Der synergistische Ansatz in der homöopathischen Praxis

Von Rajan Sankaran, Sneha Thakkar, Rishi Vyas

 

In den letzten 30 Jahren haben wir in der Homöopathie eine zeitgenössische Entwicklung beobachten können, die als Synergie bezeichnet wird. Diese Methode hat sich nicht nur in der Theorie als sehr erfolgreich herausgestellt, sondern auch im Praxisalltag vielfach bewährt. In der synergistischen Methode haben die klassischen homöopathischen Werkzeuge wie Materia Medica, Repertorium und Organon ihren festen Platz und werden durch innovative Ansätze, wie z. B. der Empfindungsmethode, dem Verständnis der Naturreiche, der Miasmenlehre und der Quellenhomöopathie bereichert.

 

Im Ergebnis hat sich ein einzigartiges System herauskristallisiert, welches mit großem Erfolg von Schülern und Therapeuten weltweit erlernt, gelehrt, praktiziert und vervielfältigt wird. Mithilfe dieses Systems konnten alte und neue Ansätze in der Homöopathie vereint und eine universale Plattform geschaffen werden, auf der die unterschiedlichsten Ansätze nicht nur willkommen sind, sondern dazu beitragen, unseren Patienten die bestmögliche Behandlung zukommen zu lassen.

 

Das folgende Diagramm soll das synergistische Konzept in der Homöopathie bildlich darstellen:

 

Die Spitze des Dreiecks repräsentiert den Genius. Der Genius in diesem Sinne beschreibt die unverwechselbare Essenz oder das distinktive Charakteristikum einer Sache – gleich, ob es sich um einen Patienten oder ein Arzneimittel handelt. Der Begriff des Genius wurde von C.M. Boger geprägt. In dem Vorwort zu Bogers ‚Synoptic Key‘ formuliert er den Genius eines Arzneimittels als ‚roten Faden, der sich durch jeden pathogenetischen Symptomenkomplex zieht‘. Im ‚Synoptic Key‘ gelingt es Boger, den Genius des jeweiligen Arzneimittels bereits in den ersten Zeilen treffend und umfassend zu beschreiben. Diese besonderen Qualitäten, die einen Patienten oder ein Arzneimittel auszeichnen, wurden in den Werken unterschiedlicher homöopathischer Autoren unter anderem als Essenz, Keynote, Seele, roter Faden oder ‚Grand Generals‘ bezeichnet.

Genius

 



Die beiden Schenkel des Dreiecks, Symptome und System, ergänzen sich gegenseitig. Die besten Ergebnisse erzielen wir, wenn diese beiden zusammen angewendet werden. Der Begriff ‚Symptome‘ umfasst die Verwendung der Rubriken, die systematische Repertorisation, die Schlüsselsymptome, die Arzneimittelprüfungen, Charakteristika und klinischen Symptome. Zu dem Konzept des Systems verstehen wir die Unterteilung der Naturreiche, die Empfindungsmethode und die Miasmenlehre.

 

Wenn wir uns im Bereich des Systems bewegen und dieses synergistisch und in Übereinstimmung mit den traditionellen Methoden der Arzneimittelfindung anwenden, wird sich unser Verständnis unserer Fälle und unserer Materia Medica deutlich erweitern. Auf diese Art und Weise werden wir zu einer tieferen Kenntnis dessen gelangen, was an einer Krankheit geheilt werden muss und wie ein bestimmtes Arzneimittel wirken kann.

 

Die ‚Verankerung‘ dient uns als nützliches Werkzeug, welches ergänzend zum synergistischen Dreieck eingesetzt werden kann und die Anwendung vollständiger Symptome (Lokalisation, Empfindung, Modalität, Begleitsymptome) in Verbindung mit den sehr charakteristischen, gesicherten Symptomen betont. Dies ermöglicht uns eine gründliche und zuverlässige Form der Repertorisation, die nicht von Interpretationen oder persönlicher Voreingenommenheit des Therapeuten beeinflusst wird.

 

Will man mit dem Konzept der Synergie arbeiten, müssen alle drei Seiten des Dreiecks (Genius, Symptom und System) und die Verankerung in die Verschreibung miteinfließen. Letztendlich wird jeder der vier Bereiche auch einzeln genommen zur gleichen Schlussfolgerung und damit zur passenden Arznei für den Patienten führen.

 

Im Folgenden werden wir jede Seite des Synergie-Dreiecks und andere - für unsere Arbeit nützliche - Werkzeuge im Detail untersuchen und anhand grafischer Darstellungen erörtern.

 

Wenn wir mit dem Genius einer Arznei arbeiten, müssen wir diesen immer in Verbindung mit dem Genius des Patienten betrachten. Nur dann werden wir beide erfolgreich zusammenführen können. Hier einige Beispiele:

 

  • Baryta carbonica – langsame Entwicklung, träge, Zwergwuchs, frühzeitige Demenz, skrofulös, Gefäßerweichung, Erkältungsneigung, langsam, ungeschickt und zurückgeblieben.

  • Stannum – extreme Schwäche, lähmendes Schweregefühl, reichliche Schleimproduktion.

  • Cuprum – intermittierend, Krämpfe, Spasmen, Zucken, heftig, gewalttätig, die Nerven sind betroffen.

  • Ignatia – sprunghaft, launisch, spasmodisches Geschehen, Zuckungen, Rucken, Hysterie, überempfindlich.

  • Helleborus – dunkles, düsteres Mittel, dunkle Gesichtsfarbe, Nasenlöcher rußig gefärbt, Lippen, Hände usw. dunkel gefärbt.

  • Plumbum – langsame, schleichende Prozesse, mit heftigen Nebensymptomen, oft wechselhaft oder unzusammenhängend, betrifft einzelne Körperteile.

  • Stramonium – Mittel für gewalttätige, heftige Zustände, aber mangelnde Schmerzempfindlichkeit, mit unterdrückten Ausscheidungen, können weder Harn noch Stuhl ablassen; Furcht vor Dunkelheit, vor glänzenden Objekten; voller Ängste, verlangt nach Gesellschaft oder will fliehen. Wenn wir uns die Ängste und Albträume von Stramonium genauer anschauen, können wir sie in jedem der drei Komponenten finden – im System, in den Symptomen und im Genius. Die Ängste bilden den Kern aller drei Bereiche.

 

System



Auf der Seite des Dreiecks, die dem Konzept des ‚Systems‘ entspricht, finden wir viele Aspekte, die einen deutlichen Bezug zum Patienten haben. Das System eines Patienten kann uns zu den Naturreichen, der Empfindung, dem Miasma oder zur Quelle führen.

 

Wenn wir uns in einer Fallaufnahme oder Fallanalyse mit dem System eines Patienten befassen, wird unsere rechte Hirnhälfte stimuliert. Unsere künstlerische Veranlagung, unsere Kreativität, Ganzheitlichkeit, Konzepte und Wahrnehmung werden hier verarbeitet

 

Symptom

 

Auf der ‚Symptomen-Seite‘ des Dreiecks setzen wir uns mit den Rubriken, der strukturierten Repertorisation, der Materia Medica, den Schlüsselsymptomen, den Prüfungen, Charakteristiken und den klinischen Symptomen auseinander. Diese nehmen bei der Verschreibung eine zentrale Rolle ein.

Die Analyse der Symptome findet in der linken Hirnhälfte statt. Hier sitzen die wissenschaftlichen, analytischen, logischen, mathematischen und grammatikalischen Fähigkeiten eines Menschen.

 

Körperliche Allgemeinsymptome

Vorgeschichte/

Familiengeschichte/

Vorerkrankungen

Weitere

Lokalsymptome

  • Abneigungen/

Verlangen

  • Schlaflage

  • Schweiß

  • Wetter

  • Mens

  • Andere….

  • Z.B.

Krebserkrankungen,

Erkrankungen des Herz- und Kreislaufsystems, rezidivierende Krankheiten, wie z.B. Tonsillitis, Tuberkulose etc.

  • Z.B. Krämpfe im Fuß, Völlegefühl im Magen, klopfende Kopfschmerzen in der Schläfe, amel. durch starken Druck, Völlegefühl im Magen amel. durch Abgang von Blähungen


Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Flexibilität des Therapeuten und einer guten Beobachtungsgabe. Bei jedem Patienten können wir auf klar definierte Symptome und Rubriken stoßen. Manchmal ist in einem Fall das System oder die Empfindung deutlich zu erkennen – der Homöopath muss in jedem Fall in der Lage sein, die einzelnen Bereiche klar voneinander trennen zu können, um sie anschließend wieder zu einer stimmigen Schlussfolgerung zusammenführen zu können. Das verstehen wir unter der Kunst der Fallaufnahme. Während der Fallaufnahme muss deutlich werden, dass, ganz gleich in welchem Bereich diese beginnt, alle anderen Bereiche (Genius, Symptome oder System) ebenfalls abgedeckt werden müssen.

 

Die Verankerung

Unter Verankerung verstehen wir das, was uns zuerst an einem Patienten auffällt, etwas, was sehr klar hervorsticht – es ist das Konkrete, Definitive und Sichere an diesem Fall. Noch bedeutender ist jedoch das Ausmaß, mit dem sich dieses Symptom vorbehaltlos in einem Patienten zeigt – je individueller sich das Symptom präsentiert, desto verlässlicher ist es. Eine Verankerung ist ein solides und verlässliches Charakteristikum, das weit über eine mögliche Interpretation hinausgeht. Die Verankerung kann in allen Aspekten eines Falles zu finden sein, wie in der unten stehenden Grafik verdeutlicht werden soll.

 

Wenn wir die Essenz eines Patienten erfassen wollen, dann muss es uns gelingen, ein tief greifendes Verständnis für das Augenscheinliche, das Offensichtliche des Falles zu entwickeln. Das Augenscheinliche kann im Genius, in den Symptomen, im System oder in der Verankerung zu finden sein. Folgen wir diesem klar definierten Faden, werden sich auch die anderen Bereiche des Falles offenbaren. An dieser Stelle ist es wichtig anzumerken, dass es Fälle gibt, in denen sich die Symptome besonders deutlich zeigen, oder der Genius bzw. das System klar hervorsticht. Für eine wirklich erfolgreiche Verschreibung müssen jedoch alle Aspekte des Falles auf die gleiche Art und Weise rekonstruiert und bearbeitet werden.

 

Schlussfolgerung

Ich bin der Meinung, dass der Großteil unserer Fälle – ca. 90% - innerhalb von 15-20 Minuten bearbeitet werden kann. Bei den restlichen 10% dauert es unwesentlich länger. Für eine erfolgreiche Verschreibung sollte man den zentralen Aspekt eines Falles erfassen und ausarbeiten. Hat man diesen gefunden, muss man nicht weiter suchen. Wenn man bei einem Fall immer weiter und weiter suchen muss, dann hat man das Wesentliche, den Fokus, verpasst!

 

In jedem Fall sollte man das Alte mit dem Neuen verbinden, also Symptom und System gleichberechtigt einsetzen. Das System wird Sie zum Kernpunkt führen und die Symptome die harten Fakten, die hieb- und stichfesten Daten für die Repertorisation liefern. Nehmen wir einmal an, Sie haben mithilfe der Rubriken und der Repertorisation das Mittel für Ihren Patienten gefunden, dann müssen Sie sicher gehen, dass die Empfindung und das Erleben des Menschen zu dem passen, was Sie ausgearbeitet haben.

 

Ich rate jedem – und hier spreche ich vor allem die Homöopathen an, die noch am Anfang ihrer Kunst stehen – langsam und gründlich zu lernen, denn dann erst werden Sie von Ihrem Wissen profitieren können. Im folgenden Fallbeispiel muss man ein wenig nachdenken, um den zentralen Aspekt erfassen zu können - mittlerweile wissen wir, dass der rote Faden des Falles, das, was immer wieder auftaucht, in der Angst der Patientin zu finden war.

 

Der synergistische Ansatz in der homöopathischen Fallaufnahme ermöglicht uns die dringend notwendige Zusammenführung und Integration der alten, klassischen Schule mit innovativem Gedankengut. Die Vorteile dieses neuen Ansatzes liegen darin, dass er sich gut nachvollziehen und reproduzieren lässt. Die wiederum lässt uns Homöopathen neues Vertrauen in unsere klinische Arbeit fassen.

 

Fallbeispiel zum synergistischen Ansatz

 

Ein Patient mit Meige-Syndrom.

 

Bei diesem Fall handelt es sich um einen älteren Mann, der mit der Diagnose eines Meige-Syndroms zu mir kam. Der Patient wurde von seiner Tochter begleitet, da er aufgrund seiner Erkrankung nur undeutlich sprechen konnte. Rein schulmedizinisch betrachtet handelt es sich bei dieser Krankheit um krampfhafte Kontraktionen der Gesichtsmuskulatur (überwiegend im Bereich der Augen und des Mundes) und wird in der Regel mit Botox-Injektionen behandelt.

 

Bei diesem Patienten war vor allem die linke Gesichtshälfte in Mitleidenschaft gezogen – Kontrakturen um das linke Auge, der Kieferbereich und die Zunge ziehen sich krampfhaft zusammen, er kann nicht sprechen und muss die Zähne zwanghaft zusammenbeißen.

 

Der Patient gehört den besten gesellschaftlichen Kreisen an und ist in der Unterhaltungsindustrie als erfolgreiche und wichtige Persönlichkeit bekannt. Er gilt als ausgezeichneter öffentlicher Redner.

 

Während der Fallaufnahme fällt uns auf, dass der Patient seine Füße nicht stillhalten kann und sich ständig bewegen muss.

 

Arzt: Erzählen Sie mir bitte von Ihren Beschwerden.

 

Patient: Ich kann wegen meines Meige-Syndroms nicht sprechen. Mein Hauptproblem ist, dass ich weder essen noch sprechen kann. Meine Augen schließen sich krampfhaft, vor allem, wenn ich spreche oder auch so. Ich habe ein ernstes Sprachproblem, Sprechen bedeutet eine große Anstrengung für mich. Meine Muskeln werden steif. Es ist, als müsste ich sprechen, kann es aber nicht, ich kann die Steifheit förmlich spüren. Ich kann deswegen auch nicht richtig schlafen. Außerdem fühlt sich mein Mund total trocken an.

 

A: Also, einmal ist es das krampfhafte Schließen Ihrer Augen, das Ihnen Probleme bereitet und dann noch die Steifheit um den Mund, wegen der Sie Ihre Worte nicht richtig aussprechen können?

 

P: Essen ist auch schwierig. I muss ja kauen, kann es aber nicht. Ich kann die Bewegungen meines Gesichtes nicht steuern. Zurzeit ist es nicht ständig so, aber zu Anfang war es kontinuierlich so. Es kommt immer zwischen 12.00 und 15.00 Uhr und dann wieder nach 18.00 Uhr, so gegen 21.00 bis 22.00 Uhr.

 

A: Zu diesen Tageszeiten werden die Beschwerden schlimmer?

 

P. Ja, da ist es besonders schlimm. Es kann aber auch jederzeit auftreten.

 

A: Können Sie noch mehr zu Ihren Beschwerden sagen? Können Sie diese genauer beschreiben?

 

P: An der Seite meines linken Auges habe ich oft Krämpfe. Plötzlich geht mein Auge zu und ich kann nichts mehr sehen. Ich kann auch nicht richtig sprechen und das stört mich am meisten. Mein Kiefer und meine Zunge verkrampfen sich und ich muss ständig die Zähne zusammenbeißen.

 

Kommentar: Bisher kennen wir Diagnose und Pathologie. Im Repertorium können wir die Symptome und Besonderheiten des Patienten nachschlagen. Die entsprechenden Rubriken finden wir im Kapitel ‚Auge‘, unter ‚krampfhafter Verschluss‘ und ‚unwillkürliches Schließen‘. Ebenfalls nachschlagen sollten wir im Kapitel ‚Mund‘ unter ‚Krämpfe‘. Diese Symptome dienen uns als Anker, denn sie sind konkret, sicher, zu 100% verlässlich und nicht offen für Interpretationen.

 

A: Haben Sie noch andere Symptome oder Beschwerden?

 

P: Nur Erkältungen und Husten. Ich kann mich nicht in klimatisierten Räumen aufhalten oder in der Nähe eines Ventilators sitzen. Meine Beschwerden werden bei dem geringsten Luftzug schlimmer, mir geht es dann gar nicht gut.

 

A: Erzählen Sie bitte mehr über Ihre Erkältungen und Ihren Husten.

 

P: Wenn es kalt ist, werde ich sehr verschleimt und dann läuft meine Nase.

 

Tochter: Er ist jeden Monat erkältet und hat dann diesen Schnupfen mit dicken Absonderungen. Dann bekommt er sogar Fieber. Er kann nirgendwo hingehen, wo es kalt ist, dann wird er sofort krank.

 

Der Patient hat Beschwerden beim Essen, die Speisen steigen ihm in der Nase auf. Der Mann ist wegen seiner ausgezeichneten Rhethorik bekannt, aber seit er krank wurde hat seine Sprachgewalt stark nachgelassen. Manchmal muss er beim Sprechen sein Gesicht festhalten und wir müssen uns anstrengen um zu verstehen, was er uns erzählt.

 

Kommentar: An dieser Stelle zeigen sich klare, sehr konkrete Modalitäten: Verschlimmerung durch Kälte; Verschlimmerung durch Zugluft, Zufächeln von Luft.

 

A: Seine Sprache wird also sehr undeutlich?

 

T: Ja. Er kann auch nicht richtig essen. Das ist ihm sehr peinlich.

 

A: Sie sagen, er ist ein sehr bekannter Rhetoriker?

 

T: Ja, er hat eine Schauspielausbildung und war ein hervorragender Rhetoriker. Er wurde sogar dafür ausgezeichnet.

 

P: Ich habe als Berater gearbeitet, aber das kann ich jetzt nicht mehr machen. Ich bin sehr frustriert. Diese Krankheit hält mich vom Arbeiten ab, ich kann meinen Lebensunterhalt nicht mehr verdienen. Das Sprechen ist meine einzige Einkommensquelle.

 

A: Was genau machen Sie beruflich?

 

P: Ich arbeite mit Schauspielern und Regisseuren zusammen, versuche, sie für ein Projekt zu gewinnen. Ich mache Casting, trete bei öffentlichen Veranstaltungen als Redner auf, moderiere. Manchmal konzipiere ich auch eine komplette Show.

 

A: Welche Qualitäten sind bei Ihrer Arbeit besonders wichtig?

 

P: Man muss die Unterhaltungsindustrie sehr gut kennen. Talent, Kreativität, Marketing. Man muss den Markt kennen und wissen, wie sich ein Produkt vermarkten lässt. Marktforschung und Durchsetzungsvermögen sind wichtig. Man braucht definitiv Talent dazu. Man braucht exzellente Kontakte, muss Leute kennen. Man muss über den Tellerrand schauen und planen können. Für mich ist jeder Tag neu, es gibt kein 08/15 Schema für meine Arbeit. Jedes Projekt ist maßgeschneidert. Man muss sich auch artikulieren können und das fehlt mir im Moment. Obwohl ich Expertise habe, kann ich nichts damit anfangen, ich kann nichts präsentieren. Mittlerweile nimmt mich das sehr mit. Noch bin ich einigermaßen zuversichtlich, aber ich merke, dass es mir sehr viel ausmacht. Meine Tochter ist die beste Schauspielerin in ganz Gujrat. Sie kommt nach ihrem Vater, das heißt sie ist richtig berühmt geworden. Macht große Sachen. Mir hat es immer gut gefallen, wenn man mir wegen meiner Rhetorik Komplimente machte. Ich habe öffentlich vor vielen Leuten gesprochen und bekam Anerkennung dafür. Alle fanden mich gut. Ich habe mich natürlich als etwas Besonderes gefühlt. Jetzt gleitet mir alles durch die Hände.

 

A: Träumen Sie?

 

P: Nein. Ich schlafe tief und fest.

 

A: Bevor Sie krank wurden – hatten Sie Lampenfieber vor Ihren Auftritten?

 

P: Naja, ich war natürlich aufgeregt, aber ich hatte viel Selbstvertrauen, sehr viel Selbstvertrauen! Ich kann aus dem Stand eine Rede halten. Bei jeder Gelegenheit konnte ich improvisieren – und das sehr gut. Ich war einzigartig und eine Inspiration für viele aus meinem Fach. Jetzt stehe ich vor dieser neuen Herausforderung.

 

Kommentar: An dieser Stelle bekommen wir einen Einblick in die System-Seite des Dreiecks. Wir haben einen Patienten vor uns, der glaubt, etwas Besonderes zu sein. Er gehört nicht zum Durchschnitt. Er legt viel Wert auf die Meinung anderer, sein ganzes Berufsleben hat er damit verbracht, vor anderen aufzutreten, zu reden. Er beschreibt seinen Beruf sehr anschaulich und erklärt, dass viel Kreativität von ihm gefordert wird. Er muss recherchieren und seinen eigenen Erfolg planen können. Er ist sichtbar stolz auf sein Talent (öffentlich sprechen zu können), aber jetzt besteht die Gefahr, das alles zu verlieren.

 

All diese Themen können wir dem Mineralreich zuordnen – der Patient hat so viel erreicht, muss aber jetzt befürchten seine Fähigkeiten zu verlieren, sie fehlen ihm zunehmend. Der Patient gehört in die fünfte Serie des Periodensystems. Stichwörter zu den entsprechenden Themen sind Kreativität, Talent, Show, Auftreten, Herausforderung, Einzigartigkeit, Bewunderung, Ehrgeiz, Stimme und Inspiration.

 

A: Haben Sie noch weitere körperliche Beschwerden?

 

T: Er hatte schon dreimal einen Herzblock und nimmt seit 20 Jahren Medikamente dafür. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Medikamente für seine Krankheit verantwortlich sind.

 

A: Singen Sie gerne?

 

P: Nein, das mag ich nicht. Ich tanze auch nicht gerne, gehe nicht gerne auf Partys. Ich bin am liebsten zu Hause.

 

A: Wie stehen Sie zum Thema Ordnung?

 

P: Ich bin sehr ordentlich und diszipliniert. Ich plane gerne im Voraus und möchte auch, dass alles dann auch so gemacht wird. Ich bin ein sehr pünktlicher Mensch. Ich bin für meine Disziplin bekannt.

 

T: Früher war er sehr aufbrausend, aber das hat sich gelegt. Er ist ein sehr ruhiger, sanfter Mensch, sehr eloquent. Seit er die Probleme mit seinen Augen hat geht er nicht mehr gern nachts aus dem Haus. Er möchte auch nicht mehr Autofahren.

 

A: Ihre Beschwerden kommen und gehen?

 

P: Ja, sie kommen in Anfällen.

 

A: Was essen und trinken Sie gerne?

 

P: Ich esse alles, vegetarisch und Fleisch. Ich esse gerne Fisch, tue es aber nur gelegentlich, weil meine ganze Familie vegetarisch lebt. Wenn ich außer Haus esse, bestelle ich mir meistens Fisch.

 

A: Naschen Sie gern Süßes?

 

P: Oh ja, ich liebe Süßigkeiten. Früher habe ich jeden Tag Süßes gegessen. Wegen meiner gesundheitlichen Beschwerden gibt mir meine Frau aber keine mehr. Ich esse auch gerne Scharfes, habe das aber auch deutlich reduziert.

 

Kommentar: Die persönlichen Vorlieben in Bezug auf Essen und Trinken hat in der Fallaufnahme einen hohen Stellenwert. Diese Vorlieben können unsere Ideen in Bezug auf das richtige Mittel bestätigen. Im vorliegenden Fall haben wir ein besonders starkes Verlangen nach Süßigkeiten, der Patient verlangt jeden Tag danach.

 

A: Ihre Füße sind sehr unruhig?

 

P: Ja, das sind sie.

 

A: Haben Sie Probleme mit der Stimme? Werden Sie manchmal heiser?

 

P: Ja. Ich bin oft heiser und meine Stimme wird rau. Wegen dieser Beschwerden verliere ich allmählich meine Stimme.

 

A: Wie hat er früher gesprochen?

 

T: Er hatte eine wunderbare Stimme, sehr klar und deutlich. Er spricht nicht mehr mit seiner ursprünglichen Stimme. Wenn er sprach, waren seine Worte wie Perlen, wunderschön. Jeder konnte ihn sofort verstehen und alle konnten ihn an seiner Stimme erkennen. Er liebte es zu reden. Er war berühmt für seine Stimme und seine Rhetorik. Ich kenne viele Leute in der Unterhaltungsbranche, die heute noch von seiner Stimme schwärmen. Man sagt, ich habe seine Stimme geerbt und viele wissen es zu schätzen. Er ist in ganz Indien aufgetreten – im Radio, in Fernsehen und Film; er hat schon viele Schauspieler interviewt.

 

Kommentar: Das Thema dreht sich um Sprechen, um Show und Bühnenauftritte. Seine Stimme sticht hervor, sie ist einzigartig und distinkt. Wegen seiner Erkrankung kann er sein Talent nicht mehr zur Schau stellen.

 

A: Haben Ihre Beschwerden plötzlich oder langsam begonnen?

 

P: Es kam plötzlich, eines Tages war es plötzlich da. Ich wusste genau, dass es ein großes Problem sein würde. Eines Tages konnte ich ganz plötzlich meine Augen nicht mehr öffnen.

 

A: In Ordnung, wir werden eine Arznei für Sie finden.

 

Schlusskommentar und Fallanalyse

 

Anhand dieses kurzen Fallbeispiels können wir die synergistische Methode gut veranschaulichen. Es ist deutlich zu erkennen, dass der Patient glaubt, etwas Besonderes zu sein, er hebt sich von der Masse ab. Er ist sehr kreativ, liebt es öffentlich aufzutreten und sein Talent zu zeigen. Er sehnt sich nach Anerkennung von seiner Peergruppe. Das Hauptthema ist die Krankheit, die ihm die Fähigkeit zum kreativen Schaffen, zur künstlerischen Darstellung, nimmt. Hier haben wir das System des Patienten.

 

Bei den körperlichen Beschwerden des Patienten stehen die Besonderheiten der pathologischen Vorgänge (Spasmen) im Vordergrund und die Bedeutung dieses Geschehens für seine Stimme und seine öffentlichen Auftritte. Der Patient ist im Prozess begriffen, seine Fähigkeiten zu verlieren, ist aber bestrebt, seine Stellung zu erhalten.

 

Rubriken:

 

  1. ALLGEMEIN; KÄLTE; agg.

  2. AUGE; SCHLIESSEN DER AUGEN; unwillkürlich

  3. AUGE; SCHLIESSEN DER AUGEN; krampfhafter Verschluss

  4. AUGE; BESCHWERDEN DER AUGEN; linkes Auge

  5. AUGE; ÖFFNEN DER AUGEN, DER LIDSPALTE; unmöglich

  6. NASE; ABSONDERUNG; dick

  7. NASE; ABSONDERUNG; schleimig

  8. NASE; ABSONDERUNG; reichlich

  9. KEHLKOPF UND TRACHEA; STIMME; heiser

  10. MUND; KRÄMPFE

  11. MUND; KRÄMPFE; Zunge

  12. MUND; SPRACHE; schwierig

  13. GEMÜT; ANGST; Erwartungsspannung, durch

  14. GEMÜT; SCHÜCHTERNHEIT, ZAGHAFTIGKEIT; Öffentlichkeit; beim Auftreten in der

 

Verschreibung: Argentum metallicum C200

 

Die Entscheidung für Argentum metallicum fiel mir nicht schwer, die Symptome waren eindeutig. Sowohl die ‚System‘- Seite des Dreiecks als auch die Symptome wurden klar bestätigt.

 

Für die Wahl der richtigen Spalte im Periodensystem müssen wir verstehen unter wieviel und vor allem welchem Stress der Patient steht. Dieser Patient hat Stress - nicht weil er glaubt seine gesellschaftliche Stellung verloren zu haben, sondern weil er die Spasmen als Herausforderung ansieht. Er stellt sich selbst in Frage – bin ich der Situation, also der Krankheit, gewachsen? Er will seine Stellung halten. Er sieht sich immer noch an der Spitze, fragt sich aber zunehmend, ob er es schaffen wird dort zu bleiben. Sprache ist ein kritischer und sehr wichtiger Aspekt des Arzneimittels Argentum, welches sich in Spalte 11 des Periodensystems befindet. Die wichtigsten Themen dieser Spalte drehen sich um Erhalt und Bewahrung der eigenen Stellung.

 

Auch den Genius des Mittels kann man hier sehr deutlich sehen. Der Hauptwirkungsbereich des Mittels ist der Kehlkopf. Bei Patienten, die diese Arznei brauchen, finden wir meistens einen Machtverlust oder schwindende Kräfte.

 

Argentum (Silber) ist in der zweiten Reihe der Metalle platziert, zwischen den Elementen Kupfer und Gold. Wie alle Metalle sieht Argentum seine Chance zu überleben in Leistung und Verteidigung. Bei den Metallen der zweiten Reihe geht es um die Präsentation, das Sich-zeigen. Silber ist ein recht protziges, glänzendes Metall, ein Glanzstück der menschlichen Gesellschaft. Im Englischen bezeichnet man einen Menschen, der rhetorisch begabt ist, als ‚silver tongue‘ – als silberne Zunge. Das Sprichwort „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ kennen wir alle. Argentum -Menschen haben keine aristokratischen Züge, dafür wollen sie sich zu sehr zeigen, sie neigen zum Angeben. Bei Argentum metallicum ist die intellektuelle Komponente stark betont. Kent schreibt, dass das Mittel vor allem die intellektuelle Sphäre anspricht und auf emotionaler Ebene kaum Wirkung zeigt. Die Situation von Argentum metallicum ist die eines Menschen, der große intellektuelle Leistungen in Sprache und Schrift (Sprechen, Singen, Schreiben) erbringen muss. Seine ganze Persönlichkeit definiert sich über die intellektuellen Fähigkeiten, insbesondere im Bereich der Sprache und Schrift.

 

Zu den wichtigsten Symptome von Argentum metallicum gehört die Verschlimmerung durch Gebrauch der Stimme, also sprechen, singen und geistige Anstrengung. Argentum – Patienten beherrschen die Kunst der Argumentation und der Diskussion, sie können lang und mit Nachdruck verhandeln und kämpfen – nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere. Sie strahlen Überzeugungskraft aus und können dank ausgeprägter intellektueller Fähigkeiten ihre Gegner für sich gewinnen. Der Argentum – Mensch ist der geborene Verkäufer oder Rechtsanwalt.

 

Zu den körperlichen Symptomen gehören Kontrakturen, Konvulsionen und Krämpfe.

 

Follow-ups

 

4 Wochen später

 

A: Erzählen Sie mir bitte wie es Ihnen geht.

 

P: Mir geht es gut. Im Großen und Ganzen fühlte ich mich zu 25% besser. Anfangs ist es mir auch geistig sehr gut gegangen und ich war sehr zuversichtlich, weil die Krämpfe deutlich besser wurden. Sie sind nicht mehr so oft gekommen und wenn doch einmal ein Krampf kam, war er nicht mehr so heftig. Jetzt habe ich den Eindruck, dass es wieder schlimmer wird.

 

Kommentar: Hier haben wir ein gutes Beispiel dafür, dass die Wahl der richtigen Potenz ausschlaggebend für eine erfolgreiche homöopathische Verschreibung sein kann. Wir wissen, dass das Mittel gewirkt hat, weil es dem Patienten zu 25% besser ging, die Wirkung war jedoch nicht nachhaltig. Daraus können wir schlussfolgern, dass der Patient eine niedrigere Potenz in kontinuierlichen Gaben benötigt. Ich verschrieb dem Patienten eine C30, einen Monat lang zweimal täglich einzunehmen.

 

Drei Monate später

 

A: Erzählen Sie, wie ist es Ihnen seit Ihrem letzten Besuch ergangen?

 

P: Wenn ich ehrlich sein soll, Herr Doktor, mir geht es viel besser. Ich kann förmlich hören, wie meine Stimme stetig besser wird. Viele Leute sagen, dass sie sich viel klarer anhört. Im Großen und Ganzen geht es mir zu 50% besser.

 

Kommentar: Nachdem wir die richtige Dosierung für den Patienten gefunden haben, können wir eine anhaltende Besserung des Gesundheitszustandes beobachten. Argentum metallicum wurde noch einmal gegeben.

 

Dieses Fallbeispiel wurde ursprünglich unter http://theothersong.wordpress.com/ im Newsletter ‚Voice‘ veröffentlicht.

 

Kategorie: Fälle

Schlüsselwörter: Synergie, Genius, Verankerung, System, Meige-Syndrom, Kontrakturen, Stimmverlust, Leistung

Mittel: Argentum metallicum

Der synergistische Ansatz in der homöopathischen Praxis

Von Rajan Sankaran, Sneha Thakkar, Rishi Vyas

 

In den letzten 30 Jahren haben wir in der Homöopathie eine zeitgenössische Entwicklung beobachten können, die als Synergie bezeichnet wird. Diese Methode hat sich nicht nur in der Theorie als sehr erfolgreich herausgestellt, sondern auch im Praxisalltag vielfach bewährt. In der synergistischen Methode haben die klassischen homöopathischen Werkzeuge wie Materia Medica, Repertorium und Organon ihren festen Platz und werden durch innovative Ansätze, wie z. B. der Empfindungsmethode, dem Verständnis der Naturreiche, der Miasmenlehre und der Quellenhomöopathie bereichert.

 

Im Ergebnis hat sich ein einzigartiges System herauskristallisiert, welches mit großem Erfolg von Schülern und Therapeuten weltweit erlernt, gelehrt, praktiziert und vervielfältigt wird. Mithilfe dieses Systems konnten alte und neue Ansätze in der Homöopathie vereint und eine universale Plattform geschaffen werden, auf der die unterschiedlichsten Ansätze nicht nur willkommen sind, sondern dazu beitragen, unseren Patienten die bestmögliche Behandlung zukommen zu lassen.

 

Das folgende Diagramm soll das synergistische Konzept in der Homöopathie bildlich darstellen:

 

Die Spitze des Dreiecks repräsentiert den Genius. Der Genius in diesem Sinne beschreibt die unverwechselbare Essenz oder das distinktive Charakteristikum einer Sache – gleich, ob es sich um einen Patienten oder ein Arzneimittel handelt. Der Begriff des Genius wurde von C.M. Boger geprägt. In dem Vorwort zu Bogers ‚Synoptic Key‘ formuliert er den Genius eines Arzneimittels als ‚roten Faden, der sich durch jeden pathogenetischen Symptomenkomplex zieht‘. Im ‚Synoptic Key‘ gelingt es Boger, den Genius des jeweiligen Arzneimittels bereits in den ersten Zeilen treffend und umfassend zu beschreiben. Diese besonderen Qualitäten, die einen Patienten oder ein Arzneimittel auszeichnen, wurden in den Werken unterschiedlicher homöopathischer Autoren unter anderem als Essenz, Keynote, Seele, roter Faden oder ‚Grand Generals‘ bezeichnet.

Genius

 



Die beiden Schenkel des Dreiecks, Symptome und System, ergänzen sich gegenseitig. Die besten Ergebnisse erzielen wir, wenn diese beiden zusammen angewendet werden. Der Begriff ‚Symptome‘ umfasst die Verwendung der Rubriken, die systematische Repertorisation, die Schlüsselsymptome, die Arzneimittelprüfungen, Charakteristika und klinischen Symptome. Zu dem Konzept des Systems verstehen wir die Unterteilung der Naturreiche, die Empfindungsmethode und die Miasmenlehre.

 

Wenn wir uns im Bereich des Systems bewegen und dieses synergistisch und in Übereinstimmung mit den traditionellen Methoden der Arzneimittelfindung anwenden, wird sich unser Verständnis unserer Fälle und unserer Materia Medica deutlich erweitern. Auf diese Art und Weise werden wir zu einer tieferen Kenntnis dessen gelangen, was an einer Krankheit geheilt werden muss und wie ein bestimmtes Arzneimittel wirken kann.

 

Die ‚Verankerung‘ dient uns als nützliches Werkzeug, welches ergänzend zum synergistischen Dreieck eingesetzt werden kann und die Anwendung vollständiger Symptome (Lokalisation, Empfindung, Modalität, Begleitsymptome) in Verbindung mit den sehr charakteristischen, gesicherten Symptomen betont. Dies ermöglicht uns eine gründliche und zuverlässige Form der Repertorisation, die nicht von Interpretationen oder persönlicher Voreingenommenheit des Therapeuten beeinflusst wird.

 

Will man mit dem Konzept der Synergie arbeiten, müssen alle drei Seiten des Dreiecks (Genius, Symptom und System) und die Verankerung in die Verschreibung miteinfließen. Letztendlich wird jeder der vier Bereiche auch einzeln genommen zur gleichen Schlussfolgerung und damit zur passenden Arznei für den Patienten führen.

 

Im Folgenden werden wir jede Seite des Synergie-Dreiecks und andere - für unsere Arbeit nützliche - Werkzeuge im Detail untersuchen und anhand grafischer Darstellungen erörtern.

 

Wenn wir mit dem Genius einer Arznei arbeiten, müssen wir diesen immer in Verbindung mit dem Genius des Patienten betrachten. Nur dann werden wir beide erfolgreich zusammenführen können. Hier einige Beispiele:

 

  • Baryta carbonica – langsame Entwicklung, träge, Zwergwuchs, frühzeitige Demenz, skrofulös, Gefäßerweichung, Erkältungsneigung, langsam, ungeschickt und zurückgeblieben.

  • Stannum – extreme Schwäche, lähmendes Schweregefühl, reichliche Schleimproduktion.

  • Cuprum – intermittierend, Krämpfe, Spasmen, Zucken, heftig, gewalttätig, die Nerven sind betroffen.

  • Ignatia – sprunghaft, launisch, spasmodisches Geschehen, Zuckungen, Rucken, Hysterie, überempfindlich.

  • Helleborus – dunkles, düsteres Mittel, dunkle Gesichtsfarbe, Nasenlöcher rußig gefärbt, Lippen, Hände usw. dunkel gefärbt.

  • Plumbum – langsame, schleichende Prozesse, mit heftigen Nebensymptomen, oft wechselhaft oder unzusammenhängend, betrifft einzelne Körperteile.

  • Stramonium – Mittel für gewalttätige, heftige Zustände, aber mangelnde Schmerzempfindlichkeit, mit unterdrückten Ausscheidungen, können weder Harn noch Stuhl ablassen; Furcht vor Dunkelheit, vor glänzenden Objekten; voller Ängste, verlangt nach Gesellschaft oder will fliehen. Wenn wir uns die Ängste und Albträume von Stramonium genauer anschauen, können wir sie in jedem der drei Komponenten finden – im System, in den Symptomen und im Genius. Die Ängste bilden den Kern aller drei Bereiche.

 

System



Auf der Seite des Dreiecks, die dem Konzept des ‚Systems‘ entspricht, finden wir viele Aspekte, die einen deutlichen Bezug zum Patienten haben. Das System eines Patienten kann uns zu den Naturreichen, der Empfindung, dem Miasma oder zur Quelle führen.

 

Wenn wir uns in einer Fallaufnahme oder Fallanalyse mit dem System eines Patienten befassen, wird unsere rechte Hirnhälfte stimuliert. Unsere künstlerische Veranlagung, unsere Kreativität, Ganzheitlichkeit, Konzepte und Wahrnehmung werden hier verarbeitet

 

Symptom

 

Auf der ‚Symptomen-Seite‘ des Dreiecks setzen wir uns mit den Rubriken, der strukturierten Repertorisation, der Materia Medica, den Schlüsselsymptomen, den Prüfungen, Charakteristiken und den klinischen Symptomen auseinander. Diese nehmen bei der Verschreibung eine zentrale Rolle ein.

Die Analyse der Symptome findet in der linken Hirnhälfte statt. Hier sitzen die wissenschaftlichen, analytischen, logischen, mathematischen und grammatikalischen Fähigkeiten eines Menschen.

 

Körperliche Allgemeinsymptome

Vorgeschichte/

Familiengeschichte/

Vorerkrankungen

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Erkrankungen des Herz- und Kreislaufsystems, rezidivierende Krankheiten, wie z.B. Tonsillitis, Tuberkulose etc.

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Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Flexibilität des Therapeuten und einer guten Beobachtungsgabe. Bei jedem Patienten können wir auf klar definierte Symptome und Rubriken stoßen. Manchmal ist in einem Fall das System oder die Empfindung deutlich zu erkennen – der Homöopath muss in jedem Fall in der Lage sein, die einzelnen Bereiche klar voneinander trennen zu können, um sie anschließend wieder zu einer stimmigen Schlussfolgerung zusammenführen zu können. Das verstehen wir unter der Kunst der Fallaufnahme. Während der Fallaufnahme muss deutlich werden, dass, ganz gleich in welchem Bereich diese beginnt, alle anderen Bereiche (Genius, Symptome oder System) ebenfalls abgedeckt werden müssen.

 

Die Verankerung

Unter Verankerung verstehen wir das, was uns zuerst an einem Patienten auffällt, etwas, was sehr klar hervorsticht – es ist das Konkrete, Definitive und Sichere an diesem Fall. Noch bedeutender ist jedoch das Ausmaß, mit dem sich dieses Symptom vorbehaltlos in einem Patienten zeigt – je individueller sich das Symptom präsentiert, desto verlässlicher ist es. Eine Verankerung ist ein solides und verlässliches Charakteristikum, das weit über eine mögliche Interpretation hinausgeht. Die Verankerung kann in allen Aspekten eines Falles zu finden sein, wie in der unten stehenden Grafik verdeutlicht werden soll.

 

Wenn wir die Essenz eines Patienten erfassen wollen, dann muss es uns gelingen, ein tief greifendes Verständnis für das Augenscheinliche, das Offensichtliche des Falles zu entwickeln. Das Augenscheinliche kann im Genius, in den Symptomen, im System oder in der Verankerung zu finden sein. Folgen wir diesem klar definierten Faden, werden sich auch die anderen Bereiche des Falles offenbaren. An dieser Stelle ist es wichtig anzumerken, dass es Fälle gibt, in denen sich die Symptome besonders deutlich zeigen, oder der Genius bzw. das System klar hervorsticht. Für eine wirklich erfolgreiche Verschreibung müssen jedoch alle Aspekte des Falles auf die gleiche Art und Weise rekonstruiert und bearbeitet werden.

 

Schlussfolgerung

Ich bin der Meinung, dass der Großteil unserer Fälle – ca. 90% - innerhalb von 15-20 Minuten bearbeitet werden kann. Bei den restlichen 10% dauert es unwesentlich länger. Für eine erfolgreiche Verschreibung sollte man den zentralen Aspekt eines Falles erfassen und ausarbeiten. Hat man diesen gefunden, muss man nicht weiter suchen. Wenn man bei einem Fall immer weiter und weiter suchen muss, dann hat man das Wesentliche, den Fokus, verpasst!

 

In jedem Fall sollte man das Alte mit dem Neuen verbinden, also Symptom und System gleichberechtigt einsetzen. Das System wird Sie zum Kernpunkt führen und die Symptome die harten Fakten, die hieb- und stichfesten Daten für die Repertorisation liefern. Nehmen wir einmal an, Sie haben mithilfe der Rubriken und der Repertorisation das Mittel für Ihren Patienten gefunden, dann müssen Sie sicher gehen, dass die Empfindung und das Erleben des Menschen zu dem passen, was Sie ausgearbeitet haben.

 

Ich rate jedem – und hier spreche ich vor allem die Homöopathen an, die noch am Anfang ihrer Kunst stehen – langsam und gründlich zu lernen, denn dann erst werden Sie von Ihrem Wissen profitieren können. Im folgenden Fallbeispiel muss man ein wenig nachdenken, um den zentralen Aspekt erfassen zu können - mittlerweile wissen wir, dass der rote Faden des Falles, das, was immer wieder auftaucht, in der Angst der Patientin zu finden war.

 

Der synergistische Ansatz in der homöopathischen Fallaufnahme ermöglicht uns die dringend notwendige Zusammenführung und Integration der alten, klassischen Schule mit innovativem Gedankengut. Die Vorteile dieses neuen Ansatzes liegen darin, dass er sich gut nachvollziehen und reproduzieren lässt. Die wiederum lässt uns Homöopathen neues Vertrauen in unsere klinische Arbeit fassen.

 

Fallbeispiel zum synergistischen Ansatz

 

Ein Patient mit Meige-Syndrom.

 

Bei diesem Fall handelt es sich um einen älteren Mann, der mit der Diagnose eines Meige-Syndroms zu mir kam. Der Patient wurde von seiner Tochter begleitet, da er aufgrund seiner Erkrankung nur undeutlich sprechen konnte. Rein schulmedizinisch betrachtet handelt es sich bei dieser Krankheit um krampfhafte Kontraktionen der Gesichtsmuskulatur (überwiegend im Bereich der Augen und des Mundes) und wird in der Regel mit Botox-Injektionen behandelt.

 

Bei diesem Patienten war vor allem die linke Gesichtshälfte in Mitleidenschaft gezogen – Kontrakturen um das linke Auge, der Kieferbereich und die Zunge ziehen sich krampfhaft zusammen, er kann nicht sprechen und muss die Zähne zwanghaft zusammenbeißen.

 

Der Patient gehört den besten gesellschaftlichen Kreisen an und ist in der Unterhaltungsindustrie als erfolgreiche und wichtige Persönlichkeit bekannt. Er gilt als ausgezeichneter öffentlicher Redner.

 

Während der Fallaufnahme fällt uns auf, dass der Patient seine Füße nicht stillhalten kann und sich ständig bewegen muss.

 

Arzt: Erzählen Sie mir bitte von Ihren Beschwerden.

 

Patient: Ich kann wegen meines Meige-Syndroms nicht sprechen. Mein Hauptproblem ist, dass ich weder essen noch sprechen kann. Meine Augen schließen sich krampfhaft, vor allem, wenn ich spreche oder auch so. Ich habe ein ernstes Sprachproblem, Sprechen bedeutet eine große Anstrengung für mich. Meine Muskeln werden steif. Es ist, als müsste ich sprechen, kann es aber nicht, ich kann die Steifheit förmlich spüren. Ich kann deswegen auch nicht richtig schlafen. Außerdem fühlt sich mein Mund total trocken an.

 

A: Also, einmal ist es das krampfhafte Schließen Ihrer Augen, das Ihnen Probleme bereitet und dann noch die Steifheit um den Mund, wegen der Sie Ihre Worte nicht richtig aussprechen können?

 

P: Essen ist auch schwierig. I muss ja kauen, kann es aber nicht. Ich kann die Bewegungen meines Gesichtes nicht steuern. Zurzeit ist es nicht ständig so, aber zu Anfang war es kontinuierlich so. Es kommt immer zwischen 12.00 und 15.00 Uhr und dann wieder nach 18.00 Uhr, so gegen 21.00 bis 22.00 Uhr.

 

A: Zu diesen Tageszeiten werden die Beschwerden schlimmer?

 

P. Ja, da ist es besonders schlimm. Es kann aber auch jederzeit auftreten.

 

A: Können Sie noch mehr zu Ihren Beschwerden sagen? Können Sie diese genauer beschreiben?

 

P: An der Seite meines linken Auges habe ich oft Krämpfe. Plötzlich geht mein Auge zu und ich kann nichts mehr sehen. Ich kann auch nicht richtig sprechen und das stört mich am meisten. Mein Kiefer und meine Zunge verkrampfen sich und ich muss ständig die Zähne zusammenbeißen.

 

Kommentar: Bisher kennen wir Diagnose und Pathologie. Im Repertorium können wir die Symptome und Besonderheiten des Patienten nachschlagen. Die entsprechenden Rubriken finden wir im Kapitel ‚Auge‘, unter ‚krampfhafter Verschluss‘ und ‚unwillkürliches Schließen‘. Ebenfalls nachschlagen sollten wir im Kapitel ‚Mund‘ unter ‚Krämpfe‘. Diese Symptome dienen uns als Anker, denn sie sind konkret, sicher, zu 100% verlässlich und nicht offen für Interpretationen.

 

A: Haben Sie noch andere Symptome oder Beschwerden?

 

P: Nur Erkältungen und Husten. Ich kann mich nicht in klimatisierten Räumen aufhalten oder in der Nähe eines Ventilators sitzen. Meine Beschwerden werden bei dem geringsten Luftzug schlimmer, mir geht es dann gar nicht gut.

 

A: Erzählen Sie bitte mehr über Ihre Erkältungen und Ihren Husten.

 

P: Wenn es kalt ist, werde ich sehr verschleimt und dann läuft meine Nase.

 

Tochter: Er ist jeden Monat erkältet und hat dann diesen Schnupfen mit dicken Absonderungen. Dann bekommt er sogar Fieber. Er kann nirgendwo hingehen, wo es kalt ist, dann wird er sofort krank.

 

Der Patient hat Beschwerden beim Essen, die Speisen steigen ihm in der Nase auf. Der Mann ist wegen seiner ausgezeichneten Rhethorik bekannt, aber seit er krank wurde hat seine Sprachgewalt stark nachgelassen. Manchmal muss er beim Sprechen sein Gesicht festhalten und wir müssen uns anstrengen um zu verstehen, was er uns erzählt.

 

Kommentar: An dieser Stelle zeigen sich klare, sehr konkrete Modalitäten: Verschlimmerung durch Kälte; Verschlimmerung durch Zugluft, Zufächeln von Luft.

 

A: Seine Sprache wird also sehr undeutlich?

 

T: Ja. Er kann auch nicht richtig essen. Das ist ihm sehr peinlich.

 

A: Sie sagen, er ist ein sehr bekannter Rhetoriker?

 

T: Ja, er hat eine Schauspielausbildung und war ein hervorragender Rhetoriker. Er wurde sogar dafür ausgezeichnet.

 

P: Ich habe als Berater gearbeitet, aber das kann ich jetzt nicht mehr machen. Ich bin sehr frustriert. Diese Krankheit hält mich vom Arbeiten ab, ich kann meinen Lebensunterhalt nicht mehr verdienen. Das Sprechen ist meine einzige Einkommensquelle.

 

A: Was genau machen Sie beruflich?

 

P: Ich arbeite mit Schauspielern und Regisseuren zusammen, versuche, sie für ein Projekt zu gewinnen. Ich mache Casting, trete bei öffentlichen Veranstaltungen als Redner auf, moderiere. Manchmal konzipiere ich auch eine komplette Show.

 

A: Welche Qualitäten sind bei Ihrer Arbeit besonders wichtig?

 

P: Man muss die Unterhaltungsindustrie sehr gut kennen. Talent, Kreativität, Marketing. Man muss den Markt kennen und wissen, wie sich ein Produkt vermarkten lässt. Marktforschung und Durchsetzungsvermögen sind wichtig. Man braucht definitiv Talent dazu. Man braucht exzellente Kontakte, muss Leute kennen. Man muss über den Tellerrand schauen und planen können. Für mich ist jeder Tag neu, es gibt kein 08/15 Schema für meine Arbeit. Jedes Projekt ist maßgeschneidert. Man muss sich auch artikulieren können und das fehlt mir im Moment. Obwohl ich Expertise habe, kann ich nichts damit anfangen, ich kann nichts präsentieren. Mittlerweile nimmt mich das sehr mit. Noch bin ich einigermaßen zuversichtlich, aber ich merke, dass es mir sehr viel ausmacht. Meine Tochter ist die beste Schauspielerin in ganz Gujrat. Sie kommt nach ihrem Vater, das heißt sie ist richtig berühmt geworden. Macht große Sachen. Mir hat es immer gut gefallen, wenn man mir wegen meiner Rhetorik Komplimente machte. Ich habe öffentlich vor vielen Leuten gesprochen und bekam Anerkennung dafür. Alle fanden mich gut. Ich habe mich natürlich als etwas Besonderes gefühlt. Jetzt gleitet mir alles durch die Hände.

 

A: Träumen Sie?

 

P: Nein. Ich schlafe tief und fest.

 

A: Bevor Sie krank wurden – hatten Sie Lampenfieber vor Ihren Auftritten?

 

P: Naja, ich war natürlich aufgeregt, aber ich hatte viel Selbstvertrauen, sehr viel Selbstvertrauen! Ich kann aus dem Stand eine Rede halten. Bei jeder Gelegenheit konnte ich improvisieren – und das sehr gut. Ich war einzigartig und eine Inspiration für viele aus meinem Fach. Jetzt stehe ich vor dieser neuen Herausforderung.

 

Kommentar: An dieser Stelle bekommen wir einen Einblick in die System-Seite des Dreiecks. Wir haben einen Patienten vor uns, der glaubt, etwas Besonderes zu sein. Er gehört nicht zum Durchschnitt. Er legt viel Wert auf die Meinung anderer, sein ganzes Berufsleben hat er damit verbracht, vor anderen aufzutreten, zu reden. Er beschreibt seinen Beruf sehr anschaulich und erklärt, dass viel Kreativität von ihm gefordert wird. Er muss recherchieren und seinen eigenen Erfolg planen können. Er ist sichtbar stolz auf sein Talent (öffentlich sprechen zu können), aber jetzt besteht die Gefahr, das alles zu verlieren.

 

All diese Themen können wir dem Mineralreich zuordnen – der Patient hat so viel erreicht, muss aber jetzt befürchten seine Fähigkeiten zu verlieren, sie fehlen ihm zunehmend. Der Patient gehört in die fünfte Serie des Periodensystems. Stichwörter zu den entsprechenden Themen sind Kreativität, Talent, Show, Auftreten, Herausforderung, Einzigartigkeit, Bewunderung, Ehrgeiz, Stimme und Inspiration.

 

A: Haben Sie noch weitere körperliche Beschwerden?

 

T: Er hatte schon dreimal einen Herzblock und nimmt seit 20 Jahren Medikamente dafür. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Medikamente für seine Krankheit verantwortlich sind.

 

A: Singen Sie gerne?

 

P: Nein, das mag ich nicht. Ich tanze auch nicht gerne, gehe nicht gerne auf Partys. Ich bin am liebsten zu Hause.

 

A: Wie stehen Sie zum Thema Ordnung?

 

P: Ich bin sehr ordentlich und diszipliniert. Ich plane gerne im Voraus und möchte auch, dass alles dann auch so gemacht wird. Ich bin ein sehr pünktlicher Mensch. Ich bin für meine Disziplin bekannt.

 

T: Früher war er sehr aufbrausend, aber das hat sich gelegt. Er ist ein sehr ruhiger, sanfter Mensch, sehr eloquent. Seit er die Probleme mit seinen Augen hat geht er nicht mehr gern nachts aus dem Haus. Er möchte auch nicht mehr Autofahren.

 

A: Ihre Beschwerden kommen und gehen?

 

P: Ja, sie kommen in Anfällen.

 

A: Was essen und trinken Sie gerne?

 

P: Ich esse alles, vegetarisch und Fleisch. Ich esse gerne Fisch, tue es aber nur gelegentlich, weil meine ganze Familie vegetarisch lebt. Wenn ich außer Haus esse, bestelle ich mir meistens Fisch.

 

A: Naschen Sie gern Süßes?

 

P: Oh ja, ich liebe Süßigkeiten. Früher habe ich jeden Tag Süßes gegessen. Wegen meiner gesundheitlichen Beschwerden gibt mir meine Frau aber keine mehr. Ich esse auch gerne Scharfes, habe das aber auch deutlich reduziert.

 

Kommentar: Die persönlichen Vorlieben in Bezug auf Essen und Trinken hat in der Fallaufnahme einen hohen Stellenwert. Diese Vorlieben können unsere Ideen in Bezug auf das richtige Mittel bestätigen. Im vorliegenden Fall haben wir ein besonders starkes Verlangen nach Süßigkeiten, der Patient verlangt jeden Tag danach.

 

A: Ihre Füße sind sehr unruhig?

 

P: Ja, das sind sie.

 

A: Haben Sie Probleme mit der Stimme? Werden Sie manchmal heiser?

 

P: Ja. Ich bin oft heiser und meine Stimme wird rau. Wegen dieser Beschwerden verliere ich allmählich meine Stimme.

 

A: Wie hat er früher gesprochen?

 

T: Er hatte eine wunderbare Stimme, sehr klar und deutlich. Er spricht nicht mehr mit seiner ursprünglichen Stimme. Wenn er sprach, waren seine Worte wie Perlen, wunderschön. Jeder konnte ihn sofort verstehen und alle konnten ihn an seiner Stimme erkennen. Er liebte es zu reden. Er war berühmt für seine Stimme und seine Rhetorik. Ich kenne viele Leute in der Unterhaltungsbranche, die heute noch von seiner Stimme schwärmen. Man sagt, ich habe seine Stimme geerbt und viele wissen es zu schätzen. Er ist in ganz Indien aufgetreten – im Radio, in Fernsehen und Film; er hat schon viele Schauspieler interviewt.

 

Kommentar: Das Thema dreht sich um Sprechen, um Show und Bühnenauftritte. Seine Stimme sticht hervor, sie ist einzigartig und distinkt. Wegen seiner Erkrankung kann er sein Talent nicht mehr zur Schau stellen.

 

A: Haben Ihre Beschwerden plötzlich oder langsam begonnen?

 

P: Es kam plötzlich, eines Tages war es plötzlich da. Ich wusste genau, dass es ein großes Problem sein würde. Eines Tages konnte ich ganz plötzlich meine Augen nicht mehr öffnen.

 

A: In Ordnung, wir werden eine Arznei für Sie finden.

 

Schlusskommentar und Fallanalyse

 

Anhand dieses kurzen Fallbeispiels können wir die synergistische Methode gut veranschaulichen. Es ist deutlich zu erkennen, dass der Patient glaubt, etwas Besonderes zu sein, er hebt sich von der Masse ab. Er ist sehr kreativ, liebt es öffentlich aufzutreten und sein Talent zu zeigen. Er sehnt sich nach Anerkennung von seiner Peergruppe. Das Hauptthema ist die Krankheit, die ihm die Fähigkeit zum kreativen Schaffen, zur künstlerischen Darstellung, nimmt. Hier haben wir das System des Patienten.

 

Bei den körperlichen Beschwerden des Patienten stehen die Besonderheiten der pathologischen Vorgänge (Spasmen) im Vordergrund und die Bedeutung dieses Geschehens für seine Stimme und seine öffentlichen Auftritte. Der Patient ist im Prozess begriffen, seine Fähigkeiten zu verlieren, ist aber bestrebt, seine Stellung zu erhalten.

 

Rubriken:

 

  1. ALLGEMEIN; KÄLTE; agg.

  2. AUGE; SCHLIESSEN DER AUGEN; unwillkürlich

  3. AUGE; SCHLIESSEN DER AUGEN; krampfhafter Verschluss

  4. AUGE; BESCHWERDEN DER AUGEN; linkes Auge

  5. AUGE; ÖFFNEN DER AUGEN, DER LIDSPALTE; unmöglich

  6. NASE; ABSONDERUNG; dick

  7. NASE; ABSONDERUNG; schleimig

  8. NASE; ABSONDERUNG; reichlich

  9. KEHLKOPF UND TRACHEA; STIMME; heiser

  10. MUND; KRÄMPFE

  11. MUND; KRÄMPFE; Zunge

  12. MUND; SPRACHE; schwierig

  13. GEMÜT; ANGST; Erwartungsspannung, durch

  14. GEMÜT; SCHÜCHTERNHEIT, ZAGHAFTIGKEIT; Öffentlichkeit; beim Auftreten in der

 

Verschreibung: Argentum metallicum C200

 

Die Entscheidung für Argentum metallicum fiel mir nicht schwer, die Symptome waren eindeutig. Sowohl die ‚System‘- Seite des Dreiecks als auch die Symptome wurden klar bestätigt.

 

Für die Wahl der richtigen Spalte im Periodensystem müssen wir verstehen unter wieviel und vor allem welchem Stress der Patient steht. Dieser Patient hat Stress - nicht weil er glaubt seine gesellschaftliche Stellung verloren zu haben, sondern weil er die Spasmen als Herausforderung ansieht. Er stellt sich selbst in Frage – bin ich der Situation, also der Krankheit, gewachsen? Er will seine Stellung halten. Er sieht sich immer noch an der Spitze, fragt sich aber zunehmend, ob er es schaffen wird dort zu bleiben. Sprache ist ein kritischer und sehr wichtiger Aspekt des Arzneimittels Argentum, welches sich in Spalte 11 des Periodensystems befindet. Die wichtigsten Themen dieser Spalte drehen sich um Erhalt und Bewahrung der eigenen Stellung.

 

Auch den Genius des Mittels kann man hier sehr deutlich sehen. Der Hauptwirkungsbereich des Mittels ist der Kehlkopf. Bei Patienten, die diese Arznei brauchen, finden wir meistens einen Machtverlust oder schwindende Kräfte.

 

Argentum (Silber) ist in der zweiten Reihe der Metalle platziert, zwischen den Elementen Kupfer und Gold. Wie alle Metalle sieht Argentum seine Chance zu überleben in Leistung und Verteidigung. Bei den Metallen der zweiten Reihe geht es um die Präsentation, das Sich-zeigen. Silber ist ein recht protziges, glänzendes Metall, ein Glanzstück der menschlichen Gesellschaft. Im Englischen bezeichnet man einen Menschen, der rhetorisch begabt ist, als ‚silver tongue‘ – als silberne Zunge. Das Sprichwort „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ kennen wir alle. Argentum -Menschen haben keine aristokratischen Züge, dafür wollen sie sich zu sehr zeigen, sie neigen zum Angeben. Bei Argentum metallicum ist die intellektuelle Komponente stark betont. Kent schreibt, dass das Mittel vor allem die intellektuelle Sphäre anspricht und auf emotionaler Ebene kaum Wirkung zeigt. Die Situation von Argentum metallicum ist die eines Menschen, der große intellektuelle Leistungen in Sprache und Schrift (Sprechen, Singen, Schreiben) erbringen muss. Seine ganze Persönlichkeit definiert sich über die intellektuellen Fähigkeiten, insbesondere im Bereich der Sprache und Schrift.

 

Zu den wichtigsten Symptome von Argentum metallicum gehört die Verschlimmerung durch Gebrauch der Stimme, also sprechen, singen und geistige Anstrengung. Argentum – Patienten beherrschen die Kunst der Argumentation und der Diskussion, sie können lang und mit Nachdruck verhandeln und kämpfen – nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere. Sie strahlen Überzeugungskraft aus und können dank ausgeprägter intellektueller Fähigkeiten ihre Gegner für sich gewinnen. Der Argentum – Mensch ist der geborene Verkäufer oder Rechtsanwalt.

 

Zu den körperlichen Symptomen gehören Kontrakturen, Konvulsionen und Krämpfe.

 

Follow-ups

 

4 Wochen später

 

A: Erzählen Sie mir bitte wie es Ihnen geht.

 

P: Mir geht es gut. Im Großen und Ganzen fühlte ich mich zu 25% besser. Anfangs ist es mir auch geistig sehr gut gegangen und ich war sehr zuversichtlich, weil die Krämpfe deutlich besser wurden. Sie sind nicht mehr so oft gekommen und wenn doch einmal ein Krampf kam, war er nicht mehr so heftig. Jetzt habe ich den Eindruck, dass es wieder schlimmer wird.

 

Kommentar: Hier haben wir ein gutes Beispiel dafür, dass die Wahl der richtigen Potenz ausschlaggebend für eine erfolgreiche homöopathische Verschreibung sein kann. Wir wissen, dass das Mittel gewirkt hat, weil es dem Patienten zu 25% besser ging, die Wirkung war jedoch nicht nachhaltig. Daraus können wir schlussfolgern, dass der Patient eine niedrigere Potenz in kontinuierlichen Gaben benötigt. Ich verschrieb dem Patienten eine C30, einen Monat lang zweimal täglich einzunehmen.

 

Drei Monate später

 

A: Erzählen Sie, wie ist es Ihnen seit Ihrem letzten Besuch ergangen?

 

P: Wenn ich ehrlich sein soll, Herr Doktor, mir geht es viel besser. Ich kann förmlich hören, wie meine Stimme stetig besser wird. Viele Leute sagen, dass sie sich viel klarer anhört. Im Großen und Ganzen geht es mir zu 50% besser.

 

Kommentar: Nachdem wir die richtige Dosierung für den Patienten gefunden haben, können wir eine anhaltende Besserung des Gesundheitszustandes beobachten. Argentum metallicum wurde noch einmal gegeben.

 

Dieses Fallbeispiel wurde ursprünglich unter http://theothersong.wordpress.com/ im Newsletter ‚Voice‘ veröffentlicht.

 

Kategorie: Fälle

Schlüsselwörter: Synergie, Genius, Verankerung, System, Meige-Syndrom, Kontrakturen, Stimmverlust, Leistung

Mittel: Argentum metallicum





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