Beziehungskiller Trauma: Wie tiefe Wunden der Kindheit heilen können

Auswege aus der Traumatisierung in Beziehungen

von Jannyn Saß

Foto: Ein Paar als schemenhafte Gestalten auf einem Hügel, Abstand zwischen ihnen, der Himmel im Hintergrund blassrosa

Verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden. Das Gefühl, Schmetterlinge im Bauch zu haben und bis über beide Ohren verliebt zu sein – das kennt wahrscheinlich jeder von uns. Und dass dieses Gefühl verschwindet und einem grauen Alltag weichen kann, das haben vielleicht genauso viele von uns erlebt. Noch vor ein paar Monaten war die Beziehung, die wir führten, unser Non-Plus-Ultra und jetzt scheint alles anders. Warum können Beziehungen zu Menschen, die wir zu lieben glaubten, so aus dem Ruder laufen? Warum fühlen wir uns durch sie verletzt und können unser Herz nicht mehr öffnen?

Hinter diesem offenkundigen Schmerz steckt oft ein sehr viel tieferer und älterer Schmerz aus der Kindheit, den wir in unseren Beziehungen dann wieder erleben. Es ist, als signalisiere unser Unterbewusstsein: Schau, hier ist eine Wunde, die noch nicht geheilt ist. Vielleicht wurden wir von unserer Mutter oder unserem Vater nicht geliebt, vielleicht gab es sogar physische oder psychische Gewalt. Und selbst wenn wir davon verschont geblieben sind, so gibt es viele andere Möglichkeiten der Traumatisierung, die ebenso tiefe Stachel in unserer Seele hinterlassen können.

 

“Die Menschheit ist wahrscheinlich ihren normalen Gefühlszuständen noch nie so entfremdet gewesen wie im 21. Jahrhundert. Noch nie zuvor waren so viele Menschen emotional derart abgestumpft und verarmt.”

Pete Walker

 

Das, was sich in Beziehungen oft zeigt, wenn es nicht so gut läuft, ist ein sogenanntes Entwicklungstrauma, auch Beziehungstrauma genannt. Diese Traumata entstehen durch die Einflüsse der ersten Bezugspersonen in der frühen Kindheit und prägen uns sehr tief. Weil sie so früh im Leben entstehen, können wir uns – oft unbewusst – nicht vorstellen, wie ein Leben ohne Trauma aussehen kann. Uns fehlt die Erinnerung an eine Zeit ohne Trauma.

Bei einem Schocktrauma ist es anders. Hier hängt das Trauma mit einem plötzlichen Erlebnis zusammen, wie z. B. einem Autounfall. Dieser Tag X kommt als Schock, kann ein Trauma auslösen und lebensverändernd sein. Da es aber ein Leben vor diesem Tag X gab, weiß die betroffene Person, wie es sich vorher anfühlte. Er oder sie kann sich an ein Leben vor dem traumatisierenden Ereignis erinnern. Bei einem Entwicklungs- und Beziehungstrauma hingegen finden die ursprünglich traumatisierenden Ereignisse in einer Lebensphase statt, an die wir uns nicht erinnern können. Die eigenen Talente, Ressourcen und Fähigkeiten sind davon überschattet. Das macht eine Therapie oft langwieriger und schwieriger.

Welche Möglichkeiten gibt es, ein solches Trauma zu lösen? Und wie lassen sich dadurch Beziehungen heilen, die wir als Erwachsene mit anderen Menschen eingehen?

Warum wir in Beziehungen den Partner so gern verändern wollen

Allzu schmerzhaft ist es, wenn wir erkennen, dass unser Partner nicht so ist, wie wir uns ihn oder sie vorgestellt haben. Wenn plötzlich Charakterzüge zutage treten, mit denen wir einfach nicht klarkommen. Sei es ein Alkoholproblem, permanente Negativität durch ewiges Kritisieren und Nörgeln oder eine generelle Opferhaltung dem Leben gegenüber – es gibt viele Aspekte, die wir in der Phase der Verliebtheit mit rosaroter Brille einfach ausgeblendet haben. Kennen Sie dieses Gefühl?

Dann beginnen wir meistens, die Dinge im Außen kitten zu wollen. Wir fangen an, den Partner verändern zu wollen. Er soll doch mehr Sport machen, gesünder leben, die Zahnpastatube zudrehen oder den Klodeckel herunterlassen. Wir wollen uns den geliebten Menschen wieder so zurechtbiegen, wie wir ihn oder sie gern hätten. Hier stellt sich die Frage: Weshalb?

Oft ist der Grund in unserer eigenen Komfortzone zu finden. Wir wollen einfach nicht getriggert werden. Solange alles gut läuft und wir uns in unserem abgesteckten Terrain bewegen, sind wir sicher. Niemand kann uns dann verletzen.

Foto: Blick von hinten auf einzelnes Elternteil mit zwei Kindern auf einer Bank, im trostlosen Herbstwald

Was passiert, wenn wir uns von unserem Partner verletzt fühlen?

Emotionen machen beziehungslos

Ein Beispiel: Wir schenken unserem Partner ein Gedicht, das wir in Liebe aus unserem Innersten geschrieben haben, und es kommt nur eine verächtliche Bemerkung zurück. Oder wir haben versucht, ein schönes Menü zu zaubern, aber das Essen zu zweit wird nicht wertgeschätzt. Wir fühlen uns vom Partner abgelehnt oder nicht mehr geliebt, sobald er oder sie sich nicht so verhält, wie es unserer Vorstellung eines liebenden Partners entspricht. Das kann mit sehr schmerzhaften Emotionen verbunden sein.

Die Frage ist, was es mit uns macht und wie wir dann damit umgehen. Es liegt in unserer Hand, ob wir als Opfer reagieren und leiden oder uns aus der negativen Situation befreien. Die Frage ist, wie?

Fühlen wir uns getriggert und werden wütend, nehmen wir den anderen nicht mehr wahr und können ihn oder sie ganz bestimmt nicht lieben. Die meisten von uns wissen das. Sind wir in einer “negativen” Emotion gefangen, treten wir aus der Beziehung zu dem anderen Menschen heraus. Wir spüren dann nur noch unsere eigenen Emotionen und nichts mehr von dem anderen. Oft identifizieren wir uns so vollkommen mit dieser Emotion, dass wir nicht anders können, als sie auszuagieren. 

Woher kommen diese überwältigenden Emotionen?

Oftmals handelt es sich um die Spätfolgen frühkindlicher emotionaler Verletzungen, die durch ähnliche Auslöser wieder an die Oberfläche kommen. Emotionen sind dabei nicht gleichzusetzen mit Gefühlen. Wir sind fühlende Wesen und daher sind Gefühle auch unsere essenzielle Natur. Gefühle sind z. B. Liebe, Glückseligkeit, Dankbarkeit – während Emotionen meist die Folge eines Triggers, eines Traumas bzw. einer falsch eingeschätzten Situation sind. Dazu gehören z. B. Wut, Trauer, Sorge oder Angst.

Ursachen und Auswirkungen eines Traumas

Emotionen, die getriggert werden, können sehr oberflächlich sein und tatsächlich aus der jeweiligen Situation heraus entstammen, sodass wir sie schnell auf mentaler Ebene wieder loslassen können.

Es können sich aber auch sehr tiefe, alte Wunden zeigen, die nur oberflächlich vernarbt sind und bei denen schon kleine Trigger ausreichen, um diese tiefen Krater wieder aufzureißen.

Die Auslöser selbst können banal sein. Es können ein Geräusch, ein Geruch, eine Situation, ein bestimmter Blick oder eben Worte und Handlungen unserer Mitmenschen sein – und die Seele reagiert. Sei es durch Emotionen oder sogar körperliche Symptome.

Auch wenn die Trigger unbedeutend sein können, so sind es die tief verwurzelten Verletzungen nicht. Ein Trigger ist ein Reiz, der mit der ursprünglich traumatisierenden Situation in Verbindung gebracht und von der Amygdala als lebensbedrohlich eingestuft wird. [1] Die Amygdala ist ein Teil des Gehirns, der sich im limbischen System befindet. Sie steuert die Emotionen, insbesondere die Entstehung von Angst und Furcht.

In schweren Fällen spricht man von einem Posttraumatischen Belastungssyndrom (PTBS), das körperliche Symptome aufweist wie

  • emotionale Flashbacks
  • tyrannischer innerer und äußerer Kritiker
  • Bindungsunfähigkeit
  • Beziehungsprobleme
  • Dissoziation
  • toxische Scham
  • soziale Ängste
  • klägliches Einsamkeits- und Verlassenheitsgefühl
  • fragiles Selbstwertgefühl
  • Überempfindlichkeit gegen Belastungen
  • leicht erregbare Kampf- oder Flucht-Reaktion
  • Suizidgedanken
  • manchmal abgestumpfte Emotionen,
  • Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen oder Schreckhaftigkeit.

[2]

Bei einem PTBS kann es auch zu Depressionen kommen, die mit Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit oder sogar suizidalen Gedanken einhergehen können.

Nicht selten kommt es in der Folge eines Triggers plötzlich zu Verhaltensänderungen wie z. B. zu Rückzug, Scham- oder Schuldgefühlen, inneren Vorwürfen und Selbstkritik. Auch Flashbacks können durch Trigger ausgelöst werden. Die Betroffenen werden von intensiven Erinnerungen “verfolgt” und das Erlebte spult sich innerlich immer und immer wieder ab wie in einem Film, und zwar so, als würde es gerade jetzt in diesem Moment geschehen.

Oft steht hinter dem Trigger ein Trauma, das aus einer tiefen seelischen Verletzung entstanden ist.

Peter Levine, der amerikanische Biophysiker, Psychologe, Psychotraumatologe und namhafte Autor auf dem Gebiet der Traumaheilung, beschreibt folgende Umstände als Gründe für die Entstehung eines Traumas:

  • Fötales Trauma (intra-uterin)
  • Geburtstrauma
  • Verlust eines Elternteils oder eines nahen Familienmitglieds
  • Krankheit, hohes Fieber, versehentliche Vergiftungen
  • Körperliche Verletzungen, einschließlich Stürze und Unfälle
  • Sexueller, körperlicher und emotionaler Missbrauch, einschließlich schwerer Vernachlässigung oder Schläge
  • Miterleben von Gewalt
  • Naturkatastrophen wie Erdbeben, Brände und Überschwemmungen
  • Bestimmte medizinische und zahnmedizinische Eingriffe
  • Operationen
  • Anästhesie
  • Längere Ruhigstellung; Gips und Schienung der Beine oder des Rumpfes von Kleinkindern aus verschiedenen Gründen (Fehlstellungen der Füße, Skoliose).

[3]

Der Lebensberater und Heilpraktiker für Psychotherapie Gopal Norbert Klein fasst es so zusammen: Leiden ist immer ein Bindungstrauma oder ein Entwicklungstrauma, es sei denn, es handelt sich um ein Schocktrauma, das direkt auf ein klar definierbares Ereignis X zurückzuführen ist.

Der Autor Pete Walker geht davon aus, dass es sich hier auch um ein gesellschaftliches Phänomen handelt. Er beschreibt das Beschwerdebild als K-PTBS, Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung, die zwar durch schweren Missbrauch, Misshandlungen und/oder Vernachlässigung in der Herkunftsfamilie entsteht, aber auch gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegelt. In seinem Buch “Posttraumatische Belastungsstörung - Vom Überleben zu neuem Leben” schreibt er einfühlsam über Wege zur Heilung von emotionalen Schäden, die durch traumatische Missbrauchs-, Gewalt- und Verlassenheitserfahrungen entstanden sind. Dass diese Erlebnisse nicht nur auf körperlicher Ebene, sondern auch auf verbaler, emotionaler oder seelischer Ebene passiert sein können, stellt er klar heraus. Sexueller Missbrauch ist dabei besonders traumatisch. Wenn der Missbrauch auf mehreren Ebenen stattgefunden hat, nimmt häufig auch die Schwere der K-PTBS zu. [4]

 

“Trauma ist eine allgegenwärtige Tatsache des modernen Lebens. Die meisten von uns sind traumatisiert, nicht nur Soldaten oder Opfer von Missbrauch oder Angriffen. Da wir instinktive Wesen mit der Fähigkeit zu fühlen, zu reagieren und zu reflektieren sind, verfügen wir glücklicherweise über das angeborene Potenzial, selbst die schwersten traumatischen Verletzungen zu heilen.”

Peter Levine

 

Welche Kräfte wir entwickeln, um Trauma zu vermeiden

Wenn wir ein Trauma erleben, wird diese Situation von uns als lebensbedrohlich empfunden und unser Körper stellt auf Überlebensmodus um.

Häufig werden sogar enorme Kräfte mobilisiert, die unglaubliche Mengen an Energien freisetzen, um entweder Kampf- oder Fluchtreaktionen zu initiieren. Vielleicht haben Sie das bereits selbst schon einmal erleben dürfen. Ich konnte aus dem Stand einmal 2-3 Meter weit springen, als ich eine Giftschlange im australischen Busch auf mich zurasen sah. Es ist dieselbe Energie, mit der eine zierliche Frau plötzlich eine Tonne Stahl von den Beinen ihres Sohnes zu heben vermag, wenn der Kleine unter einem Auto eingeklemmt ist. Diese Art von Kraft wird durch einen starken Anstieg der Durchblutung der Muskeln und die Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol und Adrenalin unterstützt.

Diese unglaublichen Kräfte setzen wir innerhalb der Schockreaktion bzw. auch Jahre später noch ein, wenn ein Trigger unseren Körper in die vermeintliche Schocksituation zurückkatapultiert. Nur verwenden wir diese Kräfte dann nicht aus dem akuten Erleben heraus, sondern aus unseren eigenen Erfahrungen und Erinnerungen.  So wollen wir den aufkeimenden Schmerz, den ein Trigger mit sich bringt, vermeiden, der Situation entfliehen oder das Ganze ignorieren. Wir setzen unsere Kräfte daher nicht mehr adäquat ein, sondern aus der Verletzung heraus, um diese nicht noch einmal fühlen zu müssen.

 

Wenn wir uns das bewusst machen, steht uns diese Kraft zur Verfügung, um uns von negativen Emotionen zu befreien und sie wieder für unsere Kreativität im Leben einsetzen zu können.

 

“Glücklicherweise können dieselben immensen Energien, die die Symptome eines Traumas hervorrufen, wenn sie richtig eingesetzt und mobilisiert werden, das Trauma transformieren und uns in neue Höhen von Heilung, Meisterschaft und sogar Weisheit befördern.”

Levine

 

Instinktgesteuerte Reaktionen auf emotionale Trigger

Grundsätzlich werden drei Formen der Reaktion auf ein traumatisierendes Erlebnis unterschieden:

  • Kampf – aggressiv reagieren
  • Flucht – auf Distanz gehen
  • Totstellen – so tun, als kann es mich nicht berühren [5]

Und genau diese drei Reaktionen kennen viele von uns aus intimen oder freundschaftlichen Beziehungen.

Wenn wir uns getriggert fühlen,

  1. schalten wir entweder auf Kampf um und verteidigen uns aggressiv oder
  2. wir gehen auf eiskalte Distanz zu dem Menschen, von dem wir uns verletzt fühlen oder
  3. wir “stellen uns tot”, in dem wir so tun, als wäre nichts passiert.

Der Grund für diese einfach gestrickten Reaktionsmuster, die wir entwickeln, wenn wir uns angegriffen fühlen, sind unsere Instinkte. Wir reagieren aus unserem “Ur-Gehirn” heraus instinktiv, und dies obliegt nicht unserer bewussten Kontrolle. Wenn wir mit etwas konfrontiert werden, das wir als unausweichliche oder überwältigende Bedrohung empfinden, reagieren wir, ohne zu denken. Dieses Verhalten umzukehren, ist nach Peter Levine zugleich der Schlüssel zur Heilung traumatischer Symptome.

Wie funktioniert das und wie können wir unsere Kräfte mobilisieren, um in die Heilung einzutreten? Und wie können wir unsere Beziehungen als Heilungsmöglichkeit dafür nutzen?

Foto: Zwei Paar Hände, bei denen sich nur die Fingerspitzen berühren. Eine Hand trägt einen schmalen Ring mit Edelstein

Die beste Beziehungsarbeit ist die Arbeit an sich selbst

Auswege aus dem Trauma

 

"Ein Trauma ist eine Tatsache des Lebens. Es muss jedoch keine lebenslange Strafe sein.

Ein Trauma kann nicht nur geheilt werden, sondern kann mit entsprechender Anleitung

und Unterstützung auch transformativ sein."

Peter Levine

 

Der renommierte Traumaforscher Peter Levine beschreibt den Ausweg aus einem Trauma als zweiphasig. Wichtig ist hier, dass Sie aufmerksam nach innen spüren und professionelle Hilfe suchen, sobald Gedanken und Emotionen zu intensiv werden und Sie zu überwältigen scheinen. Wichtig ist auch, dass Sie wirklich liebevoll mit sich umgehen und sich nicht unter Druck setzen. Ein Ort, an dem Sie sich sicher fühlen, kann Ihnen vielleicht dabei helfen, sich auf die Forschungsreise nach innen zu begeben.

Traumaheilung nach Peter Levine

Levine formuliert zwölf Schritte:

  1. Nehmen Sie Ihre körperlichen Grenzen ganz bewusst wahr:
    Die erste Übung vermittelt ein Gefühl für die eigene physische Begrenzung. Fühlen Sie dazu, wie sich Ihre Hände berühren, indem Sie die Handflächen zunächst sanft aufeinanderschlagen und dann, indem Sie sie halten. Levine führt diese Übung zum Wahrnehmen der eigenen Haut und der Körpergrenzen weiter aus. Der Sinn dahinter ist, sich in der eigenen Haut wohlzufühlen und Berührungen wahrzunehmen, zu unterscheiden, was fühlt sich gut an, was unterstützt das Wohlbefinden und wie fühlt sich das an, was guttut. Diese Übung, so einfach sie klingen mag, hilft sehr, die eigene Wahrnehmung und Selbstliebe zu schulen.
  2. Erden und sich zentrieren:
    Wenn wir traumatisiert sind, haben wir oft das Gefühl, keinen Halt zu haben oder als ob uns der Boden unter den Füßen fehlt.
  3. Ressourcen aktivieren:
    Menschen, die traumatisiert wurden, können ihre Fähigkeiten und Talente schlichtweg vergessen. Das ist vor allem bei frühkindlichen Bindungstraumata der Fall. Schon nach einer einzelnen Trauma-Erfahrung können sich persönliche Ressourcen tief hinter Verteidigungsmechanismen vergraben. Levine beschreibt eine Übung, mit der man seine inneren Stärken und die eigene Kraft realisieren kann. Fragen Sie sich z. B.: Was hat Ihnen geholfen, dass Sie trotz des Traumas heute so geworden sind, wie Sie sind? Welche inneren Stärken haben Ihnen geholfen? Dies kann ein sehr wertvoller Prozess sein, um Ihre Stärken zu realisieren, die Sie vielleicht bis jetzt als gegeben betrachtet haben.
  4. Mit der gefühlten Wahrnehmung arbeiten:
    Das bedeutet, die Wahrnehmungen werden nicht nur mental, sondern wirklich auf der körperlichen Ebene gefühlt. Die gefühlte Wahrnehmung ist das, was Sie in Bezug auf das traumatisierende Ereignis in Ihrem Körper spüren. So geben Sie dem, was Sie fühlen, Bedeutung. Indem Sie sich mit Ihrem Körpergefühl verbinden, können Sie Ihre Instinkte nutzen, die für die Heilung von Traumata notwendig sind. Richten Sie dabei Ihre Aufmerksamkeit auf die Empfindung, die ein Trigger in Ihrem Körper hinterlässt.
  5. Empfindungen, Bilder, Gedanken und Emotionen im Körper fühlen:
    Damit ist gemeint, dass sobald ein unerwünschter Gedanke auftaucht, dieser in seine körperliche Empfindung zurückverfolgt wird. Indem Sie sich in Ihren Körper zurückversetzen, können Sie die Auswirkungen dieses Gedankens auf Ihre Körperempfindungen verfolgen.
  6. Sich der Emotion stellen:
    Dies ist möglicherweise der interessanteste Teil in der Traumaheilung, wie sie Peter Levine beschreibt. Traumatisierte Menschen sind oft in ihren Handlungen auf ihr Trauma fixiert und dadurch eingeengt in ihrem Reaktionsspielraum. Um diese Verengung aufzulösen, kann man lernen, bei der Emotion zu bleiben, bis diese sich zu verändern beginnt. Denn es liegt in der Natur einer Emotion, sich zu verändern, wenn wir mit ihr in Berührung kommen. Dies kann oft Angst auslösen. Es kann sogar sein, dass Sie die Emotion erst einmal unwahrscheinlich schlimm finden. Doch meistens verändert sie sich schon, wenn wir dem Tiger ins Auge geschaut haben. An dieser Stelle können Sie ein Hin- und Herpendeln zwischen Einengung und Ausdehnung in ihrem Körper beobachten. Dies zeigt an, dass Sie nicht mehr in der Einengung feststecken. Levine beschreibt diesen Vorgang als Pendeln.
  7. Aggression:
    Oft fühlen traumatisierte Menschen entweder gar nichts oder sie empfinden Wut. Nicht selten wird diese Wut auf unangemessene Weise ausgedrückt. Ein wichtiger Teil der Traumaheilung nach Levine ist es, die Wut zuzulassen.
  8. Fluchtimpulse:
    Wenn Sie in der Vergangenheit auf eine Bedrohung mit Erstarren reagiert haben, werden Sie dies höchstwahrscheinlich auch in Zukunft tun, sobald Sie mit einer aktivierenden Situation wie einem Streit oder einer intimen Begegnung konfrontiert werden. Dieses Gefühl der Bewegungslosigkeit kann zu einer allgegenwärtigen Furcht vor der Zukunft führen. Nach Peter Levines Methode können Sie ein Gefühl dafür entwickeln, wie Sie im Falle einer Bedrohung aus der Situation entkommen könnten. Dadurch löst sich die Angst auf und Sie müssen sich nicht mehr überwältigt fühlen.
  9. Stärke entwickeln anstatt zu kollabieren oder sich zu verteidigen:
    Viele traumatisierte Menschen erleben angesichts bestimmter Lebenssituationen das Gefühl eines Zusammenbruchs. Sie interpretieren die Situation aus den Erlebnissen in der Vergangenheit heraus und reagieren auf die vermeintliche Bedrohung. Levine zufolge kann man Stärke und Widerstandsfähigkeit trainieren, indem man übt, belastende Situationen zu durchlaufen und innerlich aufzulösen.
  10. Starre lösen:
    Bei einem Trauma ist unsere Reaktion oft an eine Bewegungsunfähigkeit gebunden. Wir erstarren vor Schreck, auch wenn der Schreck “nur” ein Trigger ist. Auch für dieses Erstarrungsmuster beschreibt Levine Übungen, um sie zu lösen. Ob wir "weiterhin eingefroren und überwältigt" sind oder ob wir uns dort hindurchbewegen, obliegt letztlich unserer Entscheidung. Mit dem vollen Einsatz unserer hoch entwickelten Denk- und Wahrnehmungsfähigkeit können wir uns durch den gefühlten Sinn bewusst aus der Traumareaktion herausbewegen. Dies bedarf Zeit und liebevoller Begleitung.
  11. Aus dem Inneren heraus wieder neu in Beziehung treten:
    Wenn wir ein Trauma erleiden oder reinszenieren, sind wir nicht in der Lage, in dieser Situation angemessen zu reagieren. Wir sind in der Verletzung gefangen und nicht in der Gegenwart verankert. Nach der Methode von Levine lernen Sie, die Welt mit anderen Augen zu betrachten, vielleicht haben Sie sogar das Bedürfnis, direkt in Beziehung gehen zu wollen. Wenn sich der Griff eines Traumas löst, zeigen sich ganz neue und authentische Reaktionen.
  12. Phase der Integration:
    Wenn Sie aus Ihren alten Traumareaktionen herauskommen, brauchen Sie Werkzeuge, die Ihnen helfen, ein neues Gefühl der Präsenz und Ruhe zu entwickeln. Das können Sie mithilfe bestimmter Handpositionen tun. Diese können Sie einsetzen, wenn sich veraltete Reaktionsmuster Bahn brechen wollen, von denen Sie sich schon distanziert haben, aber noch etwas Sicherheit brauchen.

Die von Levine beschriebenen Hilfen für die Traumaheilung können zu echten Durchbrüchen verhelfen. Jedoch sollte man sich professionelle Hilfe suchen, wenn wirklich starre, psychische Verletzungen vorliegen, und nicht auf eigene Faust losziehen.

Bücher zum Thema

Peter Levine, ein amerikanischer Biophysiker, Psychologe, Psychotraumatologe und namhafter Autor gilt als Vorreiter in der Traumaheilung:

Umgang mit posttraumatischen Belastungsstörungen

Ein spannender Ansatz: Geht Traumaheilung über Homöopathie?

Psychopharmaka oder nicht – Chancen und Risiken der pharmakologischen Behandlung – körpereigene und pflanzliche Antidepressiva – antidepressive Nährstoffe und Maßnahmen

Disclaimer

Dieser Artikel ersetzt nicht die Behandlung durch einen qualifizierten Therapeuten. Die Grundlage dieses Beitrags bilden Studien und aktuelle Literatur. Er darf nicht zur Selbstdiagnose oder Selbstbehandlung genutzt werden. Besprechen Sie ggf. Ihre Inspirationen aus diesem Artikel mit einem Therapeuten Ihres Vertrauens.

Nach dem ICD-10, dem international anerkannten Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen, gehört die Posttraumatische Belastungsstörung zu den Belastungs- und somatoformen Störungen.


Quellen

[1] Zito, D. & Martin, E. (2016). Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen: ein Leitfaden für Fachkräfte und Ehrenamtliche. Weinheim: Beltz Juventa. S. 35

[2] Pete Walker. Posttraumatische Belastungsstörung - Vom Überleben zu einem neuen Leben

[3] Peter A. Levine. Vom Trauma befreien

[4] Pete Walker. Posttraumatische Belastungsstörung - Vom Überleben zu einem neuen Leben, S. 9

[5] Pete Walker. Posttraumatische Belastungsstörung - Vom Überleben zu einem neuen Leben

[6] Gøtzsche. Tödliche Psychopharmaka und organisiertes Leugnen

[7] https://www.scientificfreedom.dk/2023/04/05/personal-accounts-of-patients-driven-into-suicide-by-a-depression-pill/

[8] https://www.thepermanentejournal.org/doi/10.7812/TPP/13-098

[9] Peter Chappell. Emotional Healing with Homeopathy

[10] Pete Walker. Posttraumatische Belastungsstörung - Vom Überleben zu einem neuen Leben, S. 270

[11] Pete Walker. Posttraumatische Belastungsstörung - Vom Überleben zu einem neuen Leben, S. 274 - Dialogfähigkeit in Beziehungen

Fotos: Unsplash: Casey Horner, Benjamin Manley, Hannah Busing

Beziehungskiller Trauma: Wie tiefe Wunden der Kindheit heilen können

Auswege aus der Traumatisierung in Beziehungen

von Jannyn Saß

Foto: Ein Paar als schemenhafte Gestalten auf einem Hügel, Abstand zwischen ihnen, der Himmel im Hintergrund blassrosa

Verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden. Das Gefühl, Schmetterlinge im Bauch zu haben und bis über beide Ohren verliebt zu sein – das kennt wahrscheinlich jeder von uns. Und dass dieses Gefühl verschwindet und einem grauen Alltag weichen kann, das haben vielleicht genauso viele von uns erlebt. Noch vor ein paar Monaten war die Beziehung, die wir führten, unser Non-Plus-Ultra und jetzt scheint alles anders. Warum können Beziehungen zu Menschen, die wir zu lieben glaubten, so aus dem Ruder laufen? Warum fühlen wir uns durch sie verletzt und können unser Herz nicht mehr öffnen?

Hinter diesem offenkundigen Schmerz steckt oft ein sehr viel tieferer und älterer Schmerz aus der Kindheit, den wir in unseren Beziehungen dann wieder erleben. Es ist, als signalisiere unser Unterbewusstsein: Schau, hier ist eine Wunde, die noch nicht geheilt ist. Vielleicht wurden wir von unserer Mutter oder unserem Vater nicht geliebt, vielleicht gab es sogar physische oder psychische Gewalt. Und selbst wenn wir davon verschont geblieben sind, so gibt es viele andere Möglichkeiten der Traumatisierung, die ebenso tiefe Stachel in unserer Seele hinterlassen können.

 

“Die Menschheit ist wahrscheinlich ihren normalen Gefühlszuständen noch nie so entfremdet gewesen wie im 21. Jahrhundert. Noch nie zuvor waren so viele Menschen emotional derart abgestumpft und verarmt.”

Pete Walker

 

Das, was sich in Beziehungen oft zeigt, wenn es nicht so gut läuft, ist ein sogenanntes Entwicklungstrauma, auch Beziehungstrauma genannt. Diese Traumata entstehen durch die Einflüsse der ersten Bezugspersonen in der frühen Kindheit und prägen uns sehr tief. Weil sie so früh im Leben entstehen, können wir uns – oft unbewusst – nicht vorstellen, wie ein Leben ohne Trauma aussehen kann. Uns fehlt die Erinnerung an eine Zeit ohne Trauma.

Bei einem Schocktrauma ist es anders. Hier hängt das Trauma mit einem plötzlichen Erlebnis zusammen, wie z. B. einem Autounfall. Dieser Tag X kommt als Schock, kann ein Trauma auslösen und lebensverändernd sein. Da es aber ein Leben vor diesem Tag X gab, weiß die betroffene Person, wie es sich vorher anfühlte. Er oder sie kann sich an ein Leben vor dem traumatisierenden Ereignis erinnern. Bei einem Entwicklungs- und Beziehungstrauma hingegen finden die ursprünglich traumatisierenden Ereignisse in einer Lebensphase statt, an die wir uns nicht erinnern können. Die eigenen Talente, Ressourcen und Fähigkeiten sind davon überschattet. Das macht eine Therapie oft langwieriger und schwieriger.

Welche Möglichkeiten gibt es, ein solches Trauma zu lösen? Und wie lassen sich dadurch Beziehungen heilen, die wir als Erwachsene mit anderen Menschen eingehen?

Warum wir in Beziehungen den Partner so gern verändern wollen

Allzu schmerzhaft ist es, wenn wir erkennen, dass unser Partner nicht so ist, wie wir uns ihn oder sie vorgestellt haben. Wenn plötzlich Charakterzüge zutage treten, mit denen wir einfach nicht klarkommen. Sei es ein Alkoholproblem, permanente Negativität durch ewiges Kritisieren und Nörgeln oder eine generelle Opferhaltung dem Leben gegenüber – es gibt viele Aspekte, die wir in der Phase der Verliebtheit mit rosaroter Brille einfach ausgeblendet haben. Kennen Sie dieses Gefühl?

Dann beginnen wir meistens, die Dinge im Außen kitten zu wollen. Wir fangen an, den Partner verändern zu wollen. Er soll doch mehr Sport machen, gesünder leben, die Zahnpastatube zudrehen oder den Klodeckel herunterlassen. Wir wollen uns den geliebten Menschen wieder so zurechtbiegen, wie wir ihn oder sie gern hätten. Hier stellt sich die Frage: Weshalb?

Oft ist der Grund in unserer eigenen Komfortzone zu finden. Wir wollen einfach nicht getriggert werden. Solange alles gut läuft und wir uns in unserem abgesteckten Terrain bewegen, sind wir sicher. Niemand kann uns dann verletzen.

Foto: Blick von hinten auf einzelnes Elternteil mit zwei Kindern auf einer Bank, im trostlosen Herbstwald

Was passiert, wenn wir uns von unserem Partner verletzt fühlen?

Emotionen machen beziehungslos

Ein Beispiel: Wir schenken unserem Partner ein Gedicht, das wir in Liebe aus unserem Innersten geschrieben haben, und es kommt nur eine verächtliche Bemerkung zurück. Oder wir haben versucht, ein schönes Menü zu zaubern, aber das Essen zu zweit wird nicht wertgeschätzt. Wir fühlen uns vom Partner abgelehnt oder nicht mehr geliebt, sobald er oder sie sich nicht so verhält, wie es unserer Vorstellung eines liebenden Partners entspricht. Das kann mit sehr schmerzhaften Emotionen verbunden sein.

Die Frage ist, was es mit uns macht und wie wir dann damit umgehen. Es liegt in unserer Hand, ob wir als Opfer reagieren und leiden oder uns aus der negativen Situation befreien. Die Frage ist, wie?

Fühlen wir uns getriggert und werden wütend, nehmen wir den anderen nicht mehr wahr und können ihn oder sie ganz bestimmt nicht lieben. Die meisten von uns wissen das. Sind wir in einer “negativen” Emotion gefangen, treten wir aus der Beziehung zu dem anderen Menschen heraus. Wir spüren dann nur noch unsere eigenen Emotionen und nichts mehr von dem anderen. Oft identifizieren wir uns so vollkommen mit dieser Emotion, dass wir nicht anders können, als sie auszuagieren. 

Woher kommen diese überwältigenden Emotionen?

Oftmals handelt es sich um die Spätfolgen frühkindlicher emotionaler Verletzungen, die durch ähnliche Auslöser wieder an die Oberfläche kommen. Emotionen sind dabei nicht gleichzusetzen mit Gefühlen. Wir sind fühlende Wesen und daher sind Gefühle auch unsere essenzielle Natur. Gefühle sind z. B. Liebe, Glückseligkeit, Dankbarkeit – während Emotionen meist die Folge eines Triggers, eines Traumas bzw. einer falsch eingeschätzten Situation sind. Dazu gehören z. B. Wut, Trauer, Sorge oder Angst.

Ursachen und Auswirkungen eines Traumas

Emotionen, die getriggert werden, können sehr oberflächlich sein und tatsächlich aus der jeweiligen Situation heraus entstammen, sodass wir sie schnell auf mentaler Ebene wieder loslassen können.

Es können sich aber auch sehr tiefe, alte Wunden zeigen, die nur oberflächlich vernarbt sind und bei denen schon kleine Trigger ausreichen, um diese tiefen Krater wieder aufzureißen.

Die Auslöser selbst können banal sein. Es können ein Geräusch, ein Geruch, eine Situation, ein bestimmter Blick oder eben Worte und Handlungen unserer Mitmenschen sein – und die Seele reagiert. Sei es durch Emotionen oder sogar körperliche Symptome.

Auch wenn die Trigger unbedeutend sein können, so sind es die tief verwurzelten Verletzungen nicht. Ein Trigger ist ein Reiz, der mit der ursprünglich traumatisierenden Situation in Verbindung gebracht und von der Amygdala als lebensbedrohlich eingestuft wird. [1] Die Amygdala ist ein Teil des Gehirns, der sich im limbischen System befindet. Sie steuert die Emotionen, insbesondere die Entstehung von Angst und Furcht.

In schweren Fällen spricht man von einem Posttraumatischen Belastungssyndrom (PTBS), das körperliche Symptome aufweist wie

  • emotionale Flashbacks
  • tyrannischer innerer und äußerer Kritiker
  • Bindungsunfähigkeit
  • Beziehungsprobleme
  • Dissoziation
  • toxische Scham
  • soziale Ängste
  • klägliches Einsamkeits- und Verlassenheitsgefühl
  • fragiles Selbstwertgefühl
  • Überempfindlichkeit gegen Belastungen
  • leicht erregbare Kampf- oder Flucht-Reaktion
  • Suizidgedanken
  • manchmal abgestumpfte Emotionen,
  • Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen oder Schreckhaftigkeit.

[2]

Bei einem PTBS kann es auch zu Depressionen kommen, die mit Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit oder sogar suizidalen Gedanken einhergehen können.

Nicht selten kommt es in der Folge eines Triggers plötzlich zu Verhaltensänderungen wie z. B. zu Rückzug, Scham- oder Schuldgefühlen, inneren Vorwürfen und Selbstkritik. Auch Flashbacks können durch Trigger ausgelöst werden. Die Betroffenen werden von intensiven Erinnerungen “verfolgt” und das Erlebte spult sich innerlich immer und immer wieder ab wie in einem Film, und zwar so, als würde es gerade jetzt in diesem Moment geschehen.

Oft steht hinter dem Trigger ein Trauma, das aus einer tiefen seelischen Verletzung entstanden ist.

Peter Levine, der amerikanische Biophysiker, Psychologe, Psychotraumatologe und namhafte Autor auf dem Gebiet der Traumaheilung, beschreibt folgende Umstände als Gründe für die Entstehung eines Traumas:

  • Fötales Trauma (intra-uterin)
  • Geburtstrauma
  • Verlust eines Elternteils oder eines nahen Familienmitglieds
  • Krankheit, hohes Fieber, versehentliche Vergiftungen
  • Körperliche Verletzungen, einschließlich Stürze und Unfälle
  • Sexueller, körperlicher und emotionaler Missbrauch, einschließlich schwerer Vernachlässigung oder Schläge
  • Miterleben von Gewalt
  • Naturkatastrophen wie Erdbeben, Brände und Überschwemmungen
  • Bestimmte medizinische und zahnmedizinische Eingriffe
  • Operationen
  • Anästhesie
  • Längere Ruhigstellung; Gips und Schienung der Beine oder des Rumpfes von Kleinkindern aus verschiedenen Gründen (Fehlstellungen der Füße, Skoliose).

[3]

Der Lebensberater und Heilpraktiker für Psychotherapie Gopal Norbert Klein fasst es so zusammen: Leiden ist immer ein Bindungstrauma oder ein Entwicklungstrauma, es sei denn, es handelt sich um ein Schocktrauma, das direkt auf ein klar definierbares Ereignis X zurückzuführen ist.

Der Autor Pete Walker geht davon aus, dass es sich hier auch um ein gesellschaftliches Phänomen handelt. Er beschreibt das Beschwerdebild als K-PTBS, Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung, die zwar durch schweren Missbrauch, Misshandlungen und/oder Vernachlässigung in der Herkunftsfamilie entsteht, aber auch gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegelt. In seinem Buch “Posttraumatische Belastungsstörung - Vom Überleben zu neuem Leben” schreibt er einfühlsam über Wege zur Heilung von emotionalen Schäden, die durch traumatische Missbrauchs-, Gewalt- und Verlassenheitserfahrungen entstanden sind. Dass diese Erlebnisse nicht nur auf körperlicher Ebene, sondern auch auf verbaler, emotionaler oder seelischer Ebene passiert sein können, stellt er klar heraus. Sexueller Missbrauch ist dabei besonders traumatisch. Wenn der Missbrauch auf mehreren Ebenen stattgefunden hat, nimmt häufig auch die Schwere der K-PTBS zu. [4]

 

“Trauma ist eine allgegenwärtige Tatsache des modernen Lebens. Die meisten von uns sind traumatisiert, nicht nur Soldaten oder Opfer von Missbrauch oder Angriffen. Da wir instinktive Wesen mit der Fähigkeit zu fühlen, zu reagieren und zu reflektieren sind, verfügen wir glücklicherweise über das angeborene Potenzial, selbst die schwersten traumatischen Verletzungen zu heilen.”

Peter Levine

 

Welche Kräfte wir entwickeln, um Trauma zu vermeiden

Wenn wir ein Trauma erleben, wird diese Situation von uns als lebensbedrohlich empfunden und unser Körper stellt auf Überlebensmodus um.

Häufig werden sogar enorme Kräfte mobilisiert, die unglaubliche Mengen an Energien freisetzen, um entweder Kampf- oder Fluchtreaktionen zu initiieren. Vielleicht haben Sie das bereits selbst schon einmal erleben dürfen. Ich konnte aus dem Stand einmal 2-3 Meter weit springen, als ich eine Giftschlange im australischen Busch auf mich zurasen sah. Es ist dieselbe Energie, mit der eine zierliche Frau plötzlich eine Tonne Stahl von den Beinen ihres Sohnes zu heben vermag, wenn der Kleine unter einem Auto eingeklemmt ist. Diese Art von Kraft wird durch einen starken Anstieg der Durchblutung der Muskeln und die Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol und Adrenalin unterstützt.

Diese unglaublichen Kräfte setzen wir innerhalb der Schockreaktion bzw. auch Jahre später noch ein, wenn ein Trigger unseren Körper in die vermeintliche Schocksituation zurückkatapultiert. Nur verwenden wir diese Kräfte dann nicht aus dem akuten Erleben heraus, sondern aus unseren eigenen Erfahrungen und Erinnerungen.  So wollen wir den aufkeimenden Schmerz, den ein Trigger mit sich bringt, vermeiden, der Situation entfliehen oder das Ganze ignorieren. Wir setzen unsere Kräfte daher nicht mehr adäquat ein, sondern aus der Verletzung heraus, um diese nicht noch einmal fühlen zu müssen.

 

Wenn wir uns das bewusst machen, steht uns diese Kraft zur Verfügung, um uns von negativen Emotionen zu befreien und sie wieder für unsere Kreativität im Leben einsetzen zu können.

 

“Glücklicherweise können dieselben immensen Energien, die die Symptome eines Traumas hervorrufen, wenn sie richtig eingesetzt und mobilisiert werden, das Trauma transformieren und uns in neue Höhen von Heilung, Meisterschaft und sogar Weisheit befördern.”

Levine

 

Instinktgesteuerte Reaktionen auf emotionale Trigger

Grundsätzlich werden drei Formen der Reaktion auf ein traumatisierendes Erlebnis unterschieden:

  • Kampf – aggressiv reagieren
  • Flucht – auf Distanz gehen
  • Totstellen – so tun, als kann es mich nicht berühren [5]

Und genau diese drei Reaktionen kennen viele von uns aus intimen oder freundschaftlichen Beziehungen.

Wenn wir uns getriggert fühlen,

  1. schalten wir entweder auf Kampf um und verteidigen uns aggressiv oder
  2. wir gehen auf eiskalte Distanz zu dem Menschen, von dem wir uns verletzt fühlen oder
  3. wir “stellen uns tot”, in dem wir so tun, als wäre nichts passiert.

Der Grund für diese einfach gestrickten Reaktionsmuster, die wir entwickeln, wenn wir uns angegriffen fühlen, sind unsere Instinkte. Wir reagieren aus unserem “Ur-Gehirn” heraus instinktiv, und dies obliegt nicht unserer bewussten Kontrolle. Wenn wir mit etwas konfrontiert werden, das wir als unausweichliche oder überwältigende Bedrohung empfinden, reagieren wir, ohne zu denken. Dieses Verhalten umzukehren, ist nach Peter Levine zugleich der Schlüssel zur Heilung traumatischer Symptome.

Wie funktioniert das und wie können wir unsere Kräfte mobilisieren, um in die Heilung einzutreten? Und wie können wir unsere Beziehungen als Heilungsmöglichkeit dafür nutzen?

Foto: Zwei Paar Hände, bei denen sich nur die Fingerspitzen berühren. Eine Hand trägt einen schmalen Ring mit Edelstein

Die beste Beziehungsarbeit ist die Arbeit an sich selbst

Auswege aus dem Trauma

 

"Ein Trauma ist eine Tatsache des Lebens. Es muss jedoch keine lebenslange Strafe sein.

Ein Trauma kann nicht nur geheilt werden, sondern kann mit entsprechender Anleitung

und Unterstützung auch transformativ sein."

Peter Levine

 

Der renommierte Traumaforscher Peter Levine beschreibt den Ausweg aus einem Trauma als zweiphasig. Wichtig ist hier, dass Sie aufmerksam nach innen spüren und professionelle Hilfe suchen, sobald Gedanken und Emotionen zu intensiv werden und Sie zu überwältigen scheinen. Wichtig ist auch, dass Sie wirklich liebevoll mit sich umgehen und sich nicht unter Druck setzen. Ein Ort, an dem Sie sich sicher fühlen, kann Ihnen vielleicht dabei helfen, sich auf die Forschungsreise nach innen zu begeben.

Traumaheilung nach Peter Levine

Levine formuliert zwölf Schritte:

  1. Nehmen Sie Ihre körperlichen Grenzen ganz bewusst wahr:
    Die erste Übung vermittelt ein Gefühl für die eigene physische Begrenzung. Fühlen Sie dazu, wie sich Ihre Hände berühren, indem Sie die Handflächen zunächst sanft aufeinanderschlagen und dann, indem Sie sie halten. Levine führt diese Übung zum Wahrnehmen der eigenen Haut und der Körpergrenzen weiter aus. Der Sinn dahinter ist, sich in der eigenen Haut wohlzufühlen und Berührungen wahrzunehmen, zu unterscheiden, was fühlt sich gut an, was unterstützt das Wohlbefinden und wie fühlt sich das an, was guttut. Diese Übung, so einfach sie klingen mag, hilft sehr, die eigene Wahrnehmung und Selbstliebe zu schulen.
  2. Erden und sich zentrieren:
    Wenn wir traumatisiert sind, haben wir oft das Gefühl, keinen Halt zu haben oder als ob uns der Boden unter den Füßen fehlt.
  3. Ressourcen aktivieren:
    Menschen, die traumatisiert wurden, können ihre Fähigkeiten und Talente schlichtweg vergessen. Das ist vor allem bei frühkindlichen Bindungstraumata der Fall. Schon nach einer einzelnen Trauma-Erfahrung können sich persönliche Ressourcen tief hinter Verteidigungsmechanismen vergraben. Levine beschreibt eine Übung, mit der man seine inneren Stärken und die eigene Kraft realisieren kann. Fragen Sie sich z. B.: Was hat Ihnen geholfen, dass Sie trotz des Traumas heute so geworden sind, wie Sie sind? Welche inneren Stärken haben Ihnen geholfen? Dies kann ein sehr wertvoller Prozess sein, um Ihre Stärken zu realisieren, die Sie vielleicht bis jetzt als gegeben betrachtet haben.
  4. Mit der gefühlten Wahrnehmung arbeiten:
    Das bedeutet, die Wahrnehmungen werden nicht nur mental, sondern wirklich auf der körperlichen Ebene gefühlt. Die gefühlte Wahrnehmung ist das, was Sie in Bezug auf das traumatisierende Ereignis in Ihrem Körper spüren. So geben Sie dem, was Sie fühlen, Bedeutung. Indem Sie sich mit Ihrem Körpergefühl verbinden, können Sie Ihre Instinkte nutzen, die für die Heilung von Traumata notwendig sind. Richten Sie dabei Ihre Aufmerksamkeit auf die Empfindung, die ein Trigger in Ihrem Körper hinterlässt.
  5. Empfindungen, Bilder, Gedanken und Emotionen im Körper fühlen:
    Damit ist gemeint, dass sobald ein unerwünschter Gedanke auftaucht, dieser in seine körperliche Empfindung zurückverfolgt wird. Indem Sie sich in Ihren Körper zurückversetzen, können Sie die Auswirkungen dieses Gedankens auf Ihre Körperempfindungen verfolgen.
  6. Sich der Emotion stellen:
    Dies ist möglicherweise der interessanteste Teil in der Traumaheilung, wie sie Peter Levine beschreibt. Traumatisierte Menschen sind oft in ihren Handlungen auf ihr Trauma fixiert und dadurch eingeengt in ihrem Reaktionsspielraum. Um diese Verengung aufzulösen, kann man lernen, bei der Emotion zu bleiben, bis diese sich zu verändern beginnt. Denn es liegt in der Natur einer Emotion, sich zu verändern, wenn wir mit ihr in Berührung kommen. Dies kann oft Angst auslösen. Es kann sogar sein, dass Sie die Emotion erst einmal unwahrscheinlich schlimm finden. Doch meistens verändert sie sich schon, wenn wir dem Tiger ins Auge geschaut haben. An dieser Stelle können Sie ein Hin- und Herpendeln zwischen Einengung und Ausdehnung in ihrem Körper beobachten. Dies zeigt an, dass Sie nicht mehr in der Einengung feststecken. Levine beschreibt diesen Vorgang als Pendeln.
  7. Aggression:
    Oft fühlen traumatisierte Menschen entweder gar nichts oder sie empfinden Wut. Nicht selten wird diese Wut auf unangemessene Weise ausgedrückt. Ein wichtiger Teil der Traumaheilung nach Levine ist es, die Wut zuzulassen.
  8. Fluchtimpulse:
    Wenn Sie in der Vergangenheit auf eine Bedrohung mit Erstarren reagiert haben, werden Sie dies höchstwahrscheinlich auch in Zukunft tun, sobald Sie mit einer aktivierenden Situation wie einem Streit oder einer intimen Begegnung konfrontiert werden. Dieses Gefühl der Bewegungslosigkeit kann zu einer allgegenwärtigen Furcht vor der Zukunft führen. Nach Peter Levines Methode können Sie ein Gefühl dafür entwickeln, wie Sie im Falle einer Bedrohung aus der Situation entkommen könnten. Dadurch löst sich die Angst auf und Sie müssen sich nicht mehr überwältigt fühlen.
  9. Stärke entwickeln anstatt zu kollabieren oder sich zu verteidigen:
    Viele traumatisierte Menschen erleben angesichts bestimmter Lebenssituationen das Gefühl eines Zusammenbruchs. Sie interpretieren die Situation aus den Erlebnissen in der Vergangenheit heraus und reagieren auf die vermeintliche Bedrohung. Levine zufolge kann man Stärke und Widerstandsfähigkeit trainieren, indem man übt, belastende Situationen zu durchlaufen und innerlich aufzulösen.
  10. Starre lösen:
    Bei einem Trauma ist unsere Reaktion oft an eine Bewegungsunfähigkeit gebunden. Wir erstarren vor Schreck, auch wenn der Schreck “nur” ein Trigger ist. Auch für dieses Erstarrungsmuster beschreibt Levine Übungen, um sie zu lösen. Ob wir "weiterhin eingefroren und überwältigt" sind oder ob wir uns dort hindurchbewegen, obliegt letztlich unserer Entscheidung. Mit dem vollen Einsatz unserer hoch entwickelten Denk- und Wahrnehmungsfähigkeit können wir uns durch den gefühlten Sinn bewusst aus der Traumareaktion herausbewegen. Dies bedarf Zeit und liebevoller Begleitung.
  11. Aus dem Inneren heraus wieder neu in Beziehung treten:
    Wenn wir ein Trauma erleiden oder reinszenieren, sind wir nicht in der Lage, in dieser Situation angemessen zu reagieren. Wir sind in der Verletzung gefangen und nicht in der Gegenwart verankert. Nach der Methode von Levine lernen Sie, die Welt mit anderen Augen zu betrachten, vielleicht haben Sie sogar das Bedürfnis, direkt in Beziehung gehen zu wollen. Wenn sich der Griff eines Traumas löst, zeigen sich ganz neue und authentische Reaktionen.
  12. Phase der Integration:
    Wenn Sie aus Ihren alten Traumareaktionen herauskommen, brauchen Sie Werkzeuge, die Ihnen helfen, ein neues Gefühl der Präsenz und Ruhe zu entwickeln. Das können Sie mithilfe bestimmter Handpositionen tun. Diese können Sie einsetzen, wenn sich veraltete Reaktionsmuster Bahn brechen wollen, von denen Sie sich schon distanziert haben, aber noch etwas Sicherheit brauchen.

Die von Levine beschriebenen Hilfen für die Traumaheilung können zu echten Durchbrüchen verhelfen. Jedoch sollte man sich professionelle Hilfe suchen, wenn wirklich starre, psychische Verletzungen vorliegen, und nicht auf eigene Faust losziehen.

Bücher zum Thema

Peter Levine, ein amerikanischer Biophysiker, Psychologe, Psychotraumatologe und namhafter Autor gilt als Vorreiter in der Traumaheilung:

Umgang mit posttraumatischen Belastungsstörungen

Ein spannender Ansatz: Geht Traumaheilung über Homöopathie?

Psychopharmaka oder nicht – Chancen und Risiken der pharmakologischen Behandlung – körpereigene und pflanzliche Antidepressiva – antidepressive Nährstoffe und Maßnahmen

Disclaimer

Dieser Artikel ersetzt nicht die Behandlung durch einen qualifizierten Therapeuten. Die Grundlage dieses Beitrags bilden Studien und aktuelle Literatur. Er darf nicht zur Selbstdiagnose oder Selbstbehandlung genutzt werden. Besprechen Sie ggf. Ihre Inspirationen aus diesem Artikel mit einem Therapeuten Ihres Vertrauens.

Nach dem ICD-10, dem international anerkannten Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen, gehört die Posttraumatische Belastungsstörung zu den Belastungs- und somatoformen Störungen.


Quellen

[1] Zito, D. & Martin, E. (2016). Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen: ein Leitfaden für Fachkräfte und Ehrenamtliche. Weinheim: Beltz Juventa. S. 35

[2] Pete Walker. Posttraumatische Belastungsstörung - Vom Überleben zu einem neuen Leben

[3] Peter A. Levine. Vom Trauma befreien

[4] Pete Walker. Posttraumatische Belastungsstörung - Vom Überleben zu einem neuen Leben, S. 9

[5] Pete Walker. Posttraumatische Belastungsstörung - Vom Überleben zu einem neuen Leben

[6] Gøtzsche. Tödliche Psychopharmaka und organisiertes Leugnen

[7] https://www.scientificfreedom.dk/2023/04/05/personal-accounts-of-patients-driven-into-suicide-by-a-depression-pill/

[8] https://www.thepermanentejournal.org/doi/10.7812/TPP/13-098

[9] Peter Chappell. Emotional Healing with Homeopathy

[10] Pete Walker. Posttraumatische Belastungsstörung - Vom Überleben zu einem neuen Leben, S. 270

[11] Pete Walker. Posttraumatische Belastungsstörung - Vom Überleben zu einem neuen Leben, S. 274 - Dialogfähigkeit in Beziehungen

Fotos: Unsplash: Casey Horner, Benjamin Manley, Hannah Busing



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