Inadäquat und neurotisch: ein Fall von Barium bromatum

Von Jayesh Shah, Devang Shah

Bei diesem Fall handelt es sich um einen 50-jährigen Patienten, der unter einer Neurose mit stark psychotischen Tendenzen leidet. Der Mann ist von hagerer, ausgezehrter Statur, seine Haare sind frühzeitig grau geworden. Von Beruf ist er Polizist; er kommt mit seiner Frau in die Sprechstunde.

Arzt: Bitte erzählen Sie mir von Ihren Beschwerden.

Patient: Ich schwitze nachts sehr stark, vor allem, wenn ich mich zudecke. Außerdem tut mir mein Rücken hier unten weh. Und hier habe ich ein paar rote Flecken (zeigt auf eine Stelle unterhalb des rechten Schlüsselbeins in der Nähe der Schulter. Als Kind hatte ich Typhus mit hohem Fieber (41°C). Und wenn bei der Arbeit etwas passiert, dann fehlt mir der Mut einzugreifen (Handgeste: bewegt beide Hände nach vorne).

A: Erzählen Sie mir mehr davon, berichten Sie ganz in Ruhe. Sie machen das sehr gut, erzählen Sie etwas mehr. Was stört Sie am meisten?

P: Wenn auf der Arbeit etwas passiert, dann habe ich oft große Angst. Ich arbeite bei der Polizei. Wenn z.B. ein Unfall passiert, oder wir jemanden verhaften müssen, dann habe ich nicht den Mut, die Person mit der nötigen Härte festzunehmen. Manchmal traue ich mich gar nicht erst dorthin zu gehen.

A: Hmm, hmm. Erzählen Sie mehr davon.

P: Es passiert immer, wenn ich alleine bin. Alleine traue ich mir das nicht zu. Wenn jemand bei mir ist, dann habe ich den Mut. Nur wenn ich alleine bin, dann traue ich mich nicht.

A: Ihnen fehlt der Mut. Erzählen Sie mehr davon, haben Sie Angst davor, jemanden festnehmen zu müssen, oder geht es darum, Ihre Pflicht erfüllen zu müssen?

P: Ich habe einfach nicht den Mut, jemanden festzunehmen, wenn ich alleine Dienst habe. Ich traue mich nicht, auch einmal zuzuschlagen (HG: ballt die rechte Hand zur Faust).


Wir sind hier mit einer Situation konfrontiert, in der der Patient wiederholt belastenden und potenziell Angst einflößenden Geschehnissen ausgesetzt ist. Unser Augenmerk sollte sich auf die ganz individuelle Reaktion des Patienten auf diese Vorfälle richten, damit wir besser verstehen können, was an dieser Reaktion so besonders und eigentümlich ist, denn diese Ereignisse werden bei unterschiedlichen Menschen auch ganz unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Im vorliegenden Fall geht es um einen Polizisten, dem es an Mut und Entschlossenheit fehlt. Das ist auffällig und nicht schlüssig, denn der Patient hat einen Beruf gewählt, in dem es prinzipiell darum geht, die Gesellschaft zu schützen. Man muss sich das durch den Kopf gehen lassen – ein Mensch, von dem erwartet wird, dass er seine Mitmenschen beschützt, besitzt nicht das nötige Durchsetzungsvermögen, um genau das tun zu können.


A: Was fühlen Sie?

P: Ich habe Angst. Wie soll ich ihn denn einfangen, ihn festnehmen? Wie muss ich zuschlagen? (HG: mit beiden Händen macht der Patient eine Geste, als würde er jemanden packen).

A: Beschreiben Sie die Angst.

P: Ich frage mich, wie ich das alleine machen soll, wie kann ich ihn überwältigen? Auch bei Unfällen ist es so, ich habe Angst alleine zum Unfallort zu gehen (wiederholt die Geste mit seinen Händen).

Die Situation des Patienten ist folgende: Der Mann ist an einem Bahnhof stationiert und muss sich im Falle von Unfällen oder anderen Vorkommnissen um verletzte Personen oder auch um Verstorbene kümmern. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Notfallhilfe zu koordinieren, die Verlegung verletzter Personen in die entsprechenden Krankenhäuser zu organisieren und Berichte für die zuständige Behörde zu verfassen. Angesichts dieser Aufgaben fühlt sich der Patient überfordert, ihm mangelt es an Tapferkeit. Wir wollen seine Ängste einmal genauer betrachten.


A: Erzählen Sie mir mehr über die Angst, die Sie empfinden.

P: Es ist so, dass mir der Mut fehlt hinzugehen und die Sache in die Hand zu nehmen wenn ich alleine bin. Ich brauche immer einen Kollegen bei mir (HG: ballt beide Hände zur Faust). Wie schaffe ich das, wenn ich alleine bin? Das ist meine Angst (HG: bringt alle Finger zusammen).

A: Was passiert, wenn Sie alleine unterwegs sind?

P: Wenn ich alleine bin, dann weiß ich nicht, was ich machen soll, wie das gehen soll. Ich habe einfach nicht den Mut hinzufahren (HG: bewegt beide Hände nach vorne, verzahnt die Finger beider Hände ineinander und macht eine Faust).

A: Was bedeutet das, was Sie mit Ihren Händen machen?

P: Kraft, Stärke… diese Stärke fehlt mir (HG: schließt beide Hände zur Faust).

A: Konzentrieren Sich bitte auf diese Geste. Machen Sie das noch einmal.

P: wiederholt die Geste.

A: Ja, erzählen Sie mir etwas darüber.

P: Es bedeutet, dass ich den Verbrecher fangen und festnehmen sollte, mir aber der Mut dazu fehlt (HG: bewegt zuerst seine Hände aufeinander zu, als wolle er etwas fangen und ballt anschließend beide Hände zur Faust).

A: Erzählen Sie bitte etwas über Mut.

P: Ich sollte ihn fangen können. Wenn da ein Dieb ist sollte ich in der Lage sein, ihn festzunehmen und zur Polizeiwache zu bringen. Das passiert aber nicht.

A: Was könnte passieren, wenn Sie einen Dieb verhaften oder zu einer Unfallstelle gehen?

P: Im Falle eines Unfalls müssen wir die Verletzten ins Krankenhaus bringen. Wenn jemand bei mir ist, dann ist das auch kein Problem. Es heißt, dass etwas mit meinem Kopf oder meinem Gehirn nicht stimmt. (HG: ballt beide Hände zur Faust).


In Bezug auf die vorliegende Situation können wir zweierlei erkennen: hier ist ein Mensch, der ein starkes Bedürfnis nach einem Begleiter hat und glaubt, dass sein Gehirn nicht richtig funktioniert.


A: Haben Sie noch andere Ängste?

P: Ich habe Angst im Dunkeln.

A: Was könnte in der Dunkelheit passieren, wovor Sie Angst haben müssten?

P: Ich habe einfach vor der Dunkelheit Angst. Wie kann ich das nur ändern? Mir fehlt einfach der Mut dazu (HG: bewegt beide Hände nach vorne, die Finger leicht gebeugt).

Wieder kommt der Patient auf dieses Empfinden zurück, auf seinen fehlenden Mut. Es ist seine Grundhaltung, also der Kern des Falles: in Situationen, in denen er Verantwortung übernehmen müsste, empfindet er nichts als Mutlosigkeit.


A: Was passiert, wenn Sie ein Zugunglück sehen?

P: Was mache ich nur? Was soll ich tun? Manchmal sind keine Kulis vor Ort. Wenn ich dann alleine bin und die Fahrgäste etwas von mir wollen, oder mich bedrängen, dann weiß ich nicht, was ich machen soll (HG: ballt beide Hände zur Faust).

A: Die Fahrgäste bedrängen Sie? Was machen sie?

P: Die Leute verlangen von mir, dass ich den Verantwortlichen sofort festnehme. Sie haben einfach keine Geduld.

Können Sie sich vorstellen, wie es diesem Mann geht? Ein Zugunglück passiert und dieser hagere, ausgezehrte Mann soll die Führung und somit die Verantwortung für die gesamte Situation übernehmen. Er befindet sich mitten in einem öffentlichen Chaos und muss sich als Polizist nicht nur um verängstigte, panische oder aggressive Menschen kümmern, sondern auch noch die Erstversorgung für Verletzte und die Bergung von Leichen organisieren. Darüber hinaus kann es passieren, dass er dies alles alleine, ohne einen Kollegen, bewältigen muss, was seine Not noch verstärkt. Jetzt haben wir ein vollständiges Bild von der Situation, in der sich der Patient befindet - eine Situation, der er sich nicht gewachsen fühlt und die ihn völlig überfordert. Er fühlt sich inadäquat und nicht handlungsfähig. Lassen Sie uns einmal die anderen Aspekte seiner Persönlichkeit näher betrachten.

A: Was sind Sie für ein Mensch? Wie würden Sie sich beschreiben?

P: Ich bin von Natur aus sehr…..still.

A: Still?

P: Haan, ich rede nicht viel. Ich traue mich oft nicht, mich mit anderen zu unterhalten oder jemanden anzusprechen.

A: Erzählen Sie mir mehr davon – wovor haben Sie Angst, wenn Sie sich mit jemandem unterhalten?

P: Wenn jemand etwas erzählt, was die Familie betrifft oder so, dann habe ich nicht den Mut, etwas zu sagen. Ich kann dann nicht reden.

A: Was ist das für eine Angst, die Sie in diesem Moment verspüren?

P: Dass mein Gegenüber mir sagen wird, dass ich ja nicht richtig sprechen kann … ich kann mich nur schwer mit Fremden unterhalten.

 

Er ist also ein sehr schüchterner Mensch. Es ist die Art von Schüchternheit, die jemanden in der Anwesenheit von Fremden sehr zurückhaltend werden lässt. Auch hier können wir einen Mangel an Mut und Entschlossenheit erkennen. Das Thema wiederholt sich.

 

A: Haben Sie Träume?

P: Ich träume nicht. Ich schwitze nur sehr viel und kann nicht schlafen.

A: Versuchen Sie einmal, nicht zu viel nachzudenken – wovon träumen Sie?

P: Ich träume eigentlich nie, nur damals nach dem einen Unfall – da hatte ich Angst. Sonst nichts. Ich habe den Unfall gesehen und hatte große Angst…. Immer, wenn ein Unfall passiert bekomme ich Angstträume.

A: Was fühlen Sie, wenn Sie diese Unfälle sehen?

P: Als würden einem die Hände oder etwas anderes abgeschnitten.

A: Versuchen Sie, sich zu erinnern: hatten Sie als Kind oft Angst?

P: In der Schule hatte ich Schwierigkeiten, ich konnte nicht richtig lernen… ich hatte Typhus gehabt und deswegen konnte ich mich nicht konzentrieren; ich konnte den Lernstoff nicht behalten; das, was ich gelesen habe, konnte ich einfach nicht behalten.

A: Wie lange leiden Sie schon unter diesen Ängsten im Beruf?

P: Ungefähr seit 2-3 Monaten.

A: Und vorher hatten Sie das nicht?

P: Nein, nicht in diesem Ausmaß.

A: Ist etwas vorgefallen?

P: Es gab da einen Unfall in Wadala. Damals sind meine Kollegen einfach weggelaufen und ich stand alleine da. Wie sollte ich das denn alleine regeln? Die Leute waren aufgebracht und sie könnten ja uns zusammenschlagen. Einfach so (HG: bewegt beide Hände aufeinander zu, die Handflächen sind einander zugewandt).

A: Was haben Sie in dieser Situation gemacht, nachdem Ihre Kollegen Sie im Stich gelassen hatten?

P: Ich bin nicht hingegangen, ich hatte Angst – wie könnte ich da alleine hingehen?

A: Was haben Sie in diesem Moment körperlich empfunden?

P: Nur das. Wie könnte ich alleine hingehen?

A: Was würden diese aufgebrachten Menschen tun?

P: Wenn man sie (die Leichen) (Anmerkung des Übersetzers) nicht schnell genug wegbringt, dann gehen die Leute auf einen los. Das ist vorher schon 2-3 Mal passiert…. Seit drei Monaten werde ich verfolgt, die Leute geben mir die Schuld. Diese Journalisten…(HG: bringt die Hände ganz dicht zueinander, die Handflächen stehen sich gegenüber, die Finger sind leicht gebeugt).

A: Ok. Was ist später an diesem Tag passiert? Erzählen Sie.

P: An diesem Tag ist nichts mehr passiert. Sie kamen 2-3 Tage später und haben mich beschuldigt. Sie sagten, ich sei da gewesen (wiederholt die Geste)… Sie verfolgen mich. Ich habe Angst und habe nicht den Mut, meinen Dienst allein zu verrichten (wiederholt die Geste). Ich bin immer alleine. Auch im Bahnhof musste ich alleine Dienst machen. Unser Fahrzeug stand vor dem Bahnhof. Meine Kollegen verschwanden und ich war ganz alleine da. Ich hatte nicht den Mut hineinzugehen – wie hätte ich alleine da reingehen können? Das ist passiert und nichts weiter.

A: Sie hätten keine Hilfe anfordern können?

P: Keiner kommt zu Hilfe. Die Leute helfen nicht. Als niemand da war und ich das allein machen sollte, hatte ich nicht den Mut hineinzugehen.

A: Warum bekommen Sie keine Unterstützung von den Leuten?

P: Die Leute wollen keinen Ärger. Sie sind der Meinung, dass wir das alleine schaffen müssten. Sie wollen nicht hineingezogen werden und helfen deshalb nicht. In diesem Moment habe ich so große Angst, dass ich nicht den Mut aufbringen kann, meine Arbeit zu verrichten (HG: ballt beide Hände zur Faust).

Als wir den Patienten nach seinen Träumen fragen, erzählt er uns wieder von diesem Zugunglück. Die Angst vor einem weiteren Unglück lässt ihn an nichts anderes mehr denken. Die Angst vor einem Unfall und seinem eigenen Versagen überwältigt ihn. Um sein Elend noch zu verstärken fühlt er sich von Journalisten verfolgt.

 

A: Journalisten berichteten über das Zugunglück? Was haben sie geschrieben?

P: Sie haben nichts geschrieben, sie verfolgen mich nur und sagen: „Dieser Mann war da.“

A: Was passiert mit Ihnen, wenn diese Journalisten sie verfolgen?

P: Das macht mir Angst. Das sind viele Leute. Was werden sie mit uns machen? Werden sie mir einen Prozess anhängen? Werde ich vor Gericht müssen (HG; ballt beide Hände zur Faust)…. Ich kann nicht mehr schlafen; ich kann nicht mehr essen; ich fühle mich sehr schwach. So sieht es aus.

A: Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf, wenn Sie nicht schlafen können?

P: Was wird mit mir passieren? Was wird aus den Kindern, wenn mir etwas passiert? Diese Gedanken lassen mich nicht los.

A: Was, glauben Sie, wird mit Ihnen passieren?

P: Werde ich ins Gefängnis gehen müssen? Diese Frage stelle ich mir.

Das grundlegende Gefühl des Patienten ist das, ein schlimmes Verbrechen begangen zu haben und dafür in das Gefängnis gehen zu müssen.

A: Was kann noch passieren?

P: Das ist eigentlich alles… ich habe den Dienst bei der Polizei angetreten, weil mein Vater gestorben war. Ich habe seine Stelle angenommen. Ich bin aber gar nicht der Typ für den Polizeidienst – ich war schon immer eher schmal und hager.

 

Der Patient nahm den Posten seines Vaters nur widerwillig an. In Indien gibt es vor allem in der Verwaltung und im öffentlichen Dienst die Möglichkeit, die Stelle eines verstorbenen Mitarbeiters durch seinen Sohn zu besetzen, sobald dieser volljährig wird. Unser Patient tat dies aber nicht aus Überzeugung, denn er traute sich eine Karriere als Polizist nicht zu. Auch seine schmächtige körperliche Statur wirkte sich nachteilig für ihn aus. Er fühlte sich den Aufgaben eines Polizisten in keiner Weise gewachsen. Das Gefühl der Unzulänglichkeit begleitet diesen Mann also schon seit jungen Jahren. Durch das Zugunglück wurde sein innerstes Wesen sichtbar gemacht! Wir haben es mit einem sehr schüchternen, zurückhaltenden Menschen zu tun, dem es an Mut und Durchsetzungsvermögen fehlt. Außerdem fühlt er sich verfolgt, weil er glaubt, ein Verbrechen begangen zu haben. Es sind die zwei Hauptaspekte dieses Falles.

 

A: Sie haben etwas von Ihrer Kindheit erzählt….

P: Ich hatte Typhus, meine körperliche Verfassung ist nicht sehr gut.

A: Das hat auch zu intellektuellen Problemen geführt?

P: Ja, das hatte ich auch.

A: Was hatten Sie auch?

P: Mein Gehirn wurde nicht ausreichend stimuliert, oder hat nicht richtig funktioniert. Ich habe gelernt, aber mein Gehirn wollte nicht richtig funktionieren. Ich konnte mir das, was ich las, nie merken. Irgendwie habe ich es bis zur neunten Klasse geschafft. Dann starb mein Vater und ich übernahm seine Aufgaben.

A: Worüber machen Sie sich Sorgen?

P: Was aus meinen Kindern wird, wenn mir etwas zustößt. Darüber mache ich mir Sorgen.

A: Was wird denn aus ihnen?

P: Wer wird sich um ihre Schulbildung kümmern? Meine Kinder sind noch klein. Mein Sohn geht in die sechste Klasse, meine Tochter in die dreizehnte. Sie sind noch jung.

A: Was könnte Ihnen zustoßen?

P: Sie könnten mich vor Gericht anklagen.

A: Was würde in diesem Fall passieren? Gehen wir mal davon aus, dass Sie angeklagt werden. Was passiert dann?

P: Ich werde vielleicht ins Gefängnis gehen müssen.

A: Und dann? Was passiert im Gefängnis?

P: Das weiß ich nicht, ich war noch nie im Gefängnis.

Die Frau des Patienten berichtet, dass sich ihr Mann ständig verfolgt fühlt. Er glaubt, dass die Leute ihn anstarren, Fotos von ihm machen und damit zur Presse gehen werden.

 

Fallanalyse

Wenn wir uns diesen Patienten näher anschauen, sehen wir einen Menschen, der von starken Minderwertigkeitsgefühlen geplagt wird. Egal, in welcher Situation er sich befindet – er wird versagen. Dieses Gefühl von Unzulänglichkeit ist der Ausgangspunkt seiner intensiven Ängste, die immer dann auftreten, wenn er Leistung zeigen muss. Um welche Situationen handelt es sich dabei? Er ist Polizist, muss also an seinem Einsatzort, dem Bahnhof, Verantwortung übernehmen. Er muss im Falle eines Zugunglücks reagieren und die Führung übernehmen.

 

Können Sie sich vorstellen, welcher Aufgabe dieser Mann gewachsen sein muss? Seine Aufgabe besteht darin sich um Menschen zu kümmern, auf ihre Fragen einzugehen, sich in ihre Situation hineinzuversetzen und sie zu versorgen. Gleichzeitig muss er die Notfallhilfe koordinieren und die Behörden und Krankenhäuser über die Zahl der Toten und Verletzten informieren. Hinzu kommt noch das bürokratische Procedere, die Formalitäten, die in diesen Fällen eingehalten werden müssen.

 

Mit dieser großen Verantwortung im Gepäck, findet sich der Patient in einer Situation wieder, die ihn völlig überfordert: er ist auf einem Bahnsteig, ein großes Zugunglück ist passiert und er muss sich kümmern – alleine. Er verliert die Nerven, lässt einen tödlich verunglückten Menschen einfach liegen und läuft weg. Er ist davon überzeugt, seine Pflicht nicht erfüllt zu haben und dass er deswegen von Polizei und Presse gesucht wird. Er glaubt, dass man ihn anzeigen und er richtig viel Ärger haben wird. In dieser Situation entwickelt er eine Neurose, die stark psychotische Züge aufweist. Er leidet unter einem Verfolgungswahn und glaubt, beobachtet und verfolgt zu werden. Er ist davon überzeugt, dass man ihn heimlich fotografiert. Das zugrundeliegende Gefühl ist: „Sie werden jeden Moment über mich in der Zeitung berichten. Alles wird ans Licht kommen und die Polizei wird mich verhaften.“ Als er zu uns in die Klinik kam, war sein Zustand hochgradig neurotisch – der Patient hat große Angst davor entweder von einem Mob zusammengeschlagen oder von der Polizei verhaftet zu werden. Er hat das Gefühl, ständig verfolgt zu werden.

 

Was für ein Mensch ist das, dem dies alles passiert? Der Patient ist ein einfacher, simpler Mensch. Er hat seinen Beruf als Polizist nur widerwillig angenommen. Er sieht sich selbst als klein und unbedeutend und glaubt, für diesen Beruf nicht geeignet zu sein. Hier nimmt also ein geistig eher langsamer Mann, der auch körperlich schmächtig und ausgezehrt wirkt, das Amt eines Polizisten an. Für einen Mann seiner Statur ist das eine große Herausforderung. Er fühlt sich seiner Aufgabe so wenig gewachsen, dass er schließlich eine ernsthafte Neurose entwickelt. In diesem Zustand sieht er überall Gefahren, er sieht Fremde, glaubt, dass jemand hinter ihm steht und fühlt sich verfolgt – und all das passiert einem Menschen, der von Natur aus nicht mutig ist, der weder Tapferkeit noch Durchsetzungsvermögen besitzt und immer auf die Anwesenheit eines Kollegen angewiesen ist, um seinen Dienst verrichten zu können. Ohne seine Kollegen fühlt er sich komplett unfähig. Wenn ein Mensch, der von Natur aus klein, schwach, schüchtern und unselbstständig ist, in eine Situation gerät, in der viel Verantwortung und Führungsqualität gefordert sind, haben wir das Arzneimittel Baryta vor uns.

 

In diesem Fall kommt noch ein weitere Aspekt hinzu: Der Patient fühlt sich verfolgt, er glaubt, sich in unmittelbarer Gefahr zu befinden, weil es Leute gibt, die ihm folgen. Er fühlt sich schuldig, weil er glaubt, seine Pflichten vernachlässigt zu haben. Er fühlt sich wie ein Verbrecher und die nächste Gefahr lauert um die Ecke: der Patient befindet sich in einem Zustand des akuten und völligen Zusammenbruchs - sein Wesen, seine Struktur, alles ist kollabiert.

Das ist der Brom-Aspekt des Falles. Bromatum-Patienten fühlen sich verfolgt, ein Aspekt, den man besonders gut am Beispiel von Kalium bromatum verstehen kann. Der Verfolgungswahn kann neurotische Züge annehmen. Unter den Halogenverbindungen hat das Element Brom die größten neurotischen Ängste. In der Literatur können wir vielerorts nachlesen, dass Patienten, die eine Bromatum-Verbindung brauchen, hochgradig neurotisch sind. Zahlreiche klinische Fälle haben dies bestätigt. Wenn man einen stark neurotischen Patienten vor sich hat, sollte man immer an die Bromatums denken.

 

Also, hier haben wir Barium auf der einen Seite – völlig inadäquat und ungeeignet für einen verantwortungsvollen Posten – und Brom auf der anderen – mit seinem extrem neurotischen Verhalten: glaubt, jemand stehe hinter ihm; Verfolgungswahn; ein Verbrechen begangen zu haben; jemand wird um die Ecke kommen und ihn packen, begleitet von panikartigen Zuständen.

 

Verschreibung: Baryta bromatum

 

Auszug aus Jan Scholtens ‚Homöopathie und die Elemente‘:

 

Ohnmächtig, Fehlern vorzubeugen

Sie haben das Gefühl, dass sie sehr schnell Fehler begehen und dass sie deren Vorbeugung nicht gewachsen sind. Sie fühlen sich ohnmächtig und schwach und wissen nicht, was sie tun müssen um es gut zu machen. Sogar wenn sie es gut machen, meinen sie noch Fehler zu machen. Dieses Gefühl wird noch stärker, wenn sie neue Aufgaben erlernen oder ausführen müssen. Alles, was neu ist, gibt ihnen das Gefühl, noch weniger Kontrolle darüber zu haben. Bei fremden, neuen Menschen nimmt ihr Gefühl der Ohnmacht und der Minderwertigkeit noch weiter zu.“

 

Unser Patient hat ständig das Gefühl, einen großen Fehler begangen zu haben. Er hat seine Pflicht nicht erfüllt und sich in einer schwierigen Situation völlig überfordert und hilflos gefühlt. Er ist sehr feige; ihm fehlt jeglicher Mut, sich einer solchen Situation zu stellen.

 

Ausgelacht wegen ihrer Fehler

Sie haben Angst, wegen ihrer Fehler ausgelacht zu werden. Wenn jemand auch nur nach ihnen schaut, denken sie schon ausgelacht zu werden. Bei jedem Fehler, der ihnen unterläuft, bekommen sie das Gefühl, andere werden sie auslachen.

Eine typische Situation ist die der Schule, wo sie alles Mögliche lernen müssen und das Gefühl haben, alles falsch zu machen. Sie sind sehr unsicher und haben das Bedürfnis nach Unterstützung und Zustimmung. Aber sie behalten das Gefühl, dass andere sie lächerlich finden, weil sie nichts können. Sie können leicht der Prügelknabe der Schule werden. Sie können sich nicht gegen das Ärgern der anderen wehren, ziehen dies sogar an. Später kann im Beruf eine gleichartige Situation entstehen. Sie sind dann diejenigen, die von allen geärgert und ausgelacht werden wegen ihrer Ungeschicktheit und Tölpelhaftigkeit.“

 

Das ist genau die Situation, in der sich unser Patient wiederfindet: Er hat im Beruf versagt, unerlaubterweise einen Unfallort verlassen und hat nun Angst, dass alle ihn beobachten und fotografieren, um anschließend alles an die Presse weiterzugeben. Auffällig ist auch, dass er sich in seinem Beruf – er steht vor einer Situation, der er nicht gewachsen ist – fürchtet, von Leuten misshandelt und geschlagen zu werden.

 

Wahnideen: Vorgesetzter, Alleinsein; Manie, jemand sieht über ihre Schultern, verfolgt, fasten, verrückt werden, reisen, Geister.“

 

Die zentrale Wahnidee des Patienten ruht in seinem Gefühl des Alleinseins und des Verfolgt-werdens. Es besteht ein unterschwelliges Schuldgefühl, er glaubt, er hätte ein Verbrechen begangen.

 

Follow-up nach zehn Monaten

Am Verhalten des Patienten konnten wir eine bemerkenswerte Besserung seines Zustandes erkennen. Der Patient war schon fast psychotisch gewesen und stand kurz davor, mit entsprechenden Psychopharmaka behandelt zu werden. Der Mann war völlig verändert. Seine zwanghaften Gedanken und Ängste hatten sich zu mehr als 70% gebessert. Es kommt immer noch zu Vorfällen, in denen jemand versucht, ihn an der Nase herumzuführen oder ihn einzuschüchtern, aber er besitzt jetzt das Selbstvertrauen, diese Situationen alleine bewältigen zu können. Im Gegensatz zu früher geht er gerne zur Arbeit. Er fühlt sich nun nicht mehr als Krimineller, sondern handelt verantwortungsbewusst und entschlossen. Mit einem Lächeln erzählt er uns: „Ich habe nun den Mut, meine Pflicht zu erfüllen.“

 

Das ist ein sehr schöner homöopathischer Behandlungserfolg – ein Patient, der sich von einem unselbständigen, ängstlichen und unfähigen Menschen zu einem mutigen, verantwortungsbewussten und selbstständigen Mann mausert, der sein Leben selbst in die Hand nimmt.

Das Simillimum birgt immer ein gewaltiges Potenzial, die Lebenskraft eines Menschen zu regulieren und zu normalisieren. Unser Lehrer und Meister Dr. Samuel Hahnemann formuliert es in §9 seines Organon der Heilkunst so: „Im gesunden Zustande des Menschen waltet die geistartige, als Dynamis den materiellen Körper belebende Lebenskraft unumschränkt und hält alle seine Teile in bewundernswürdig harmonischem Lebensgange in Gefühlen und Tätigkeiten, so daß unser inwohnende, vernünftige Geist sich dieses lebendigen, gesunden Werkzeugs frei zu dem höheren Zwecke unsers Daseins bedienen kann.“

 

Auch der Appetit des Patienten wurde zunehmend besser, er hat sogar etwas zugenommen. Er strahlt mehr Ruhe aus, macht einen lebhafteren und entschlosseneren Eindruck als vorher. Insgesamt bekam er 3 Gaben Baryta bromatum, immer im Abstand von 3 Monaten. Er kommt immer noch zur Kontrolle in die Klinik, in letzter Zeit nicht mehr so häufig, weil er selbstständiger geworden ist und sich von seinem Homöopathen emanzipiert. Er genießt sein Leben und kann jeden Tag annehmen, wie er ist. Für uns war es sehr befriedigend, diesem Patienten helfen zu können und das Lächeln in seinen Augen zu sehen.

 

Dieses Fallbeispiel wurde ursprünglich unter http://theothersong.wordpress.com/ im Newsletter ‚Voice‘ veröffentlicht.

 

 

Kategorie: Fälle

Schlüsselwörter: Verfolgungswahn; Mangel an Mut; Schüchternheit; Wahnidee, er werde verfolgt; Wahnidee, er habe ein Verbrechen begangen

Mittel: Baryta bromatum

Inadäquat und neurotisch: ein Fall von Barium bromatum

Von Jayesh Shah, Devang Shah

Bei diesem Fall handelt es sich um einen 50-jährigen Patienten, der unter einer Neurose mit stark psychotischen Tendenzen leidet. Der Mann ist von hagerer, ausgezehrter Statur, seine Haare sind frühzeitig grau geworden. Von Beruf ist er Polizist; er kommt mit seiner Frau in die Sprechstunde.

Arzt: Bitte erzählen Sie mir von Ihren Beschwerden.

Patient: Ich schwitze nachts sehr stark, vor allem, wenn ich mich zudecke. Außerdem tut mir mein Rücken hier unten weh. Und hier habe ich ein paar rote Flecken (zeigt auf eine Stelle unterhalb des rechten Schlüsselbeins in der Nähe der Schulter. Als Kind hatte ich Typhus mit hohem Fieber (41°C). Und wenn bei der Arbeit etwas passiert, dann fehlt mir der Mut einzugreifen (Handgeste: bewegt beide Hände nach vorne).

A: Erzählen Sie mir mehr davon, berichten Sie ganz in Ruhe. Sie machen das sehr gut, erzählen Sie etwas mehr. Was stört Sie am meisten?

P: Wenn auf der Arbeit etwas passiert, dann habe ich oft große Angst. Ich arbeite bei der Polizei. Wenn z.B. ein Unfall passiert, oder wir jemanden verhaften müssen, dann habe ich nicht den Mut, die Person mit der nötigen Härte festzunehmen. Manchmal traue ich mich gar nicht erst dorthin zu gehen.

A: Hmm, hmm. Erzählen Sie mehr davon.

P: Es passiert immer, wenn ich alleine bin. Alleine traue ich mir das nicht zu. Wenn jemand bei mir ist, dann habe ich den Mut. Nur wenn ich alleine bin, dann traue ich mich nicht.

A: Ihnen fehlt der Mut. Erzählen Sie mehr davon, haben Sie Angst davor, jemanden festnehmen zu müssen, oder geht es darum, Ihre Pflicht erfüllen zu müssen?

P: Ich habe einfach nicht den Mut, jemanden festzunehmen, wenn ich alleine Dienst habe. Ich traue mich nicht, auch einmal zuzuschlagen (HG: ballt die rechte Hand zur Faust).


Wir sind hier mit einer Situation konfrontiert, in der der Patient wiederholt belastenden und potenziell Angst einflößenden Geschehnissen ausgesetzt ist. Unser Augenmerk sollte sich auf die ganz individuelle Reaktion des Patienten auf diese Vorfälle richten, damit wir besser verstehen können, was an dieser Reaktion so besonders und eigentümlich ist, denn diese Ereignisse werden bei unterschiedlichen Menschen auch ganz unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Im vorliegenden Fall geht es um einen Polizisten, dem es an Mut und Entschlossenheit fehlt. Das ist auffällig und nicht schlüssig, denn der Patient hat einen Beruf gewählt, in dem es prinzipiell darum geht, die Gesellschaft zu schützen. Man muss sich das durch den Kopf gehen lassen – ein Mensch, von dem erwartet wird, dass er seine Mitmenschen beschützt, besitzt nicht das nötige Durchsetzungsvermögen, um genau das tun zu können.


A: Was fühlen Sie?

P: Ich habe Angst. Wie soll ich ihn denn einfangen, ihn festnehmen? Wie muss ich zuschlagen? (HG: mit beiden Händen macht der Patient eine Geste, als würde er jemanden packen).

A: Beschreiben Sie die Angst.

P: Ich frage mich, wie ich das alleine machen soll, wie kann ich ihn überwältigen? Auch bei Unfällen ist es so, ich habe Angst alleine zum Unfallort zu gehen (wiederholt die Geste mit seinen Händen).

Die Situation des Patienten ist folgende: Der Mann ist an einem Bahnhof stationiert und muss sich im Falle von Unfällen oder anderen Vorkommnissen um verletzte Personen oder auch um Verstorbene kümmern. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Notfallhilfe zu koordinieren, die Verlegung verletzter Personen in die entsprechenden Krankenhäuser zu organisieren und Berichte für die zuständige Behörde zu verfassen. Angesichts dieser Aufgaben fühlt sich der Patient überfordert, ihm mangelt es an Tapferkeit. Wir wollen seine Ängste einmal genauer betrachten.


A: Erzählen Sie mir mehr über die Angst, die Sie empfinden.

P: Es ist so, dass mir der Mut fehlt hinzugehen und die Sache in die Hand zu nehmen wenn ich alleine bin. Ich brauche immer einen Kollegen bei mir (HG: ballt beide Hände zur Faust). Wie schaffe ich das, wenn ich alleine bin? Das ist meine Angst (HG: bringt alle Finger zusammen).

A: Was passiert, wenn Sie alleine unterwegs sind?

P: Wenn ich alleine bin, dann weiß ich nicht, was ich machen soll, wie das gehen soll. Ich habe einfach nicht den Mut hinzufahren (HG: bewegt beide Hände nach vorne, verzahnt die Finger beider Hände ineinander und macht eine Faust).

A: Was bedeutet das, was Sie mit Ihren Händen machen?

P: Kraft, Stärke… diese Stärke fehlt mir (HG: schließt beide Hände zur Faust).

A: Konzentrieren Sich bitte auf diese Geste. Machen Sie das noch einmal.

P: wiederholt die Geste.

A: Ja, erzählen Sie mir etwas darüber.

P: Es bedeutet, dass ich den Verbrecher fangen und festnehmen sollte, mir aber der Mut dazu fehlt (HG: bewegt zuerst seine Hände aufeinander zu, als wolle er etwas fangen und ballt anschließend beide Hände zur Faust).

A: Erzählen Sie bitte etwas über Mut.

P: Ich sollte ihn fangen können. Wenn da ein Dieb ist sollte ich in der Lage sein, ihn festzunehmen und zur Polizeiwache zu bringen. Das passiert aber nicht.

A: Was könnte passieren, wenn Sie einen Dieb verhaften oder zu einer Unfallstelle gehen?

P: Im Falle eines Unfalls müssen wir die Verletzten ins Krankenhaus bringen. Wenn jemand bei mir ist, dann ist das auch kein Problem. Es heißt, dass etwas mit meinem Kopf oder meinem Gehirn nicht stimmt. (HG: ballt beide Hände zur Faust).


In Bezug auf die vorliegende Situation können wir zweierlei erkennen: hier ist ein Mensch, der ein starkes Bedürfnis nach einem Begleiter hat und glaubt, dass sein Gehirn nicht richtig funktioniert.


A: Haben Sie noch andere Ängste?

P: Ich habe Angst im Dunkeln.

A: Was könnte in der Dunkelheit passieren, wovor Sie Angst haben müssten?

P: Ich habe einfach vor der Dunkelheit Angst. Wie kann ich das nur ändern? Mir fehlt einfach der Mut dazu (HG: bewegt beide Hände nach vorne, die Finger leicht gebeugt).

Wieder kommt der Patient auf dieses Empfinden zurück, auf seinen fehlenden Mut. Es ist seine Grundhaltung, also der Kern des Falles: in Situationen, in denen er Verantwortung übernehmen müsste, empfindet er nichts als Mutlosigkeit.


A: Was passiert, wenn Sie ein Zugunglück sehen?

P: Was mache ich nur? Was soll ich tun? Manchmal sind keine Kulis vor Ort. Wenn ich dann alleine bin und die Fahrgäste etwas von mir wollen, oder mich bedrängen, dann weiß ich nicht, was ich machen soll (HG: ballt beide Hände zur Faust).

A: Die Fahrgäste bedrängen Sie? Was machen sie?

P: Die Leute verlangen von mir, dass ich den Verantwortlichen sofort festnehme. Sie haben einfach keine Geduld.

Können Sie sich vorstellen, wie es diesem Mann geht? Ein Zugunglück passiert und dieser hagere, ausgezehrte Mann soll die Führung und somit die Verantwortung für die gesamte Situation übernehmen. Er befindet sich mitten in einem öffentlichen Chaos und muss sich als Polizist nicht nur um verängstigte, panische oder aggressive Menschen kümmern, sondern auch noch die Erstversorgung für Verletzte und die Bergung von Leichen organisieren. Darüber hinaus kann es passieren, dass er dies alles alleine, ohne einen Kollegen, bewältigen muss, was seine Not noch verstärkt. Jetzt haben wir ein vollständiges Bild von der Situation, in der sich der Patient befindet - eine Situation, der er sich nicht gewachsen fühlt und die ihn völlig überfordert. Er fühlt sich inadäquat und nicht handlungsfähig. Lassen Sie uns einmal die anderen Aspekte seiner Persönlichkeit näher betrachten.

A: Was sind Sie für ein Mensch? Wie würden Sie sich beschreiben?

P: Ich bin von Natur aus sehr…..still.

A: Still?

P: Haan, ich rede nicht viel. Ich traue mich oft nicht, mich mit anderen zu unterhalten oder jemanden anzusprechen.

A: Erzählen Sie mir mehr davon – wovor haben Sie Angst, wenn Sie sich mit jemandem unterhalten?

P: Wenn jemand etwas erzählt, was die Familie betrifft oder so, dann habe ich nicht den Mut, etwas zu sagen. Ich kann dann nicht reden.

A: Was ist das für eine Angst, die Sie in diesem Moment verspüren?

P: Dass mein Gegenüber mir sagen wird, dass ich ja nicht richtig sprechen kann … ich kann mich nur schwer mit Fremden unterhalten.

 

Er ist also ein sehr schüchterner Mensch. Es ist die Art von Schüchternheit, die jemanden in der Anwesenheit von Fremden sehr zurückhaltend werden lässt. Auch hier können wir einen Mangel an Mut und Entschlossenheit erkennen. Das Thema wiederholt sich.

 

A: Haben Sie Träume?

P: Ich träume nicht. Ich schwitze nur sehr viel und kann nicht schlafen.

A: Versuchen Sie einmal, nicht zu viel nachzudenken – wovon träumen Sie?

P: Ich träume eigentlich nie, nur damals nach dem einen Unfall – da hatte ich Angst. Sonst nichts. Ich habe den Unfall gesehen und hatte große Angst…. Immer, wenn ein Unfall passiert bekomme ich Angstträume.

A: Was fühlen Sie, wenn Sie diese Unfälle sehen?

P: Als würden einem die Hände oder etwas anderes abgeschnitten.

A: Versuchen Sie, sich zu erinnern: hatten Sie als Kind oft Angst?

P: In der Schule hatte ich Schwierigkeiten, ich konnte nicht richtig lernen… ich hatte Typhus gehabt und deswegen konnte ich mich nicht konzentrieren; ich konnte den Lernstoff nicht behalten; das, was ich gelesen habe, konnte ich einfach nicht behalten.

A: Wie lange leiden Sie schon unter diesen Ängsten im Beruf?

P: Ungefähr seit 2-3 Monaten.

A: Und vorher hatten Sie das nicht?

P: Nein, nicht in diesem Ausmaß.

A: Ist etwas vorgefallen?

P: Es gab da einen Unfall in Wadala. Damals sind meine Kollegen einfach weggelaufen und ich stand alleine da. Wie sollte ich das denn alleine regeln? Die Leute waren aufgebracht und sie könnten ja uns zusammenschlagen. Einfach so (HG: bewegt beide Hände aufeinander zu, die Handflächen sind einander zugewandt).

A: Was haben Sie in dieser Situation gemacht, nachdem Ihre Kollegen Sie im Stich gelassen hatten?

P: Ich bin nicht hingegangen, ich hatte Angst – wie könnte ich da alleine hingehen?

A: Was haben Sie in diesem Moment körperlich empfunden?

P: Nur das. Wie könnte ich alleine hingehen?

A: Was würden diese aufgebrachten Menschen tun?

P: Wenn man sie (die Leichen) (Anmerkung des Übersetzers) nicht schnell genug wegbringt, dann gehen die Leute auf einen los. Das ist vorher schon 2-3 Mal passiert…. Seit drei Monaten werde ich verfolgt, die Leute geben mir die Schuld. Diese Journalisten…(HG: bringt die Hände ganz dicht zueinander, die Handflächen stehen sich gegenüber, die Finger sind leicht gebeugt).

A: Ok. Was ist später an diesem Tag passiert? Erzählen Sie.

P: An diesem Tag ist nichts mehr passiert. Sie kamen 2-3 Tage später und haben mich beschuldigt. Sie sagten, ich sei da gewesen (wiederholt die Geste)… Sie verfolgen mich. Ich habe Angst und habe nicht den Mut, meinen Dienst allein zu verrichten (wiederholt die Geste). Ich bin immer alleine. Auch im Bahnhof musste ich alleine Dienst machen. Unser Fahrzeug stand vor dem Bahnhof. Meine Kollegen verschwanden und ich war ganz alleine da. Ich hatte nicht den Mut hineinzugehen – wie hätte ich alleine da reingehen können? Das ist passiert und nichts weiter.

A: Sie hätten keine Hilfe anfordern können?

P: Keiner kommt zu Hilfe. Die Leute helfen nicht. Als niemand da war und ich das allein machen sollte, hatte ich nicht den Mut hineinzugehen.

A: Warum bekommen Sie keine Unterstützung von den Leuten?

P: Die Leute wollen keinen Ärger. Sie sind der Meinung, dass wir das alleine schaffen müssten. Sie wollen nicht hineingezogen werden und helfen deshalb nicht. In diesem Moment habe ich so große Angst, dass ich nicht den Mut aufbringen kann, meine Arbeit zu verrichten (HG: ballt beide Hände zur Faust).

Als wir den Patienten nach seinen Träumen fragen, erzählt er uns wieder von diesem Zugunglück. Die Angst vor einem weiteren Unglück lässt ihn an nichts anderes mehr denken. Die Angst vor einem Unfall und seinem eigenen Versagen überwältigt ihn. Um sein Elend noch zu verstärken fühlt er sich von Journalisten verfolgt.

 

A: Journalisten berichteten über das Zugunglück? Was haben sie geschrieben?

P: Sie haben nichts geschrieben, sie verfolgen mich nur und sagen: „Dieser Mann war da.“

A: Was passiert mit Ihnen, wenn diese Journalisten sie verfolgen?

P: Das macht mir Angst. Das sind viele Leute. Was werden sie mit uns machen? Werden sie mir einen Prozess anhängen? Werde ich vor Gericht müssen (HG; ballt beide Hände zur Faust)…. Ich kann nicht mehr schlafen; ich kann nicht mehr essen; ich fühle mich sehr schwach. So sieht es aus.

A: Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf, wenn Sie nicht schlafen können?

P: Was wird mit mir passieren? Was wird aus den Kindern, wenn mir etwas passiert? Diese Gedanken lassen mich nicht los.

A: Was, glauben Sie, wird mit Ihnen passieren?

P: Werde ich ins Gefängnis gehen müssen? Diese Frage stelle ich mir.

Das grundlegende Gefühl des Patienten ist das, ein schlimmes Verbrechen begangen zu haben und dafür in das Gefängnis gehen zu müssen.

A: Was kann noch passieren?

P: Das ist eigentlich alles… ich habe den Dienst bei der Polizei angetreten, weil mein Vater gestorben war. Ich habe seine Stelle angenommen. Ich bin aber gar nicht der Typ für den Polizeidienst – ich war schon immer eher schmal und hager.

 

Der Patient nahm den Posten seines Vaters nur widerwillig an. In Indien gibt es vor allem in der Verwaltung und im öffentlichen Dienst die Möglichkeit, die Stelle eines verstorbenen Mitarbeiters durch seinen Sohn zu besetzen, sobald dieser volljährig wird. Unser Patient tat dies aber nicht aus Überzeugung, denn er traute sich eine Karriere als Polizist nicht zu. Auch seine schmächtige körperliche Statur wirkte sich nachteilig für ihn aus. Er fühlte sich den Aufgaben eines Polizisten in keiner Weise gewachsen. Das Gefühl der Unzulänglichkeit begleitet diesen Mann also schon seit jungen Jahren. Durch das Zugunglück wurde sein innerstes Wesen sichtbar gemacht! Wir haben es mit einem sehr schüchternen, zurückhaltenden Menschen zu tun, dem es an Mut und Durchsetzungsvermögen fehlt. Außerdem fühlt er sich verfolgt, weil er glaubt, ein Verbrechen begangen zu haben. Es sind die zwei Hauptaspekte dieses Falles.

 

A: Sie haben etwas von Ihrer Kindheit erzählt….

P: Ich hatte Typhus, meine körperliche Verfassung ist nicht sehr gut.

A: Das hat auch zu intellektuellen Problemen geführt?

P: Ja, das hatte ich auch.

A: Was hatten Sie auch?

P: Mein Gehirn wurde nicht ausreichend stimuliert, oder hat nicht richtig funktioniert. Ich habe gelernt, aber mein Gehirn wollte nicht richtig funktionieren. Ich konnte mir das, was ich las, nie merken. Irgendwie habe ich es bis zur neunten Klasse geschafft. Dann starb mein Vater und ich übernahm seine Aufgaben.

A: Worüber machen Sie sich Sorgen?

P: Was aus meinen Kindern wird, wenn mir etwas zustößt. Darüber mache ich mir Sorgen.

A: Was wird denn aus ihnen?

P: Wer wird sich um ihre Schulbildung kümmern? Meine Kinder sind noch klein. Mein Sohn geht in die sechste Klasse, meine Tochter in die dreizehnte. Sie sind noch jung.

A: Was könnte Ihnen zustoßen?

P: Sie könnten mich vor Gericht anklagen.

A: Was würde in diesem Fall passieren? Gehen wir mal davon aus, dass Sie angeklagt werden. Was passiert dann?

P: Ich werde vielleicht ins Gefängnis gehen müssen.

A: Und dann? Was passiert im Gefängnis?

P: Das weiß ich nicht, ich war noch nie im Gefängnis.

Die Frau des Patienten berichtet, dass sich ihr Mann ständig verfolgt fühlt. Er glaubt, dass die Leute ihn anstarren, Fotos von ihm machen und damit zur Presse gehen werden.

 

Fallanalyse

Wenn wir uns diesen Patienten näher anschauen, sehen wir einen Menschen, der von starken Minderwertigkeitsgefühlen geplagt wird. Egal, in welcher Situation er sich befindet – er wird versagen. Dieses Gefühl von Unzulänglichkeit ist der Ausgangspunkt seiner intensiven Ängste, die immer dann auftreten, wenn er Leistung zeigen muss. Um welche Situationen handelt es sich dabei? Er ist Polizist, muss also an seinem Einsatzort, dem Bahnhof, Verantwortung übernehmen. Er muss im Falle eines Zugunglücks reagieren und die Führung übernehmen.

 

Können Sie sich vorstellen, welcher Aufgabe dieser Mann gewachsen sein muss? Seine Aufgabe besteht darin sich um Menschen zu kümmern, auf ihre Fragen einzugehen, sich in ihre Situation hineinzuversetzen und sie zu versorgen. Gleichzeitig muss er die Notfallhilfe koordinieren und die Behörden und Krankenhäuser über die Zahl der Toten und Verletzten informieren. Hinzu kommt noch das bürokratische Procedere, die Formalitäten, die in diesen Fällen eingehalten werden müssen.

 

Mit dieser großen Verantwortung im Gepäck, findet sich der Patient in einer Situation wieder, die ihn völlig überfordert: er ist auf einem Bahnsteig, ein großes Zugunglück ist passiert und er muss sich kümmern – alleine. Er verliert die Nerven, lässt einen tödlich verunglückten Menschen einfach liegen und läuft weg. Er ist davon überzeugt, seine Pflicht nicht erfüllt zu haben und dass er deswegen von Polizei und Presse gesucht wird. Er glaubt, dass man ihn anzeigen und er richtig viel Ärger haben wird. In dieser Situation entwickelt er eine Neurose, die stark psychotische Züge aufweist. Er leidet unter einem Verfolgungswahn und glaubt, beobachtet und verfolgt zu werden. Er ist davon überzeugt, dass man ihn heimlich fotografiert. Das zugrundeliegende Gefühl ist: „Sie werden jeden Moment über mich in der Zeitung berichten. Alles wird ans Licht kommen und die Polizei wird mich verhaften.“ Als er zu uns in die Klinik kam, war sein Zustand hochgradig neurotisch – der Patient hat große Angst davor entweder von einem Mob zusammengeschlagen oder von der Polizei verhaftet zu werden. Er hat das Gefühl, ständig verfolgt zu werden.

 

Was für ein Mensch ist das, dem dies alles passiert? Der Patient ist ein einfacher, simpler Mensch. Er hat seinen Beruf als Polizist nur widerwillig angenommen. Er sieht sich selbst als klein und unbedeutend und glaubt, für diesen Beruf nicht geeignet zu sein. Hier nimmt also ein geistig eher langsamer Mann, der auch körperlich schmächtig und ausgezehrt wirkt, das Amt eines Polizisten an. Für einen Mann seiner Statur ist das eine große Herausforderung. Er fühlt sich seiner Aufgabe so wenig gewachsen, dass er schließlich eine ernsthafte Neurose entwickelt. In diesem Zustand sieht er überall Gefahren, er sieht Fremde, glaubt, dass jemand hinter ihm steht und fühlt sich verfolgt – und all das passiert einem Menschen, der von Natur aus nicht mutig ist, der weder Tapferkeit noch Durchsetzungsvermögen besitzt und immer auf die Anwesenheit eines Kollegen angewiesen ist, um seinen Dienst verrichten zu können. Ohne seine Kollegen fühlt er sich komplett unfähig. Wenn ein Mensch, der von Natur aus klein, schwach, schüchtern und unselbstständig ist, in eine Situation gerät, in der viel Verantwortung und Führungsqualität gefordert sind, haben wir das Arzneimittel Baryta vor uns.

 

In diesem Fall kommt noch ein weitere Aspekt hinzu: Der Patient fühlt sich verfolgt, er glaubt, sich in unmittelbarer Gefahr zu befinden, weil es Leute gibt, die ihm folgen. Er fühlt sich schuldig, weil er glaubt, seine Pflichten vernachlässigt zu haben. Er fühlt sich wie ein Verbrecher und die nächste Gefahr lauert um die Ecke: der Patient befindet sich in einem Zustand des akuten und völligen Zusammenbruchs - sein Wesen, seine Struktur, alles ist kollabiert.

Das ist der Brom-Aspekt des Falles. Bromatum-Patienten fühlen sich verfolgt, ein Aspekt, den man besonders gut am Beispiel von Kalium bromatum verstehen kann. Der Verfolgungswahn kann neurotische Züge annehmen. Unter den Halogenverbindungen hat das Element Brom die größten neurotischen Ängste. In der Literatur können wir vielerorts nachlesen, dass Patienten, die eine Bromatum-Verbindung brauchen, hochgradig neurotisch sind. Zahlreiche klinische Fälle haben dies bestätigt. Wenn man einen stark neurotischen Patienten vor sich hat, sollte man immer an die Bromatums denken.

 

Also, hier haben wir Barium auf der einen Seite – völlig inadäquat und ungeeignet für einen verantwortungsvollen Posten – und Brom auf der anderen – mit seinem extrem neurotischen Verhalten: glaubt, jemand stehe hinter ihm; Verfolgungswahn; ein Verbrechen begangen zu haben; jemand wird um die Ecke kommen und ihn packen, begleitet von panikartigen Zuständen.

 

Verschreibung: Baryta bromatum

 

Auszug aus Jan Scholtens ‚Homöopathie und die Elemente‘:

 

Ohnmächtig, Fehlern vorzubeugen

Sie haben das Gefühl, dass sie sehr schnell Fehler begehen und dass sie deren Vorbeugung nicht gewachsen sind. Sie fühlen sich ohnmächtig und schwach und wissen nicht, was sie tun müssen um es gut zu machen. Sogar wenn sie es gut machen, meinen sie noch Fehler zu machen. Dieses Gefühl wird noch stärker, wenn sie neue Aufgaben erlernen oder ausführen müssen. Alles, was neu ist, gibt ihnen das Gefühl, noch weniger Kontrolle darüber zu haben. Bei fremden, neuen Menschen nimmt ihr Gefühl der Ohnmacht und der Minderwertigkeit noch weiter zu.“

 

Unser Patient hat ständig das Gefühl, einen großen Fehler begangen zu haben. Er hat seine Pflicht nicht erfüllt und sich in einer schwierigen Situation völlig überfordert und hilflos gefühlt. Er ist sehr feige; ihm fehlt jeglicher Mut, sich einer solchen Situation zu stellen.

 

Ausgelacht wegen ihrer Fehler

Sie haben Angst, wegen ihrer Fehler ausgelacht zu werden. Wenn jemand auch nur nach ihnen schaut, denken sie schon ausgelacht zu werden. Bei jedem Fehler, der ihnen unterläuft, bekommen sie das Gefühl, andere werden sie auslachen.

Eine typische Situation ist die der Schule, wo sie alles Mögliche lernen müssen und das Gefühl haben, alles falsch zu machen. Sie sind sehr unsicher und haben das Bedürfnis nach Unterstützung und Zustimmung. Aber sie behalten das Gefühl, dass andere sie lächerlich finden, weil sie nichts können. Sie können leicht der Prügelknabe der Schule werden. Sie können sich nicht gegen das Ärgern der anderen wehren, ziehen dies sogar an. Später kann im Beruf eine gleichartige Situation entstehen. Sie sind dann diejenigen, die von allen geärgert und ausgelacht werden wegen ihrer Ungeschicktheit und Tölpelhaftigkeit.“

 

Das ist genau die Situation, in der sich unser Patient wiederfindet: Er hat im Beruf versagt, unerlaubterweise einen Unfallort verlassen und hat nun Angst, dass alle ihn beobachten und fotografieren, um anschließend alles an die Presse weiterzugeben. Auffällig ist auch, dass er sich in seinem Beruf – er steht vor einer Situation, der er nicht gewachsen ist – fürchtet, von Leuten misshandelt und geschlagen zu werden.

 

Wahnideen: Vorgesetzter, Alleinsein; Manie, jemand sieht über ihre Schultern, verfolgt, fasten, verrückt werden, reisen, Geister.“

 

Die zentrale Wahnidee des Patienten ruht in seinem Gefühl des Alleinseins und des Verfolgt-werdens. Es besteht ein unterschwelliges Schuldgefühl, er glaubt, er hätte ein Verbrechen begangen.

 

Follow-up nach zehn Monaten

Am Verhalten des Patienten konnten wir eine bemerkenswerte Besserung seines Zustandes erkennen. Der Patient war schon fast psychotisch gewesen und stand kurz davor, mit entsprechenden Psychopharmaka behandelt zu werden. Der Mann war völlig verändert. Seine zwanghaften Gedanken und Ängste hatten sich zu mehr als 70% gebessert. Es kommt immer noch zu Vorfällen, in denen jemand versucht, ihn an der Nase herumzuführen oder ihn einzuschüchtern, aber er besitzt jetzt das Selbstvertrauen, diese Situationen alleine bewältigen zu können. Im Gegensatz zu früher geht er gerne zur Arbeit. Er fühlt sich nun nicht mehr als Krimineller, sondern handelt verantwortungsbewusst und entschlossen. Mit einem Lächeln erzählt er uns: „Ich habe nun den Mut, meine Pflicht zu erfüllen.“

 

Das ist ein sehr schöner homöopathischer Behandlungserfolg – ein Patient, der sich von einem unselbständigen, ängstlichen und unfähigen Menschen zu einem mutigen, verantwortungsbewussten und selbstständigen Mann mausert, der sein Leben selbst in die Hand nimmt.

Das Simillimum birgt immer ein gewaltiges Potenzial, die Lebenskraft eines Menschen zu regulieren und zu normalisieren. Unser Lehrer und Meister Dr. Samuel Hahnemann formuliert es in §9 seines Organon der Heilkunst so: „Im gesunden Zustande des Menschen waltet die geistartige, als Dynamis den materiellen Körper belebende Lebenskraft unumschränkt und hält alle seine Teile in bewundernswürdig harmonischem Lebensgange in Gefühlen und Tätigkeiten, so daß unser inwohnende, vernünftige Geist sich dieses lebendigen, gesunden Werkzeugs frei zu dem höheren Zwecke unsers Daseins bedienen kann.“

 

Auch der Appetit des Patienten wurde zunehmend besser, er hat sogar etwas zugenommen. Er strahlt mehr Ruhe aus, macht einen lebhafteren und entschlosseneren Eindruck als vorher. Insgesamt bekam er 3 Gaben Baryta bromatum, immer im Abstand von 3 Monaten. Er kommt immer noch zur Kontrolle in die Klinik, in letzter Zeit nicht mehr so häufig, weil er selbstständiger geworden ist und sich von seinem Homöopathen emanzipiert. Er genießt sein Leben und kann jeden Tag annehmen, wie er ist. Für uns war es sehr befriedigend, diesem Patienten helfen zu können und das Lächeln in seinen Augen zu sehen.

 

Dieses Fallbeispiel wurde ursprünglich unter http://theothersong.wordpress.com/ im Newsletter ‚Voice‘ veröffentlicht.

 

 

Kategorie: Fälle

Schlüsselwörter: Verfolgungswahn; Mangel an Mut; Schüchternheit; Wahnidee, er werde verfolgt; Wahnidee, er habe ein Verbrechen begangen

Mittel: Baryta bromatum





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