Spektrum 2/2015 Diagnose Borreliose - page 3

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Liebe Leserinnen und Leser,
mit dem Thema der Lyme-Borreliose widmen wir diese Ausgabe
von SPEKTRUM weniger einem bestimmten Krankheitsbild als ei-
ner Grauzone der medizinischen Diagnostik. Auf der einen Seite
steht eine Vielzahl von Manifestationsformen einer Borrelien-Infek-
tion, auf der anderen Seite eine oft überschätzte Serologie mit ge-
ringer Aussagekraft. Wir haben dieses Dilemma in einem Über-
sichtsartikel dargestellt. Das klassische Beispiel dafür ist der Patient
mit diffusen Gelenkschmerzen, chronischer Müdigkeit und IgG-
Antikörpern gegen Borrelien. Ist das nun eine Lyme-Krankheit oder
vielleicht doch eine Fibromyalgie mit einer Seronarbe nach Erreger-
Kontakt? Soll man antibiotisch behandeln oder nicht?
„Vor die Therapie haben die Götter die Diagnose gesetzt“. Dieses
klassische Postulat der Schulmedizin gilt so nicht für uns Homöopa-
then. Für unsere Arzneimittelwahl spielt die klinische Diagnose
eine untergeordnete Rolle. Wir können auch im Graubereich unsi-
cherer Diagnosen sehr gezielt behandeln. Wie das geht, zeigen
unsere Autoren gerade an dem bereits erwähnten Syndrom aus
Arthralgie, Erschöpfung und positiver Borrelien-Serologie. Sieben
Beiträge handeln von solchen Fällen, die alle mit der Diagnose Bor-
reliose in die homöopathische Praxis kamen.
Bemerkenswert dabei sind die vielen Gemeinsamkeiten der Patien-
ten, die über die Diagnose Borreliose hinausgehen. So haben unse-
re Autoren aus unterschiedlichen homöopathischen Blickwinkeln
eine ganz ähnliche Psychodynamik bei diesen Patienten beobach-
tet. Sie neigen zu Selbstaufopferung, lassen sich leicht ausnutzen
und werden so zu Opfern und Außenseitern. Ulrich Welte leitet
diese Themen der Ordnung Ericales aus Scholtens Pflanzentheorie
her und zeigt, warum Ledum und andere Heidekrautartige so gute
Borreliose-Arzneien sind. Die Thematik von Opfern, die ausgesaugt
und ausgelaugt werden, findet Marco Riefer aber auch bei Mitteln
aus ganz anderen Gruppen und Naturreichen.
Auf der Empfindungsebene kann man sich dann „ausgelutscht wie
ein Kaugummi“ fühlen, was Jürgen Faust in seiner Kasuistik zu
Strophanthus und den typischen Reaktionsmustern der Hundsgift-
gewächse führt. Zusammen mit Anne Schaddes Darstellung der
Gräserfamilie am Beispiel einer chronischen Borreliose und Weltes
Ericales erweitert SPEKTRUM in dieser klinischen Ausgabe damit en
passant seine systematische Materia Medica um drei Arzneigrup-
pen aus dem Pflanzenreich.
Dazu kommen zwei ganz neue Arzneien. Heidi Brand hat die von
ihr geprüfte Süßwasseralge Chara intermedia erfolgreich in ei-
nem Fall von Post-Lyme-Syndrom eingesetzt, in dem auch wieder
das typische Opferthema auftaucht. Wie in den meisten anderen
Fallbeispielen heilt ihre homöopathische Behandlung nicht nur
die körperliche Symptomatik, sondern führt auch zu einer tief-
greifenden Veränderung der zugrunde liegenden Psychodynamik.
Auch Hans Eberle und Friedrich Ritzer fanden die Symptome aus
EDITORIAL
einer eigenen Arzneimittelprüfung in dem Krankheitsbild einer
Borreliose-Patientin wieder. So lernen wir an diesem Beispiel Adalia
bipunctata, den Zweipunkt-Marienkäfer, als neues homöopathi-
sches Mittel kennen. In einer zweiten Kasuistik der beiden Autoren
wird das altbekannte Thuja occidentalis nicht über das vertraute
Arzneimittelbild, sondern über die Fallanalyse nach Scholten ge-
funden. Den gleichen Weg nutzen Danièle Julin und Guy Payen zur
Arzneifindung. Sie behandeln das beschriebene Syndrom mit der
Diagnose „Chronische Borreliose“ aber zusätzlich zum Simile un-
terstützend mit der Nosode von Borrelia burgdorferi.
Die Nosode ist – neben Ledum – auch fester Bestandteil von Chris-
tina Aris Behandlungskonzept. In ihrem Beitrag geht es allerdings
nicht um den diagnostischen Graubereich der chronischen Borreli-
ose, sondern um die eindeutigen Hautmanifestationen in der Früh-
phase der Erkrankung, die sie dann homöopathisch behandelt,
wenn die Patienten eine antibiotische Therapie ablehnen. Die An-
fälligkeit, an Borreliose zu erkranken, hängt nach Aris Erfahrung
häufig mit instabilen Lebensumständen zusammen, durch die die
Patienten aus dem Lot geraten sind.
So war es auch bei Gerhard Bleul, der in einer Umbruchsphase
seines Lebens ein Erythema migrans entwickelte und sich dann
selbst ausschließlich homöopathisch behandelte. Dabei hat er am
eigenen Leib erfahren, wie viele Gesichter diese Krankheit haben
kann und wie schwer sich Symptome im Rahmen eines langjähri-
gen schubweisen Verlaufs zuordnen lassen. Die Dokumentation
seiner Leidensgeschichte ist auch exemplarisch für das grundsätzli-
che Problem, sich als Homöopath selbst zu behandeln.
Im Falle einer gesicherten manifesten Borreliose ist eine antibioti-
sche Therapie medizinisch indiziert und eine Entscheidung dage-
gen kann nur der Patient selbst treffen. In den immer häufigeren
Fällen aus besagter Grauzone halten wir dagegen eine homöopa-
thische Behandlung für die bessere Wahl.
Christa Gebhardt & Dr. Jürgen Hansel
Chefredaktion
DIAGNOSE: 
BORRELIOSE
EDITORIAL
SPEKTRUM DER HOMÖOPATHIE
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