LAMIACEAE UND PIPERACEAE
EDITORIAL
SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE
Liebe Leserinnen und Leser,
die zwei Pflanzenfamilien, die wir Ihnen in dieser Ausgabe vor-
stellen, stehen für ein typisches Lebensgefühl unserer modernen
Gesellschaft. „Mir ist sooo langweilig“, sagen schon die Kinder
und wollen bespaßt werden. Und die Eltern checken ständig
Emails, WhatsApp oder Facebook, um ja nichts zu verpassen.
Das Verlangen nach Abwechslung, Unterhaltung und Action
aus Furcht vor Monotonie und Langeweile steht bei den Pfef-
fergewächsen ebenso im Zentrum des homöopathischen Bildes
wie bei den Lippenblütlern.
Das wird deutlich an Fallbeispielen zu Piper nigrum, Cubeba
und Mentha piperita, die von Bhawisha Joshi, Sigrid Lindemann
und Dinesh Chauhan, drei Vertretern der Empfindungsmethode
Sankarans, vorgestellt werden. Unsere Autoren zeigen Ihnen,
wie man diese in ihrem Erleben so ähnlichen Arzneifamilien dif-
ferenzieren kann. Ulrike Schuller-Schreib erklärt dazu die feinen
Unterschiede in der Vitalempfindung und grenzt dabei auch
noch die Rubiaceen ab. Bei Angelika Bolte und Jörg Wichmann
wird die Empfindungsmethode durch die Perspektive der Pflan-
zenevolution ergänzt, aus der heraus Piperaceen und Lamiaceen
verschiedener nicht sein könnten. In Yakirs Entwicklungstabelle
der Pflanzen stehen sie sich diametral gegenüber.
Die beiden Gewürzfamilien sind daher besonders geeignet, die
verschiedenen Richtungen der homöopathischen Pflanzensyste-
matik in einem Heft vorzustellen. Wir möchte Ihnen mit dieser
Ausgabe die Möglichkeit geben, die Ansätze von Sankaran,
Yakir und Scholten kennenzulernen und ihre praktische An-
wendung an Fallbeispielen zu denselben Pflanzengruppen zu
vergleichen.
Wie sie Pflanzenarzneien aus deren Stellung in der Evolution ver-
steht und wie sie sie in Beziehung zu weiblichen und männlichen
Aspekten menschlicher Individuation setzt, zeigt Michal Yakir
aus Israel am Beispiel des Gewürzes Ingwer und der Banane,
die beide zu den Zingiberales gehören. Der indische Psychiater
Mahesh Gandhi arbeitet seit vielen Jahren mit Yakirs Pflanzen-
systematik. An seinem Fallbeispiel zu Scutellaria, einem hoch
entwickelten Lippenblütler, wird der Nutzen dieser Arbeitsweise
für die homöopathische Praxis deutlich.
Das wegen seiner Komplexität wohl schwierigste der drei Sys-
teme hat Jan Scholten in den letzten Jahren auf der Basis der
modernen botanischen APG3-Klassifikation und der Serien,
Stadien und Phasen des Periodensystems entwickelt. In seiner
Übersichtsarbeit beschreibt der holländische Homöopath zu-
nächst den Aufbau und die Bedeutung des Arzneimittelcodes,
um dann zusammen mit Martin Jakob die Anwendung seiner
Systematik an Fallbeispielen aus den beiden Pflanzenfamilien
zu illustrieren. Dass Jan Scholten seine Pflanzentheorie ständig
weiterentwickelt, wird an der erstmals in diesem Heft vorgestell-
ten Aufteilung der Lamiaceen in die Unterfamilien Lamioideae
und Nepetoideae deutlich. Dabei entsprechen die Unterfamilien
verschiedenen Subphasen.
Die Pflanzentheorie liefert Martin Jakob und Heinz Wittwer eine
gute Erklärung für die ausgeprägt phosphorische Ausstrahlung
der Lamiaceen. Diese stehen in der jeweils Phosphor zugeord-
neten Phase 5 und Subphase 5. Der doppelte Phosphor lässt
sich in Heinz Wittwers Kasuistik von Salvia officinalis gut erken-
nen. Man kann diese Arznei – so wie Walter Glück – natürlich
auch ganz ohne Pflanzentheorie aufgrund von Organotropie
und Prüfungssymptomen erfolgreich verordnen. Glück hat den
Salbei zusammen mit Reinhard Flick geprüft und fand ein dem
Phosphor gar nicht so unähnliches klinisches Bild einer tuber-
kulösen Pneumonie.
Arzneimittelprüfungen sind nach wie vor die wichtigste Quelle
homöopathischer Mittelkenntnis, auf der auch jede Systema-
tik von Arzneigruppen aufbaut. Wir komplettieren dieses Heft
deshalb ganz bewusst mit zwei neuen Lippenblütler-Prüfungen:
Thymian von Reinhard Flick und Gundermann von Gabriela
Hoppe. Christian Weidl schließlich hat für seinen gelehrten
Beitrag über den König der Gewürze sogar selbst einige unbe-
kannte Pfeffermittel im Selbstversuch geprüft und sein homöo-
pathisches Wissen um Erkenntnisse aus Ayurveda, Volksmedizin
und Kulturgeschichte ergänzt.
Zum ersten Mal stehen zwei Titel auf einer Ausgabe von SPEKT-
RUM. Zu dem würzigen Materia-Medica-Thema gesellt sich ein
Vergleich der drei modernen Pflanzensysteme in der Homöo-
pathie. Am Beispiel der Gewürzarzneien werden Unterschiede
und Überschneidungen aus der Sicht der drei Systeme deutlich.
Langeweile kommt da nicht auf, auch wenn sich manches wie-
derholt, was wiederum die Basis für jedes Lernen ist. Die span-
nende Entwicklung im homöopathischen Pflanzenkosmos zu
begreifen und sich damit neue Mittel und Wege zum Simile zu
erschließen, birgt unterhaltsame Aufregung und viele Anreize,
Neues zu verstehen und anzuwenden. Michal Yakir, Jan Scholten
und Rajan Sankaran tragen jedenfalls mit ihren Arbeiten dazu
bei, dass Homöopathie nicht langweilig wird.
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