SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE
Jürgen Hansel ¦
DIVERSE MITTEL
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PALLIATIV
son, low technology“, d. h. der Mensch tritt in den Vordergrund,
das medizinisch mit viel technischem Aufwand Machbare in den
Hintergrund. Im Fokus der Therapie steht die Lebensqualität der
Patienten. Sie werden in der Umgebung ihrer Wahl (ambulant,
stationär, zu Hause, Pflegeheim o. a.) behandelt und bis zum
Tod kontinuierlich betreut. Die Sterbebegleitung bezieht auch
die Angehörigen bis in die Trauerzeit mit ein.
Die individuelle Behandlung jedes Patienten erfolgt durch ein
zentral koordiniertes, multidisziplinäres Team: Die Symptom-
kontrolle (Schmerzen, Durst, Luftnot u. a. Symptome) erfolgt
durch Spezialisten, fachliche Pflege durch speziell geschulte Pfle-
gekräfte. Ehrenamtliche werden in die Behandlung integriert.
Wenn Palliativmedizin heute als multiprofessionelle Aufgabe
verstanden wird, so hat Saunders die Kernprofessionen damals
in einer Person vereint: Sie war ausgebildete Krankenschwester,
Sozialarbeiterin und Ärztin.
PALLIATIVMEDIZIN UND HOMÖOPATHIE
Betrachtet man die von Saunders definierten Prinzipien der Pal-
liativmedizin, so lassen sich grundlegende Gemeinsamkeiten mit
der Homöopathie erkennen. Da ist vor allem der ganzheitliche
Ansatz mit dem Anspruch, alle Dimensionen des menschlichen
Daseins einzubeziehen. Dabei steht das subjektive Befinden im
Zentrum der Aufmerksamkeit und nicht der objektive Befund.
Es geht bei Cicely Saunders wie in der Homöopathie nicht um
eine standardisierte, sondern um eine individuelle Behandlung
der Patienten.
Dennoch wurde die Palliativmedizin bis vor wenigen Jahren von
homöopathischer Seite eher stiefmütterlich behandelt, erkenn-
bar an einem Mangel an Literatur und Seminaren zu diesem
Thema. Ein Grund für diese Situation reicht bis in die Anfänge
der Homöopathie zurück. Seit Samuel Hahnemann ist der Begriff
„palliativ“ negativ behaftet. Denn dieser Begriff kennzeichnete
für den Begründer der Homöopathie die Wirkungsweise der
damaligen allopathischen Schulmedizin.
In den Paragraphen 55 und 56 seines Organons der Heilkunst
schreibt er: „Man hätte diese allopathischen Ärzte schon längst
ganz verlassen, wenn nicht die palliative Erleichterung, die sie
von Zeit zu Zeit durch einige empirisch aufgefundene Mittel dem
Kranken zu verschaffen wußten, ihren Credit noch einigermaßen
aufrecht erhalten hätte. Bei dieser Arznei-Anwendung wird sehr
fehlerhaft, bloß symptomatisch verfahren, d. h. nur einseitig
für ein einzelnes Symptom, also nur für einen kleinen Theil des
Ganzen gesorgt.“ Für seine Methode postulierte er dagegen in
§ 2 des Organon als höchstes Ideal der Heilung „schnelle, sanfte,
dauerhafte Wiederherstellung der Gesundheit und Vernichtung
der Krankheit in ihrem ganzen Umfang“.
Vor diesem kurativen Anspruch greift eine rein palliative Be-
handlung eindeutig zu kurz. Doch natürlich gibt es auch in
der homöopathischen Praxis Patienten, bei denen Hahnemanns
höchstes Ideal der Heilung an der Realität vorbeigeht. Das gilt
vor allem für die Menschen, auf deren Krankheit die WHO-
Definition aus dem Jahr 1990 zutrifft: „Palliativmedizin ist die
aktive, ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer pro-
gredienten, weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer be-
grenzten Lebenserwartung zu der Zeit, in der die Erkrankung
nicht mehr auf eine kurative Behandlung anspricht und die
Beherrschung von Schmerzen, anderen Krankheitsbeschwerden,
psychologischen, sozialen und spirituellen Problemen höchste
Priorität besitzt.“
Nach dieser Definition gibt es im Verlauf von schweren Krank-
heiten eine Phase, in der noch Aussichten auf Heilung oder
zumindest eine Remission und eine Verlängerung des Lebens
bestehen. Und dann kommt die Phase, in der es keine Hoff-
nung mehr auf Heilung gibt und in der es deshalb nur noch um
Linderung der Symptome und Verbesserung der Lebensqualität
geht. Diese terminale Phase stellt eine Ausnahme von Hahne-
manns Postulat dar und fordert auch von uns Homöopathen
eine palliative Behandlung im ursprünglichen Sinne: So wie
Sankt Martin seinen Mantel (lat. Pallium) teilte und den nack-
ten Bettler wärmte, ohne dessen Armut beseitigen zu können,
sollen wir das Leiden unheilbar Kranker lindern, indem wir ihre
Beschwerden symptomatisch behandeln. In der kurativen Phase
HOSPIZ: BEGRÜNDERIN CICELY SAUNDERS
Das Wort „Hospiz“ leitet sich vom lateinischen hospitium,
Herberge, ab. Im frühen Mittelalter waren Hospize Herber-
gen, die Pilgern, Kranken, Alten und Schwachen Schutz,
Unterkunft und Pflege anboten. Die Begründerin der mo-
dernen Hospizarbeit ist die Engländerin Cicely Saunders
(1918–2005). Als Ärztin, Krankenschwester und Sozialar-
beiterin war es ihr besonders wichtig, neben der Sterbebe-
gleitung schwerstkranker Menschen auch deren schmerz-
therapeutische Versorgung sicherzustellen. „Pallium“ be-
deutet Mantel, Umhüllung im Sinne von Linderung und
meint die umfassende Sorge um einen Menschen, wenn
Heilung nicht mehr möglich ist. Das erste moderne Hospiz
war St. Christopher’s in London, das 1967 eröffnet wurde,
mit Spendengeldern, die Saunders gesammelt hatte.
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