Ein Stein, der alles durcheinander bringt - der verborgene Schmerz des sexuellen Missbrauchs |
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von Derek Hennessy | |
Stellen Sie sich einen stillen, blauen See an einem ruhigen Tag vor, eine leichte Brise weht und die Vögel zwitschern munter in den nahen Bäumen. Es ist ein ganz normaler Tag im Leben des Sees, mit einem leichten Auf und Ab des Wassers am Ufer; die Natur nimmt ihren Lauf. Nach einer Weile fällt uns jemand auf, der am Ufer steht. Er ist am Strand gewesen und geht leise und unauffällig zu Fuß hier entlang. Doch diesmal ist etwas anders; er nimmt einen Stein und wirft ihn in den See. Er landet in der Mitte des Sees und sinkt schnell in die Tiefe. Das ist so schnell gegangen, dass alles, was man noch davon sieht, das Kräuseln der Wellen auf der Wasseroberfläche ist. Bald wird das Wasser wieder ruhig – für jemand, der nicht dabei war, als der Stein geworfen wurde, ist es, als ob es nie geschehen sei. Es sieht so aus, als sei dieser Stein nie in die Oberfläche des Sees eingetaucht, aber unten bleibt der Stein eine lange, lange Zeit liegen. Und immer, wenn ein Sturm den See in Aufruhr bringt, wird der Stein auf dem Grund aufgewühlt und rührt vergangene Ereignisse auf. |
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Nun stellen Sie sich ein Kind vor, einen Jungen oder Mädchen, das ist egal. Die Kinder beschäftigen sich am Ufer, wie es Kinder tun, sie spielen Phantasiespiele oder spielen den Sieg ihres Wettkampf-Teams im Endspiel durch. Sie wissen nicht, wie lange sie spielen, aber es kann nicht sehr lange gewesen sein, weil Mama sie immer ruft, wenn sie zu lange weg sind. Sie merken, dass jemand in der Nähe ist, der sie beobachtet, sie haben ihn schon früher mal gesehen, aber sie wissen nicht, wie er heißt. |
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Papa kennt ihn. Sie sind einmal mit ihm zu einem Fußballspiel gegangen, und auf dem Heimweg hat er dem Kind Süßigkeiten gekauft, und Papa sagte, er sei ein netter Mann, weil er so freundlich ist. Der Mann geht zu dem Kind hin und redet eine Weile mit ihm. Er nennt dem Kind einen kindgerechten Grund mit ihm zu gehen, und das Kind geht mit. Natürlich weiß das Kind, dass es nicht mit Fremden mitgehen darf, aber dieser Mann ist kein Fremder, er kennt Daddy. Was jetzt passiert, wird schwere Folgen für das gesamte Leben des Kindes haben, denn der Mann missbraucht das Kind sexuell. Es ist ein Teufelskreis für die Opfer, deren Leben durch den Missbrauch in vielfältiger Weise beeinflusst ist. Die „Glücklichen“ sind jene, die erkannt haben, dass der Missbrauch geschehen ist, und dass sie davon schwer betroffen sind. Die Opfer, die das noch nicht realisiert haben, sind noch viel schlechter dran. Sie sind wie das Wasser dieses Sees, fühlen sich unruhig, unbehaglich und farblos, wenig attraktiv für andere, behaftet mit einem störenden Stein, der in der Tiefe ihrer Seele liegt und ungebeten Schlamm und Schmutz aufwirbelt. Als Homöopathen müssen wir uns dessen bewusst sein, dass jederzeit eines dieser Opfer zum Telefon greifen und uns um einen Termin bitten kann. Es kann sein oder auch nicht, dass sie wissen, was ihren gesundheitlichen Problemen zugrunde liegt, aber vielleicht verraten sie uns während der Anamnese ein Geheimnis, dass lange Zeit - vielleicht über Jahre - in ihrer Seele gehütet wurde, und der Homöopath kann der erste Mensch sein, der abgesehen von dem Kinderschänder, etwas über den Missbrauch erfährt. Damit ist der Homöopath in einer privilegierten Position. Ihm stehen seine Fähigkeiten bei der Fallaufnahme, die Zeit, und vor allem die Mittel zur Verfügung, um den Heilungsprozess beim Patienten in Gang zu setzen. |
Fotos: Wikimedia Commons |
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