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Jürgen Hansel ¦ 

DIVERSE MITTEL

SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE

17

PALLIATIV

suchen wir dagegen idealerweise nach einem Simillimum bzw.

nach dem sogenannten Konstitutionsmittel.

Flexible Handhabung:

In der Praxis lässt sich allerdings selten

eine klare Grenze zwischen kurativer und palliativer Krankheits-

phase ziehen. Die Übergänge sind eher fließend – und so gibt

es häufig Situationen, in denen noch versucht wird, kurativ oder

zumindest lebensverlängernd zu behandeln, während gleich-

zeitig schon palliativ behandelt wird, um die Lebensqualität zu

verbessern. Für das Ziel der Lebensverlängerung durch Chemo-

oder Strahlentherapie wird ja meist eine erhebliche Belastung

des Organismus in Kauf genommen mit Nebenwirkungen, die

flankierende palliative Maßnahmen erforderlich machen. Und in

der Homöopathie können wir durchaus auch in der palliativen

Phase noch mit gut gewählten Konstitutionsmitteln arbeiten.

In der Palliativmedizin ist man mittlerweile von der strengen

Abgrenzung der Phasen aus der alten WHO-Definition wieder

abgekommen und orientiert sich sehr flexibel an der aktuellen

Krankheitssituation.

Auch in der Homöopathie erfordert die Begleitung schwerstkran-

ker Menschen in der Nähe des Todes einen flexiblen Umgang

mit den Regeln der Heilkunst. Selbst klassische Homöopathen

werden sich in solchen Situationen nicht immer auf die Gabe

eines einzelnen Mittels beschränken. In der symptomatischen

Behandlung werden manchmal verschiedene Mittel für unter-

schiedliche Beschwerden gleichzeitig gegeben und es ist dabei

auch kein Tabu, ein ganzheitliches Simile mit symptomatischen

Mitteln zur Linderung lokaler Beschwerden zu kombinieren.

In vielen Fällen wird die Homöopathie zusätzlich zur konventi-

onellen Palliativmedizin in den Bereichen eingesetzt, in denen

letztere wenig anzubieten hat. Das gilt vor allem für den eigent-

lichen Ansatzpunkt der Homöopathie: die Stärkung der Lebens-

kraft und die damit verbundene Verbesserung der körperlichen

und seelischen Lebensqualität. Dieser Wirkungsbereich steht

auch im Mittelpunkt des folgenden Fallbeispiels, bei dem die

homöopathische Therapie in den letzten Lebenswochen in enger

Abstimmung mit dem örtlichen SAPV-Team erfolgte.

FALLBEISPIEL: 63-jährige Patientin mit stenosierendem

Rectum-Carcinom und Metastasierung in

Leber, Lungen und Pleura.

Im April wird bei der Patientin im Rahmen der Resektion des

tiefsitzenden Dickdarmkrebses ein künstlicher Darmausgang

angelegt, ein Teil des von Metastasen befallenen Rippenfells ent-

fernt und Teile des Pleuraspaltes mit Talkum verödet. Vor dieser

Operation trat in beiden Beinen eine tiefe Venenthrombose auf

und zum Schutz vor einer Lungenembolie wurde deshalb ein

Filter in die untere Hohlvene eingebracht. Schließlich hat man

vor Beginn einer adiuvanten Chemotherapie im Juni noch ein

venöses Portsystem implantiert. Nach den ersten Infusionen hat

die Patientin die Chemotherapie allerdings wegen der Neben-

wirkungen abgebrochen. Im Juli wird eine Knochenmetastase

im Oberschenkel diagnostiziert.

Erstanamese (gekürzt) am 27. Juli:

Die Patientin sagt: „Die

Krankheit hat sich schon ein Jahr lang abgezeichnet. Ich habe

es ignoriert.“Von den ersten Symptomen bis zur Diagnose hat

sie 6 kg an Gewicht abgenommen. „Ich habe schon immer

Probleme mit dem Darm“. Zunächst wechselte Verstopfung

mit plötzlichen schwallartigen Entleerungen. Dann hatte sie

überwiegend Durchfälle, schließlich bis zu zehnmal am Tag,

begleitet von Bauchkrämpfen.

Bei einem Arztbesuch wegen eines Rezeptes fiel auf, dass sie

immer wieder hustete. Erst durch dieses Symptom kam die Di-

agnostik in Gang. Eine Verschattung der Lunge auf dem Rönt-

genbild zog weitere Untersuchungen nach sich und führte

schließlich zur Krebsdiagnose.

Auf Nachfrage spricht sie von ihrer Aversion gegen Ärzte: „Man

ist ihnen so ausgeliefert.“ Sie hat Angst vor jeder Verletzung,

selbst vor kleinen Schürfwunden. „Ich bin Sozialarbeiterin und