EDITORIAL
Christa Gebhardt & Dr. Jürgen Hansel
Chefredaktion
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NEUROLOGISCHE KRANKHEITEN
EDITORIAL
SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE
Liebe Leserinnen und Leser,
während der Arbeit an dieser SPEKTRUM-Ausgabe zum Thema
„Neurologische Krankheiten“ hat uns alle ein anderes Thema stän-
dig beschäftigt und unser Leben dominiert. Die Krankheit Covid-19
wurde dabei zu einer Chiffre für kollektive Unsicherheit, existenzielle
Bedrohung und Angst, ausgelöst durch das Fehlen einer wirksamen
Behandlung. Ein derartiger Therapienotstand verbindet die beiden
Themen dieses Heftes, das unweigerlich von Sars-CoV-2 mit infiziert
wurde. Zunächst aber zum Thema dieser Ausgabe von SPEKTRUM,
der Neurologie, einem Fachgebiet mit exzellenter Diagnostik, doch
oft unbefriedigenden therapeutischen Optionen. Viele Erkrankun-
gen des Nervensystems lassen sich gar nicht behandeln, bei anderen
geht die medikamentöse Therapie – wie beispielsweise bei der
Epilepsie – mit Nebenwirkungen einher, die das Leben erheblich
beeinträchtigen können.
Die Behandlung verschiedener Formen der Epilepsie, vor allem bei
Kindern, gehört deshalb auch zu den dankbaren Aufgaben für
HomöopathInnen. Anfallsleiden in den frühen Phasen der Aus-
reifung des menschlichen Nervensystems sprechen besonders gut
auf eine homöopathische Behandlung an, wie der Kinderarzt und
Neurophysiologe Andreas Richter weiß. Cicuta virosa ist dabei nicht
nur für ihn, sondern auch für seine Kollegin Anna Koller-Wilmking
häufig ein Mittel der ersten Wahl.
In vielen Fällen sind epileptische Anfälle mit Entwicklungsverzöge-
rungen verbunden, so auch in der Kasuistik zu einer Schlafepilep-
sie von Anne Schadde. Unter der homöopathischen Behandlung
werden dann Schritte in der Entwicklung nachgeholt, selbst wenn,
wie in dem Fallbeispiel von Olga Fatula, eine schwere kombinierte
Störung des zentralen Nervensystems vorliegt. Es versteht sich, dass
bei solchen und vielen anderen neurologischen Krankheitsbildern
die Homöopathie mit Physiotherapie, Ergotherapie und anderen
übenden Verfahren kombiniert wird. Sigrid Lindemann beschreibt
so die Erfolge eines integrierten Behandlungskonzeptes an zwei
Patientinnen mit seltenen angeborenen neurokutanen Syndromen.
Ähnlich gute Erfolge wie bei Anfallsleiden und Entwicklungsstö-
rungen verzeichnet die Homöopathie in vielen Fällen von Multipler
Sklerose. Das haben wir bereits in einer Reihe von Beiträgen zu
früheren Ausgaben von SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE gese-
hen. Diese werden nun ergänzt durch zwei Kasuistiken, die die
psychosoziale Komponente der Autoimmunerkrankung betonen.
Während sich ein Patient von Jan Scholten durch seine Krankheit
sozial ausgeschlossen fühlt, entwickeln sich in Karim Adals Beitrag
die neurologischen Ausfälle unter dem Einfluss von Aggression und
Gewalt in der Familie.
Wie Adals Patientin unterdrücken auch die Patienten im Beitrag
von Markus Kuntosch ihre Gefühle und werden dadurch krank. Sie
allerdings entwickeln hartnäckige Neuralgien und Empfindungsstö-
rungen, die hervorragend auf Mezereum ansprechen. Eine andere
Art von Schmerzen findet man bei der als Sudeck-Syndrom bezeich-
neten Neurodystrophie, für die sich in der Praxis von Ulrich Welte
und Markus Kuntosch die Arznei Plumbum phosphoricum in einer
Reihe von Fällen bewährt hat. Das homöopathische Blei und seine
Verbindungen sind speziell bei neurodegenerativen Erkrankungen
mit syphilinischem Charakter angezeigt. An einer Plumbum-Kasu-
istik mit Polyneuropathie erläutert Bob Blair die Beziehung dieses
destruktiven Miasmas zur Feuerenergie in seinem Entwicklungsmo-
dell, das er hier für SPEKTRUM zum ersten Mal vorstellt.
Eine ähnliche Energie findet man in der Arzneigruppe, die Hans
Eberle und Friedrich Ritzer ausführlich studiert haben. In mehreren
eigenen Prüfungen verschiedener Pilzarzneien beobachteten sie
teilweise schwerwiegende Hirnleistungsstörungen, die an Demenz
erinnern. Wie ihre Fallbeispiele zeigen, erweisen sich in der klinische
Anwendung dieser Arzneien demenzielle Erkrankungen, aber auch
Verletzungen und Infektionen des ZNS, als wichtige Indikationen.
Destruktivität und invasive globale Ausbreitung machen die Pilze
für manche Homöopathen auch zu Kandidaten bei der Suche nach
endemischen Arzneien für Covid-19. Wir haben diese weltweite
Suche in den letzten Monaten gespannt beobachtet, die Diskussion
über das unterschiedliche Verständnis eines Genius epidemicus auf-
merksam verfolgt und die Erfahrungsberichte von Kollegen und die
von ihnen veröffentlichten Resultate gesammelt. Dabei haben wir
uns auf die Autoren konzentriert, die durch die gemeinsame Arbeit
an dieser Zeitschrift in regelmäßigem Austausch mit uns stehen
und die die Pandemie in den ersten Monaten in Epizentren wie
Iran, Italien, Spanien, Großbritannien oder in New York unmittelbar
erlebt haben. Ihre Erfahrungen lassen den Schluss zu, dass eine
homöopathische Behandlung der ersten, noch moderaten Krank-
heitsphase in vielen Fällen Erfolg verspricht und damit eine Option
bietet in der therapeutischen Lücke zwischen den allfälligen präven-
tiven Maßnahmen und einer intensivmedizinischen Versorgung. Die
internationale Liga homöopathischer Ärzte (LMHI) fordert deshalb
die WHO auf, sich an Studien zu beteiligen, die die Wirksamkeit der
Homöopathie vor allem in den ersten Stadien untersuchen mit dem
Behandlungsziel, ein Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern
und die Notwendigkeit von Intensivbehandlung und maschineller
Beatmung zu reduzieren.