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EDITORIAL

Christa Gebhardt & Dr. Jürgen Hansel

Chefredaktion

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PALLIATIV

EDITORIAL

SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE

Liebe Leserinnen und Leser,

spätestens im Jahr 2015 hat in unserem Land das Thema Tod

und Sterben die Tabuzone verlassen. Im Deutschen Bundestag

wurde jenseits von Parteibuch und Wahltaktik über Monate

intensiv und emotional über Sterbehilfe diskutiert. Fast gleich-

zeitig mit dem entsprechenden Gesetz wurde die Stellung der

Palliativmedizin im Gesundheitssystem erheblich gestärkt und

die Versorgung schwer kranker Menschen am Ende des Lebens

in der häuslichen Umgebung, in Hospizen und Palliativstationen

neu geregelt. Die gesetzlichen Krankenkassen sollen zusätzliche

finanzielle Mittel bereitstellen, um mehr Menschen, auch auf

dem Lande, einen Tod in Würde zu ermöglichen.

Die interdisziplinäre Struktur der Palliativmedizin und ihr ganz-

heitlicher, am Individuum orientierter Ansatz schaffen Offenheit

für Methoden mit ähnlicher Ausrichtung und einem vergleichba-

ren Menschenbild. Die Homöopathie wird deshalb zunehmend

als hilfreiche und wertvolle Ergänzung in der Begleitung Ster-

bender empfunden. Das zeigt der Beitrag von Mark Braun, der

als Palliativ- und Notfallmediziner seine ersten Aha-Erlebnisse mit

den gängigen Mitteln einer homöopathischen Palliativapotheke

schildert. Eine solche Apotheke setzt auch Sabine Stelter sehr

erfolgreich in der Hospizarbeit ein. Die Homöopathie kann dabei

die Behandlung typischer Beschwerden wie Übelkeit, Atemnot

oder Schmerz unterstützen. Ihr besonderer Nutzen zeigt sich

jedoch in Situationen, die einer allopathischen Therapie wenig

oder überhaupt nicht zugänglich sind. Unruhe, Verzweiflung

und qualvolle Angst sprechen oft sehr viel besser auf Globuli

an als auf Psychopharmaka. Und wer gesehen hat, wie Carbo

vegetabilis oder Phosphorus die schwindenden Lebenskräfte

noch einmal wecken können, der möchte auf die Homöopathie

in der Sterbebegleitung nicht mehr verzichten.

Es ist eine sehr überschaubare Auswahl meist gut bekannter

Mittel, die sich am Ende des Lebens bewährt haben und denen

wir in den Beiträgen dieses Hefts immer wieder begegnen. An

erster Stelle steht dabei Arsenicum album, das Joachim Stürmer

deshalb ausführlich darstellt, ohne in gängige Klischees zu ver-

fallen. Dieses Gift kann in homöopathischer Dosis das Sterben

erleichtern, aber auch, wie in dem Artikel von Jens Wurster,

das Leben in auswegloser Situation verlängern und dabei die

Lebensqualität steigern. Diese Verbesserung der Lebensqualität

verbunden mit der Möglichkeit eines friedvollen Todes, wie wir

sie in den meisten Beiträgen erkennen können, sind ja die we-

sentlichen Zielsetzungen der Palliativmedizin.

Wie der Schatz an homöopathischen Arzneien Ruhe, Würde,

Kraft und ein friedvolles Loslassen ermöglichen kann, mag uns

angesichts der zahlreichen ergreifenden und traurigen Fallge-

schichten zu Tränen rühren. Ähnlich den vielen Kollegen, die

die Begleitung von Sterbenden als großes Geschenk empfinden,

können wir bei der Lektüre aber auch jenseits der rationalen

Erklärbarkeit eine innige spirituelle Freude und liebevolle Dank-

barkeit spüren für die Teilhabe an den tiefen Erfahrungen der

Menschen, denen wir in dieser Ausgabe von SPEKTRUM be-

gegnen. Gisela Holle spricht von der „Heilung, oder eher der

Gnade, die wir selbst erhalten, wenn wir Zeugen des Sterbens

werden“. Declan Hammond fasst seine Erfahrung in der homöo-

pathischen Sterbebegleitung so zusammen: „Ich empfand es als

enormes Privileg und als immense Herausforderung zugleich,

Menschen beim Sterben zu begleiten (…) Wo eine ,Gesun-

dung’ nicht mehr erreichbar ist, ist eine Heilung noch immer

möglich. Den geistigen Schmerz unserer sterbenden Patienten

zu erkennen und darauf zu reagieren, ist ein wesentlicher Teil

unserer Arbeit. Die Schulmedizin hat ausgeklügelte Methoden

zur Schmerzlinderung entwickelt, doch die innere Verfassung

bleibt davon unberührt. Cicely Saunders fragte ihre Patienten

immer: ,Wie sieht es in Ihnen aus?’ Das Verständnis der Essenz

und des Ausmaßes des geistigen Schmerzes unserer Patienten

ist für unsere Arbeit ausschlaggebend.“

Wir danken allen unseren Autoren dafür, dass sie über die fach-

liche Darstellung von Arzneien und Indikationen hinaus ihre oft

sehr persönlichen Begegnungen mit uns teilen. Wir danken

Declan Hammond für seinen tief berührenden Artikel, Resie

Moonen für ihre Heiterkeit, Sabine Stelter und Gisela Holle für

ihre praktische Erfahrung, Mark Braun für seinen Enthusias-

mus im Erlernen der Homöopathie, Joachim Stürmer für die

Genauigkeit des Mittelbilds von Arsen, Ulrich Welte für die

knappe Exaktheit in der Beschreibung angstlösender Mittel,

Jens Wurster für seine Unbeirrbarkeit im Vertrauen auf eine

immer hilfreiche homöopathische Behandlung, Phillip Lehrke

für die Dokumentation einer komplementären Behandlung bei

infauster Diagnose, Jürgen Weiland für seinen objektiven Blick

in einem symptomenarmen Fall, Markus Kuntosch für das Mittel,

das Helligkeit in die Seelendunkelheit bringt, und Erfried Pichler

für die Einsicht, dass man am Ende erkennen muss, dass nichts

mehr getan werden kann.